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17:27 Uhr, 10.02.2011

Geheime Depeschen aus Saudi Arabien

Peak Oil ist Realität

Politiker in den USA sind sich der Gefahr von Peak Oil bewusst und das Thema wird aktiv diskutiert. Depeschen amerikanischer Diplomaten aus dem Nahen Osten enthüllen jetzt, dass das weltweite Förderplateau bei Erdöl als reale Gefahr angesehen wird.

Schon im Jahr 2007 spekulierte Dr. Sadad al-Husseini, der frühere Executive Vice President for Exploration bei der saudischen staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco darüber, dass Saudi Arabien sein Produktionsziel von 12,5 Millionen Barrels Erdöl pro Tag im Jahr 2009 verfehlen werde. Wie der amerikanische Botschafter John Kincannon schreibt, sieht al-Husseini ein weltweites Förderplateau bei Rohöl zwischen 2012 und 2017, das dann 15 Jahre anhalten werde, bevor die Ölförderung schließlich weltweit zurückgehe. al-Husseini bekräftigte außerdem, dass der Ölpreisanstieg im Jahr 2007 nicht darauf zurückzuführen sei, dass die Märkte ihre Funktion verloren hätten. Das sagte er am 20. November 2007, als der Ölpreis kurz vor dem Sprung über die 100-Dollar-Marke stand. Al-Husseini führte die Preissteigerungen darauf zurück, dass die Nachfrage schneller gestiegen sei, als das Angebot. Es habe also eine echte Verknappung von Öl gegeben.

Al-Husseini dürfte wissen, wovon er spricht. Er begleitete seine führende Rolle bei Saudi Aramco von 1994 bis ins Jahr 2004 und war von 1996 bis zu seinem Ruhestand Mitglied im Aufsichtsrat der Gesellschaft. Führende Experten gehen davon aus, dass die weltweite Ölförderung dann zurückgehen wird, wenn die saudische Ölförderung ihren Höhepunkt erreicht haben wird. Al-Husseini glaubt daran, dass Saudi Arabien eine tägliche Ölfördermenge von 12 Millionen Barrels bis zum Jahr 2017 erreichen könnte. Diese Fördermenge werde aber nur eine sehr kurze Zeit möglich sein, und dies auch nur, wenn zuvor sehr viel Geld investiert wurde.

Es gebe mehrere Gründe hierfür. Zum einen könnten, glaubt der Experte, die saudischen Ölreserven nicht so groß sein, wie das immer wieder behauptet wird. Am 1. Dezember 2010 präsentierte Abdallah al-Saif, der Nachfolger von Al-Husseini, die Prognose, dass Saudi Arabien bis zum Jahr 2027 durch neue Technologien seine Reserven auf 900 Milliarden Barrels erhöhen könnte, wovon 70% abbaubar sein werden. Derzeit sind es 716 Milliarden Barrels, wovon 50% abbaubar sind. Al-Husseini stimmt dieser Analyse nicht zu. Die saudischen Reserven würden überschätzt – und das sogar um bis zu 300 Milliarden Barrels. In Wirklichkeit habe Saudi Arabien nur 360 Milliarden Barrels an Ölreserven. Wenn die Hälfte dieser Reserven gehoben ist, werde ein langsamer, aber unwiderruflicher Rückgang der Fördermengen eintreten. Bis zum Jahr 2007 wurden 116 Milliarden Barrels gefördert. Bei einer täglichen Fördermenge von 12 Millionen Barrels würde der Hochpunkt der saudischen Ölförderung also im Jahr 2021 erreicht werden.

Wir haben in diesem Report oft darauf hingewiesen, dass es nicht genügt, neue Felder in Produktion zu nehmen, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Neue Felder müssen die steigende Nachfrage befriedigen und zusätzlich auch die fallenden Fördermengen alternder Felder ausgleichen. Al-Husseini gibt hier weitere Details. Er schätzt, dass jährlich neue Fördermengen von 6 Millionen Barrels/Tag erschlossen werden müssten, um eine Steigerung der Nachfrage um 2 Millionen Barrels/Tag und einen Rückgang der Fördermenge alternder Felder von 4 Millionen Barrels/Tag auszugleichen.

