Kommentar
08:40 Uhr, 27.07.2019

Geldpolitik: Immer locker bleiben!

Der geldpolitische Extremismus geht in die nächste Runde. Wir müssen uns alle darüber klar werden, was dies für unser Vermögen bedeutet.

Wer gedacht hat, die Zinswende würde schon noch kommen, darf den Timer gleich mal wieder ein paar Jahre oder besser Jahrzehnte hochstellen. Mario Draghi wird vor seinem Abgang im November die Geldpolitik sogar noch weiter lockern, wenn man Medienberichten Glauben schenken darf. Und es gibt wenig Grund, daran zu zweifeln. Folgende Maßnahmen „drohen":

  • Senkung des Einlagezinses („Strafzins") von -0,4 % auf -0,5 %: Das ist der Zinssatz, den Banken für Überschussreserven bei der EZB bezahlen müssen. Die Überschussreserven sind die Differenz aus den Guthaben der Banken und der Mindestreserve, die sich aus dem Mindestreservesatz von 1 % ergibt. Aktuell zahlen die Banken rund 7,5 Mrd. Euro pro Jahr an die EZB. Es wird allerdings auch diskutiert, ob die Banken im Gegenzug Freibeträge erhalten, was sie netto entlasten könnte.
  • Wiederaufnahme von „Quantitative Easing" (QE): Die Anleihekäufe wurden erst im Januar 2019 nach fast vier Jahren eingestellt. Der Spiegel berichtet, Draghi wolle QE noch vor Ende seiner Amtszeit neu starten. QE ist hochumstritten, zumal sich die Renditen der Staatsanleihen schon weitgehend im negativen Bereich befinden. Eine Änderung der Kaufschlüssel (welche Anleihen werden zu welchen Anteilen gekauft) ist denkbar. Die Senkung des Einlagezinses würde der EZB zudem mehr Spielraum geben, da der Einlagezins die Rendite-Grenze für Anleihekäufe darstellt. Sprich, sie könnte dann Anleihen kaufen, die bis -0,5 % p.a. rentieren – bzw. durch ihre Käufe die „Rendite" auf dieses Niveau treiben. Diese Tatsache dürfte übrigens auch ein Hindernis bei der künftigen Abschaffung der Negativzinsen darstellen.
  • Neuformulierung des Inflationsziels: Als Wahrung der Preisstabilität gilt seit 2003 laut EZB-Definition: "Price stability is defined as a year-on-year increase in the Harmonised Index of Consumer Prices (HICP) for the euro area of below, but close to, 2 % over the medium term". In der Praxis galt/gilt bei einer Inflationsrate von 1,7 % das Inflationsziel als erreicht. Presseberichten zufolge soll dieses Ziel abgeändert werden auf genau 2 %. Draghi will wohl außerdem erreichen, dass Phasen von zu niedriger Inflation kompensiert werden können durch Tolerierung von Phasen zu hoher Inflation. Die Folge wäre, dass die extrem lockere Geldpolitik noch länger aufrechterhalten werden könnte als ohnehin schon.

Was soll man jetzt machen?

  • Die Immobilienpreise werden jetzt wohl noch weiter Fahrt aufnehmen, zumal die Bauzinsen auf Niveaus fallen, die man für unmöglich gehalten hatte. Wenn es keine Rendite für Geldanlagen mehr gibt (oder noch schlimmer: Negativzinsen), dann werden auch immer geringere Mietrenditen in Kauf genommen. Und dann braucht man sich nicht wundern, wenn als Kaufpreis irgendwann das 60- oder 70-fache der jährlichen Nettokaltmiete erreicht wird. Genauso wenig braucht man sich darüber wundern, dass sich dadurch ein gigantisches Absturzpotenzial aufbaut, wenn die Zinsen dann doch wieder steigen. Diese Überlegungen scheinen für die EZB überhaupt keine Rolle zu spielen, obwohl der Immobilienmarkt für die Finanzstabilität von so überragender Bedeutung ist. Hauptsache, die Einkäufe im Supermarkt werden jedes Jahr 2 % teurer – alles andere ist egal... Für viele wird trotz der sehr hohen Preise der Immobilienkauf, speziell zur Eigennutzung, sehr sinnvoll sein. Man darf nicht vergessen: Die „Rendite" in Form der ersparten Miete ist steuerfrei, ebenso wie der Gewinn aus dem Verkauf des Objekts nach mindestens zwei Jahren Eigennutzung.
  • Bei Aktien ist man mit einem extrem gespaltenen Bild konfrontiert. Wachstumsunternehmen sind teils astronomisch hoch bewertet, Zykliker oft sehr niedrig. Natürlich nie ganz ohne Grund. Es droht eine empfindliche konjunkturelle Abkühlung, und ganze Branchen sind von massivem Wandel betroffen. Man denke nur an die Sektoren Automobile und Finanzen. Andererseits muss man sagen, dass sich so auch Chancen auftun, wenn man den Mumm hat, es auszusitzen. Insgesamt führt an Aktien, insbesondere nach schärferen Korrekturen und auf mittlere/lange Sicht, kein Weg vorbei.
  • Die Edelmetalle werden wohl nicht ganz zufällig gerade jetzt wiederentdeckt. Nachdem auch in den USA absehbar ist, dass die Zinsen wieder Richtung Null sinken, wird der Hauptnachteil von Gold/Silber nebensächlicher: Sie werfen keinen Ertrag ab. Gleichzeitig gehen auf Perspektive von 20 bis 30 Jahren die relativ leicht zugänglichen Ressourcen zur Neige, wenn man von goldenen Asteroiden absieht. Spannend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Gold/Silber-Ratio. Man teilt dabei den Kurs von Gold durch den Kurs von Silber. Eine Ratio von z. B. 90 sagt also ganz simpel gesprochen aus: Eine Unze Gold kostet 90-mal so viel wie eine Unze Silber. In der Historie lag der Wert ganz selten in der Nähe von 100, auch schon unter 20. Was aber besonders wichtig ist: Als Faustregel kann man sagen, dass steigende Ratios mit Edelmetallbärenmärkten einhergehen und andersherum. Denn Silber reagiert oft wie ein Hebel auf Gold. Steigt Gold also, dann steigt oft Silber noch stärker und vice versa. Wenn man sich die Charts ansieht, sollte gerade Silber noch ordentlich Potenzial bieten. Einen Teil des Vermögens in Gold und Silber zu halten, auch und besonders physisch, ist angesichts der chronischen geldpolitischen Radikalisierung sicher nicht dumm.
Geldpolitik-Immer-locker-bleiben-Kommentar-Daniel-Kühn-GodmodeTrader.de-1

