Fundamental ist das Aktien-Glas halbvoll
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Erwähnte Instrumente
Im II. Quartal 2014 setzt sich die globale Konjunkturerholung fort. Setzt man die Einschätzung der Geschäftslage und der -erwartungen des weltweiten Verarbeitenden Gewerbes laut ifo Institut zueinander in Beziehung, so bleibt die Weltwirtschaft im Übergang von Aufschwung zur Boomphase. Während allerdings die Geschäftsaussichten der US-Industrie weiterhin robust sind, haben die Konjunkturerwartungen in Asien nachgegeben. Immerhin aber deuten die „harten“ Daten der chinesischen Industrieproduktion im April mit 8,7 Prozent eine konjunkturelle Stabilisierung an. Frankreich droht, nach einem Null-Wachstum zum Jahresbeginn in die Stagnation abzudriften. Mit einem Wachstum von 0,8 Prozent im I. Quartal gegenüber dem Vorquartal bleibt Deutschland konjunkturelles Zugpferd in Euroland, das nur mit 0,2 Prozent wachsen kann.
GRAFIK DER WOCHE: ifo Konjunkturmatrix der Weltwirtschaft
Frühindikatoren zeigen Verstetigung der deutschen Konjunktur
Kritisch fallen die Konjunkturerwartungen des ZEW aus, die sich von 61,7 zu Jahresbeginn vermeintlich dramatisch auf aktuell 33,1 verringert haben. Sicherlich hinterlassen wirtschaftliche Unsicherheitsfaktoren in den Schwellenländern sowie in punkto Ukraine-Krise Bremsspuren in der deutschen Exportindustrie. Bei näherer Betrachtung kommt dieses ad hoc schlechte Umfrageergebnis jedoch maßgeblich nur deshalb zustande, weil die Geschäftserwartungen von vielen vom ZEW befragten Finanzanalysten mit gleichbleibend eingestuft wurden. Insofern rechnen sie mit einer Verstetigung der deutschen Konjunktur auf aktuell hohem Niveau. Im Übrigen halten sich die auf direkten Unternehmensbefragungen basierenden ifo Geschäftserwartungen bislang deutlich stabiler.
Wo keine Euro-Krise, da kein Sparzwang
Um den konjunkturellen Erholungsprozess in der Eurozone nicht zu gefährden, schont die EU-Kommission die prekären Euro-Staaten in punkto Sparvorgaben weiter. So wird auch in diesem Jahr die Einhaltung des Maastricht-Defizitkriteriums von drei Prozent Neuverschuldung zur Wirtschaftsleistung für Irland, Portugal, Spanien und Frankreich nicht eingefordert. Dennoch rühmen sich diese Staaten ihrer kleiner werdenden Haushaltsdefizite. Tatsächlich gelingt diese glückliche Fügung vor allem nur deshalb, weil das Euro-Rettungsversprechen der EZB mit der Folge geldpolitisch erzwungener, deutlich sinkender Staatsanleiherenditen den Zinsdienst auf Staatsschulden erleichtert. Damit üben die euroländischen Zinsmärkte - wie früher noch bei schlechtem Haushaltsgebaren üblich - aber auch keinen disziplinierenden Druck mehr gegen schwache Haushaltsdisziplin aus. Im Gegenteil, so erlaubt man den nationalen Finanzministern sogar noch eine laxere Finanzdisziplin, also mehr Schulden zur staatlichen Konjunkturstützung. Ob gespart wird oder nicht, spielt im Zeitalter der geldpolitischen Rentenmarktsteuerung keine entscheidende Rolle mehr: Die Renditen sind so oder so niedrig.
Nicht zuletzt sind diese Zinserleichterungen auch ein wesentlicher Grund, warum die prekären Euro-Staaten in punkto Schuldenrückführung vergleichsweise gut im Rennen liegen. Frankreich liegt sogar vor dem Zeitplan und auch Italien kommt planmäßig voran. Vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Planungen, die Unternehmenssteuern zu senken, bleibt allerdings abzuwarten, ob diese positive Dynamik anhält. Im Gegensatz dazu tritt Spanien - als Land mit vergleichsweise hohem Konsolidierungsziel - bei der Schuldenrückführung bisher auf der Stelle.