Weiter oben in der Depesche erwähnt der Diplomat Kincannon, dass Al-Husseini im Jahr 2004 von Saudi Aramco ausschied, weil er den Sprung an die Spitze des Konzerns nicht schaffte. Auch wenn er heute noch in den Unterkünften von Saudi Aramco lebt und enge Freundschaften zu Mitgliedern der Gesellschaft pflegt, „sind viele von Al-Husseinis Ansichten geprägt von der Meinung, dass Saudi Aramco mit ihm besser laufen würde“.

Al-Husseini verweist laut der Depesche darauf, dass das weltweit verfügbare Ölangebot durch die Nachfrage der schnell wachsenden Schwellenländer China und Indien, aber auch durch die steigende Binnennachfrage der Erdöl exportierenden Länder immer knapper werde. Pro einer Million Barrels/Tag, um welche die Nachfrage über das Angebot steigt, werde der Ölpreis um 12 Dollar pro Barrel steigen. Neufunde seien nicht ausreichend, um den Rückgang der Förderleistung der Elefantenfelder wie das saudische Ghawar-Ölfeld auszugleichen.

Saudi Arabien übertreibe bei seinen Ölförderprognosen, um ausländische Investoren anzulocken. Aber auch internationale Prognosen seien übertrieben, sagte Al-Husseini im Jahr 2007. Die Prognose der Internationalen Energieagentur IEA, wonach der Nahe Osten maßgeblich dazu beitragen könne, die weltweite Ölförderung auf weit über 100 Milliarden Barrels zu heben, sei nicht realistisch. Eine wahre Prognose, wie sich heute herausstellt. Die IEA hat ihre Prognose für die weltweite Förderkapazität bis zum Jahr 2035 im Jahr 2009 von 110 auf 96 Millionen Barrels pro Tag gesenkt. Heute liegt die tägliche Ölfördermenge bei 88 Millionen Barrels. Die IEA erwartet also nur noch einen Anstieg der Ölfördermenge um 9% - in 25 Jahren!

Politiker müssten sich auf die unangenehme Wahrheit vorbereiten, fordert Al-Husseini. Al-Husseini sieht sich, wie der US-Diplomat weiter schreibt, nicht im „Peak-Oil-Camp“, widerspricht auch den Prognosen von Peak-Oil-Gurus wie Matthew Simmons und wegen der großen Erfahrung von Al-Husseini sollten seine Einschätzungen sorgfältig geprüft und in Erwägung gezogen werden.

In einer Depesche am 3. Juni 2008, als der Ölpreis bei 124 Dollar notierte, war die Stimmung schon weit angeheizter. Saudi Arabien erlebte einen massiven Zustrom an Petrodollars und Banken und saudische Investoren sorgten sich um eine Aufwertung der saudischen Währung. Viele Investoren hielten daher RIyals und größere Mengen an US-Dollars waren zu dieser Zeit kaum zu bekommen, schreibt der Diplomat Michael Gfoeller. Er verweist in der Depesche auch darauf, dass der saudische König es bevorzuge, das Öl für zukünftige Generationen in der Erde zu lassen, anstatt es gegen Dollars zu verkaufen, die morgen weniger wert sein werden. Der Diplomat stellt außerdem in Frage, ob Saudi Arabien überhaupt noch in der Lage ist, die Ölpreise nach unten zu regulieren. Es sei Saudi Arabien gelungen, die Ölpreise nach oben zu treiben. Trotz des Besuchs von Präsident Bush in Saudi Arabien und dem Eingeständnis des Königreichs, 300.000 Barrels Öl pro Tag mehr zu fördern, stiegen die Ölpreise im Folgemonat noch fast bis auf 150 Dollar pro Barrel. Die Amerikaner sorgen sich um diese „Umweltschutz-Moral“ der Saudis. Dies könne, so schreibt der Diplomat Gfoeller ins Weiße Haus, „in Zukunft die Ölpolitik Saudi Arabiens bestimmen.“

Das war eine sehr präzise Prognose des Diplomaten. Tatsächlich hat es bereits ein Umdenken im Königshaus Saud über die zukünftige Ölförderung gegeben. Im Oktober 2010 meldete sich der Ölminister Saudi Arabiens, Ali Al-Naimi, und versuchte zu beschwichtigen. Er müsse alle enttäuschen, die daran glauben, dass die Zeit des billigen Öls vorüber sei, hieß es in einer Agenturmeldung von Reuters. „Wie könnte ich behaupten, dass es kein billiges Öl mehr gibt, wir haben immer noch 88 Milliarden (Barrels) im Ghawar-Feld (…) Sie können die Behauptung, dass es kein billiges Öl mehr in Saudi Arabien gibt, getrost vergessen.“ Natürlich: Saudi Arabien hat noch genügend Öl. Al-Naimi meldete sich zu einem delikaten Zeitpunkt. Auf der anderen Seite des Globus tagte in der vergangenen Woche die ASPO, ein Verband, der sich auf die Erforschung des Problems des weltweiten Ölfördermaximums spezialisiert hat.