Chart erstellt mit dem Formel-Editor auf Guidants.

  • Kryptowährungen sind auch spannend, aber abseits des Tradings als Investition durchaus heikel, da die Potenziale durch staatliche Maßnahmen stark eingeschränkt werden können. Kein Staat hat ein Interesse daran, Konkurrenz für das eigene Papiergeld heranzuzüchten. Das erkennt man ja auch sofort, wenn man die aktuell rege Diskussion um Facebooks Libra analysiert.

Eines ist sicher: Geldvermögen wurde und wird drastisch entwertet. Das gilt besonders für größere Summen. Es bringt Ihnen nämlich nichts, wenn Sie eine Million auf dem Konto haben und der statistische Warenkorb ist relativ preisstabil. Denn Sie werden mit dem Geld nicht im Supermarkt einkaufen. Die für Sie relevante Preisentwicklung ist daher im Bereich der Sachwerte zu finden. Und hier kann man von Preisstabilität ganz bestimmt nicht sprechen. Aber das kümmert die Zentralbanken natürlich nicht ...

Ihr

Daniel Kühn

PS: Selbstverständlich ist eine Art, dem Nullzins zu entgehen, aktives Trading. Das ist unsere Spezialität. Für den Anfang empfehle ich Ihnen Godmode PRO, um sich inspirieren zu lassen. Für Daytrader erste Wahl sind aktuell im Intraday-Bereich der Short Term Trader, mittelfristig kann ich Ihnen ganz besonders den CCB und Tiedje XXL empfehlen. Im Bereich Technologie-Aktien ist der TecTrader ideal. Und dann gibt es ja noch die Kryptos ...

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19 Kommentare

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  • Gänseblümchen
    Gänseblümchen

    bei einem Kaufpreisfaktor 60-70 Jahresmieten brauchen die Zinsen gar nicht steigen - der Kauf ist bereits bei Nullzins ein Schwachsinn

    18:28 Uhr, 29.07.2019
  • Gänseblümchen
    Gänseblümchen

    was für eine Logik ?

    Die „Rendite" in Form der ersparten Miete ist steuerfrei, ebenso wie der Gewinn aus dem Verkauf des Objekts nach mindestens zwei Jahren Eigennutzung.

    ich kaufe heute eine überteuerte Immobilie zur Eigennutzung und geile mich in 2 Jahren am

    Gewinn auf und gehe dann wieder in Miete - aua

    17:46 Uhr, 29.07.2019
  • shark
    shark

    Mit keinem Wort unterziehen sie die bisherige Notenbankpolitik einer kritischen Würdigungobwohl diesbitter nötig wäre,erweist er sich doch immermehr als "Irrweg".