Was ist eigentlich mit...Rohstoffen?
Der jahresanfängliche Gegenwind der Weltwirtschaft für Rohstoffe lässt nach. Zwar befindet sich der von der Citigroup veröffentlichte ökonomische Überraschungsindex - er misst positive sowie negative Abweichungen der tatsächlichen Konjunkturdaten von den Konsensschätzungen der Volkswirte - aktuell noch in negativem, also Enttäuschungs-Terrain. Immerhin jedoch konnte er seinen Abwärtstrend seit Februar stoppen und stabilisiert sich seit Anfang April zunehmend. Zukünftig ist von einer sukzessiven Verbesserung auszugehen. Während die Anleger angesichts der Krisenberuhigung in den Schwellenländern zunehmend den sicheren Hafen der Edelmetalle verlassen, setzen Energierohstoffe ihre volatile Seitwärtsbewegung um ihren Jahresanfangswert weiter fort. Die konjunktursensitiven Industriemetalle konnten sich von ihrer zwischenzeitlichen Schwäche nahezu erholen. Die eindeutigen Gewinner sind allerdings Agrarrohstoffe, die zu Jahresbeginn von einer befürchteten Angebotsverknappung insbesondere bei Weizen und Mais als Folge des harten Winters in den USA profitieren konnten.
Insgesamt zeigen sich Agrarrohstoffe deutlich preisstabiler als andere Rohstoffe. Im Vergleich zu Industriemetallen, Rohöl und dem Rohstoff-Gesamtmarkt fallen - historisch im Vorjahresvergleich betrachtet - Preissteigerungen als auch -senkungen bei Agrarrohstoffen deutlich geringer aus. Die oft zu findende Behauptung, dass ausgiebige Spekulationen massive Preisverwerfungen und Volatilitäten hervorrufen, lassen sich damit nicht eindeutig bestätigen.
Spekulanten finden Kakao sexy
Allerdings ist bei einzelnen Agrarrohstoffen ein Spekulationstrieb gegeben. Insbesondere kleine Rohstoffsegmente mit überschaubarem Produktionsvolumen und empfindlichen Anbaubedingungen in zusätzlich politisch instabilen Regionen ziehen Spekulanten an. Hierzu zählt auch der Kakaomarkt als kleinster soft commodity-Markt weltweit. Hier ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Spekulation auf dem Terminmarkt und der Preisentwicklung von Kakao erkennbar. So haben seit März 2013 die Spekulationen auf einen steigenden Kakaopreis massiv zugenommen, was zu einer Preissteigerung bei Kakao seitdem von rund 40 Prozent geführt hat.
Deutsche Berichtsaison im Ausblick zuversichtlich
Die fallenden Preise an den Strombörsen im Zuge der Energiewende, der starke Euro und der milde Winter machen den Versorgern E.ON und RWE zu schaffen, die einen Rückgang des Konzernüberschusses um 13 bzw. 35 Prozent zum Vorjahr hinnehmen mussten. Der Ausblick bleibt verhalten. ThyssenKrupp schreibt erstmals seit rund zwei Jahren dank eines starken Industriegütergeschäfts sowie einer gesteigerten Kosteneffizienz wieder schwarze Zahlen. Im Ausblick erhöht der Stahlkonzern seine Prognose und erwartet eine deutliche Verbesserung in Richtung ausgeglichenem Jahresergebnis. Die Deutsche Post konnte trotz negativer Währungseffekte und fehlenden nennenswerten Konjunkturimpulsen ein operatives Gewinnplus von 2,3 Prozent zum Vorjahr erzielen. Der Ausblick mit u.a. einer fortgeführten Expansion in den Schwellenländern stimmt auch für die Zukunft positiv.