Was die Ölpreise heute vor allem bestimmt, ist nicht der Preis der gesamten Produktion, sondern die Entwicklung der Grenzkosten zusätzlicher Produktion. Wenn irgendwo auf der Welt die Nachfrage um zum Beispiel 300,000 Barrels täglich wächst, muss das Angebot um diesen Betrag gesteigert werden. Saudi Arabien prognostizierte noch unlängst eine Fördermengenkapazität von 12,5 Millionen Barrels täglich. Diese Menge solle in wenigen Jahren durch eine bessere Wartung des Ghawar-Ölfelds und durch die Erschließung des Manifa-Feldes möglich sein (vor wenigen Jahren war noch von einem Potenzial bis 15 Millionen Barrels/Tag die Rede).

Experten zufolge hat Saudi Arabien Probleme, die Geschwindigkeit, mit der das eingepumpte Wasser sich im Ghawar-Feld verteilt, zu beschleunigen (aus dem Ghawar-Feld kann heute nur deshalb Öl gefördert werden, da Millionen Liter Wasser hinein gepumpt werden, um den Druck aufrecht zu erhalten). Offenbar geht Saudi Arabiens Ölkonzern Saudi Aramco jetzt vorsichtiger vor. Al-Naimi sprach in der vergangenen Woche von nur noch 12 Millionen Barrels/Tag, die einmal gefördert werden könnten. Heruntergebrochen auf die weltweite Ölförderkapazität stehen also zukünftig 500,000 Barrels/Tag weniger auf der Agenda.

Strategiewechsel im Königshaus Saud

Weitere Besorgnis erregende Entwicklungen gibt es rund um das Manifa-Ölfeld, dem größten Hoffnungsträger Saudi Arabiens. Das Feld enthält saures Öl, das einen starken Schwefelanteil hat. Außerdem ist das Öl stark mit Vanadium kontaminiert. Um aus diesem Öl vermarktungsfähige Mineralölprodukte wie Benzin oder Diesel herzustellen, bedarf es spezielle Raffinerien, die Saudi Arabien im eigenen Land bauen will. Die Bauarbeiten für die zwei geplanten Raffinerien verlaufen aber schleppend. In anderen Worten: Ohne die beiden Raffinerien ist das Öl im Mainifa-Feld bedeutungslos. Bislang war das Jahr 2013 für die Fertigstellung der Raffinerien angepeilt. In neuen Agenturmeldungen war schon vom Jahr 2024 die Rede. Wenn das kein Tippfehler war, würde dies bedeuten, dass Saudi Arabien seine Strategie geändert hat und in den kommenden Jahren nicht mal annähernd das Ziel von 12 Millionen Barrels/Tag anpeilt. Auch die Aussagen des Ölministers deuten auf einen Strategiewechsel hin:

Naimi sagte, dass das Königreich ausreichende Kapazitäten für eine tägliche Fördermenge von 12 Millionen Barrels besitzt und dass es eine Strategie verfolgt, seine Ressourcen zu bewahren und neue Energiequellen zu erschließen. „Wir haben die Produktionskapazität und wir müssen unser Vorkommen nicht in der Geschwindigkeit erschöpfen, als jemand, der das Ganze als Investment betrachtet (…) Also müssen wir unsere Quellen nicht so schnell erschöpfen, wie wir sollten“, erklärt Naimi.

Da auch die saudische Binnennachfrage nach Öl steigt und immer mehr Öl nach China verkauft wird, sinkt damit zwangsläufig die für den Westen verfügbare Menge an Öl. Wenn man annimmt, dass der weltweite Ölverbrauch pro Jahr um 1,5 Millionen Barrels wächst, dürfte der Ölverbrauch in zwei Jahren das verfügbare Angebot übersteigen. Das ist die Botschaft, die nach der ASPO-Konferenz veröffentlicht wurde. Es ist interessant, dass Saudi Arabien diese Botschaft gleich kurz nach Ende der Konferenz – zumindest zwischen den Zeilen - bestätigte.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets
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Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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