    Deutschland befindet sich bereits in der Rezession ,trotz "Nullzinspolitik,QE und sonstigen Marktmanipulationen der EZB,von anderen Ländern wie Italien etc ganz zu schweigen

    11:29 Uhr, 29.07.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Ja, sie machen sich anscheinend in Rekordgeschwindigkeit wieder ultralocker, die Herren des Geldes und wenn sie die Erwartungen der quengelnden Märkte mal nicht zu 150% erfüllen, dann reagieren dieselben beleidigt wie die sprichwörtliche beleidigte Leberwurst. Am Donnerstag konnte man das live verfolgen, als nach der EZB-Zinsentscheidung und Mario Draghis PK schnurstracks an den Aktienmärkten die verschärfte Schnappatmung einsetzte. Jedoch, am Freitag war der Fauxpass des EZB-Titanen der den Märkten „Hochprozentiges“ versprochen und lediglich einen Softdrink geliefert hatte bereits wieder vergessen. Denn die Schwergewichte Google und Intel sorgten bei den US-Boys mit tollen Quartalszahlen für beste Stimmung und das US-BIP überraschte deutlich positiv. Zudem ist nach Draghi vor der FED, vor dem „greatest Deal ever“ und vor dem in Kürze stattfindenden Aufschung aus diesem leidigen Schönheitsfehler einer völlig unvorhersehbaren konjunkturellen Abkühlung, nicht wahr?

    Für die Bullenfraktion steht fest, Jerome Powell wird sicher nicht den Draghi machen, er wird liefern, er muß liefern, sonst schickt ihm der Dealmaker die Navy Seals in‘s Haus. Wenn sie sich da mal nur nicht täuschen. Powell hat in den vergangenen Tagen und Wochen wesentlich vorsichtiger und diplomatischer agiert als sein Pendant in Bankfurt und die offensichtlich immer noch sehr starke Verfassung der US-Konjunktur könnte ihn auch zu der Überlegung veranlassen, die Zinsen zwar zu senken, aber vielleicht noch nicht am kommenden Mittwoch. Sollte dieses Aussenseiterszenario unwahrscheinlicherweise am Mittwochabend wie die rechte Gerade von Vitali Klitschko am Kinn der Bullenfraktion landen, dann dürfte an den Märkten die sprichwörtliche Hölle losbrechen. Hand in Hand springen dann die Aktienmärkte mit dem gehassten Urzeitrelikt Gold über die Klippe um beim Aufschlag einen Abdruck zu hinterlassen wie Kater Garfield beim Sturz von einem Wolkenkratzer. Die aktuell wohllüstig feixenden Goldbugs werden dann unvermittelt wieder zu den wildesten aller Verschwörungstheorien greifen um das Debakel zu rechtfertigen.

    Fazit: Sachwert schlägt Geldwert, das hat man jedem Banklehrling bereits vor 40 Jahren vermittelt und somit trifft der tolle Artikel von Daniel Kühn den Nagel auf den Kopf, insbesondere in Zeiten wie diesen. Man sollte als Börsianer allerdings auch jederzeit die verrücktesten Wendungen und Sprünge des Marktes auf dem Zettel haben, denn dieser richtet sich fast nie nach den Wünschen der Masse, vielmehr geht er regelmäßig den Weg des größten Schmerzes.

    23:04 Uhr, 27.07.2019
  • Lumpazi
    Lumpazi

    ,,Goldausbruch mit Substanz: Das Gold zu Silber Verhältnis beginnt sich zu normalisieren."

    Was, bitte schön, ist denn ein normales Gold-Silber-Verhältnis?

    19:48 Uhr, 23.07.2019
    1 Antwort anzeigen
  • godfather
    godfather

    Die Höhe der Freibeträge, bis zu denen die Banken ggf. keine Strafzinsen zahlen müssen, wird ein wichtiges Kriterium dafür sein, wie lange die EZB diese Geldpolitik noch betreiben kann. In dieser Richtung erwarte ich auch noch weitere kreative Maßnahmen der EZB. Ansonsten geben demnächst die ersten Banken den Löffel ab.

    Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe…

    17:45 Uhr, 23.07.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Reinhard Scholl
    Reinhard Scholl

    Hi Daniel,

    Stichwort "Edelmetall" ja, gerade gestern dazu geschrieben :

    "Goldausbruch mit Substanz: Das Gold zu Silber Verhältnis beginnt sich zu normalisieren"

    https://www.guidants.com/share/streampost/,239611

    LG,

    Reinhard

    17:13 Uhr, 23.07.2019
    1 Antwort anzeigen
  • franca
    franca

    Danke für den guten Beitrag!

    Ergänzend noch die Nachricht einer US-Großbank zur weiteren Entwicklung der Negativzinsen im Euroraum: Demnach soll die EU zur Aufrechterhaltung des Euro eine ständige Finanzierung zwischen -5 % und - 7 % jährlich benötigen. De facto werden unsere Kontostände allein dadurch in 10 Jahren halbiert (Kaufkraftverlust durch Inflation nicht berücksichtigt).

    Entsprechend müsste sich das Schuldenmachen lohnen. Bei einem Kredit ab 1.000.000,- €, kannn man dann locker von den Zinsen leben und müsste eigentlich nicht mehr für seinen Lebensunterhalt arbeiten.

    G O L D E N E Z E I T E N !

    13:02 Uhr, 23.07.2019
    3 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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