Konjunkturstützung der EZB spricht für deutsche Aktien
Aktuelle Marktlage und Charttechnik
Die europäischen Aktienmärkte zeigen sich trotz der im Hintergrund schwelenden Ukraine-Krise stabil. Haben in den vergangenen Wochen negative Nachrichten, die zu einer Sanktionsspirale zwischen dem Westen und Russland führen könnten, noch für deutliche Volatilität insbesondere bei geopolitisch und konjunktursensiblen deutschen Aktienmärkten gesorgt, so scheint die Ukraine-Krise zumindest aktuell an Brisanz verloren zu haben.
Eine massive Stütze für die Aktienmärkte ist die geldpolitische Phantasie der EZB. So gelten eine Senkung des Leitzinses und ein negativer Einlagenzins auf der nächsten EZB-Sitzung nach der Europawahl im Juni - auch wegen entsprechenden Quasi-Versprechen von unterschiedlichen Mitgliedern der EZB - als nahezu sicher, was u.a. über eine Abwertung des Euro auch der Konjunkturerholung in Euroland unter die Arme greifen soll. Bereits jetzt zeigt sich die Gemeinschaftswährung schwächer. Darüber hinaus wird laut EZB-Chefvolkswirt Praet an weiteren Maßnahmen zur Liquiditätsverstärkung gearbeitet.
Die damit verbundene Konjunkturunterstützung wird MDAX und DAX als konjunkturelle Frontaktienmärkte in der zweiten Jahreshälfte deutlichen Rückenwind verleihen. In diesem Jahr entwickelten sich deutsche Aktien bislang schlechter als ihre europäischen Wettbewerber.
Nach dem der DAX aus charttechnischer Sicht die Marken bei 9.600 Punkten dynamisch überwinden konnte, liegen die nächsten Hürden bei 9.721 und am bisherigen Jahreshoch bei 9.794 Punkten. Darüber dürfte die psychologisch wichtige Marke bei 10.000 Punkten angesteuert werden.
Auf der Unterseite erhält der DAX eine erste nennenswerte Unterstützung an der Marke bei 9.600 Punkten. Darunter gibt der Bereich um die 9.350 Punkte Halt. Wird auch diese Unterstützung durchbrochen, müssen Kursverluste bis zu dem seit Juni 2013 bestehenden Aufwärtstrend bei derzeit 9.229 Punkten ins Auge gefasst werden.
ifo im Fokus
Und was passiert in der nächsten Woche?
In den USA deutet der Index der Frühindikatoren auf eine anhaltende Erholung der US-Wirtschaft hin. Das von der Fed veröffentlichte Protokoll der zurückliegenden Zinssitzung gibt weiteren Aufschluss über die zukünftige US-Geldpolitik.
In Euroland dürfte der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe nicht zuletzt dank der soliden Konjunkturstimmung in Deutschland seine Stabilisierungstendenz fortsetzen. Robust dürften auch die vom ifo Institut veröffentlichten Geschäftsklimazahlen als wichtigstes Konjunkturbarometer für die deutsche Wirtschaft ausfallen. Ein gewisser Gegenwind im Zuge der anhaltenden Ukraine-Krise ist jedoch nicht auszuschließen.
HALVERS WOCHE: Fundamental führt an deutschen Aktien kein Weg vorbei
Wäre Deutschland eine Glühbirne, hätte es wirtschaftlich gesehen die stärkste Leuchtkraft unter allen europäischen Ländern. Im Vergleich leuchten die deutschen Frühindikatoren wie Xenon-Licht.
Neben dem klassischen deutschen Stabilitätsvorsprung honorierte die Aktienbörse diese konjunkturelle Zuversicht schon in den Jahren 2012 und 2013 mit einer massiven Outperformance deutscher Aktien gegenüber der europäischen Konkurrenz.
Aktien in Italien und Portugal - Auferstanden aus Ruinen
In diesem Jahr sieht es allerdings etwas anders aus. Deutsche Aktien sind Underperformer, ja der DAX ist bislang einer der schwächsten Indices in Europa. Während wir uns mit etwa zwei Prozent bislang wenig vom Jahresendstand 2013 entfernen konnten, kommen die Aktienmärkte aus Italien, Portugal oder Spanien - wie von Conchita Wurst besungen - wie der Phönix aus der Asche und legen fast zweistellig zu.
Was ist passiert, dass die Aktienmärkte aus Euro-Süd ihr großes Nachholpotenzial gegenüber deutschen Aktien ausschöpfen können?
Das liegt erstens daran, dass für die Euro-Staatsschuldenkrise gilt: Vom geldpolitischen Winde verweht. Ob Portugal, Spanien oder Italien, die Risikoaufschläge ihrer Staatsanleihen zu deutschen gehen runter wie Öl. Wenn aber zweitens diese Systemkrise nur noch ein zahnloser Tiger ist, gibt es auch keinen Grund mehr, die fundamentalen Aktienperlen zu ignorieren. Ohne Zweifel gibt es in der Euro-Südzone zahlreiche Unternehmen von tadellosem Weltruf, z.B. im Konsumbereich.
Und drittens werden deutsche Aktien, die deutlich stärker am geopolitischen und konjunkturellen Fliegenfänger hängen, etwas kritischer beäugt. Ein Wirtschaftskrieg mit Russland träfe Deutschland geopolitisch und konjunkturell deutlich stärker als die anderen Euro-Länder. Auch die zwischenzeitlich konjunkturell zickenden Schwellenländer mit exportschädlichen Währungsschwächen haben auch schon an den Erträgen vieler deutscher Exportwerte genagt wie der Marder an der Innenverkleidung von Autos.
Was nun, DAX?
Grundsätzlich glaube ich, dass Aktien in Euro-Süd bis Jahresende durchaus weiter laufen werden. Denn die Euro-Schulden- bzw. -Bankenkrise hat die EZB aus dem Euroraum verbannt. Insofern spricht nichts dagegen, bei Aktienanlagen auch süd-europäisch zu denken.
Dennoch sollte man auch deutsche Aktien unbedingt auf dem Radar haben. Ja, die Euro-Südzone ist zwar den Krisenvirus durch das Breitbandantibiotikum von Gevatter Mario los geworden wie einen lästigen Grippeerreger. Aber ansonsten, in punkto fundamentaler Substanz? Deren infrastrukturelle Defizite bei gleichzeitig umfänglicher Reformverweigerung sind fundamental nicht der ultimative Stoff, aus dem die Aktienträume sind. Deutschland hat es da mit seinen Standortfaktoren schon besser. Die Chinesen singen bereits seit Jahren das hohe Lied auf die deutsche Konjunktur mit der Inbrunst der Fischer-Chöre.
Da es Draghi vor allem um geldpolitische Konjunkturdüngung geht, fällt diese im konjunktursensiblen deutschen Aktienmarkt auf besonders fruchtbaren Boden. Angst vor deutschen Aktien? Hab ich nicht! Die guten deutschen BIP-Zahlen für das I. Quartal waren doch schon einmal ein schöner Anfang.
Sell in May and go away ist auch nur ein Börsenkalauer
Wenn einem so viel Gutes wird beschert, das ist schon ein baldiges Ende der Underperformance deutscher Aktien wert
Immerhin, deutsche Aktien sind schon rekordverdächtig. Bis zur historischen Marke von 10.000 Punkten ist es im DAX rein rechnerisch nicht mehr weit. Allerdings muss der DAX zunächst einmal sein kürzlich erklommenes Allzeithoch nachhaltig nach oben durchbrechen. Dazu scheint den Anlegern aktuell noch der Mut zu fehlen. Die geopolitische Lage ist noch zu unübersichtlich.
Aber im Juni kommt eine gute Gelegenheit. Denn dann wird Herr Draghi nicht nur geldpolitische Verbalerotik betreiben, sondern tatsächlich zins- und liquiditätspolitisch handeln.
Eines ist aber schon heute klar: Die Börsenweisheit „Sell in May and go away“ scheint auch nur eine von vielen Börsenweisheiten zu sein, für die man fünf Euro ins Phrasenschwein stecken sollte.
VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK
KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
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