Kommentar
20:47 Uhr, 16.01.2008

Friseure und Taxifahrer

Tatsächlich büßte der DAX während des letzten großen Wirtschaftsabschwungs nach der Jahrtausendwende drei Viertel seines Wertes ein. Doch es gibt entscheidende Unterschiede zu damals: Im Jahr 2000 kannte die Euphorie keine Grenzen: Friseure, Taxifahrer und die BILD-Zeitung schwärmten vom Reichtum durch Aktien, alle Welt war investiert. Davon ist derzeit weit und breit nichts zu sehen.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu damals wird deutlich, zieht man die Bewertungsmaßstäbe heran: Auf dem Höhepunkt der Kaufpanik im Frühjahr 2000 wurden die DAX-Firmen mit dem 28fachen ihres Jahresgewinns bewertet. Heute liegt das Kurs- Gewinn-Verhältnis (KGV) durchschnittlich bei etwa zwölf. Der Grund: Die Firmengewinne haben sich seitdem mehr als verdoppelt.

Rechnen wir weiter: Sollten die Gewinne der DAX-Unternehmen in einer ausgeprägten Rezession um ein Viertel einbrechen, dann würde das KGV um 25 Prozent steigen – läge also bei etwa 15. Und dieser Wert entspricht ziemlich genau dem langjährigen Durchschnitt. Aktien wären dann also „fair“ bewertet. Die aktuelle Situation erinnert ansatzweise an die Rezession Mitte der 1990er-Jahre. Seinerzeit sanken die Gewinne der DAX-Firmen, doch der Index legte zu: 1995 um acht und im Jahr darauf um 28 Prozent. Und unmittelbar vor dem Konjunktureinbruch lag das KGV bei etwa 15, war also sogar noch etwas höher als heute.

Doch auch wenn sich der DAX derzeit scheinbar von den USA abkoppelt, dürften die treibenden Signale weiterhin aus den Vereinigten Staaten kommen: Sollte sich der Abwärtstrend dort verschärfen, hat auch der DAX schlechte Karten. Ein Abwärtspotential von 25 bis 30 Prozent vom letzten Hoch gerechnet würde dem langjährigen Durchschnitt einer rezessionsbedingten Korrektur entsprechen. Die Marke von 6.000 Zählern würde der DAX in diesem Fall wohl ins Visier nehmen. Rückenwind bekamen die Bären am Freitag vergangener Woche durch eine Gewinnwarnung von American Express (US-Kürzel AXP): Die Ausgaben der Verbraucher, die per Kreditkarte bezahlen, verlangsamten sich, hieß es. Außerdem würden die Zahlungsausfälle der Kreditkartenschuldner zunehmen. Beides dürfte dazu führen, dass der Konsum in den USA weiter unter die Räder kommt – und damit die Aktienkurse.

Ein Blick herüber zu den USA.

In der langfristigen Darstellung (Abb. 9) ist gut zu erkennen, wann sich die Anleger in ihrer Gier stark verschuldet haben, um Aktien zu kaufen:

Abb. 9 Die spannende Frage lautet: Was machten die Aktienmärkte in Zeiten, die Phasen ausufernder Kreditspekulation folgten?

Dem Anstieg der Aktienkäufe auf Pump folgte an den Börsen zumindest eine ausgeprägte Flaute, manchmal auch ein dramatischer Einbruch.

Im Einzelnen: Nach 1972 wurden die Anleger für ihre Gier mit einem Einbruch beim S&P 500 um satte 50 Prozent abgestraft, und zwar über einen Zeitraum von zwei Jahren...

Zum Glück geht es auch weniger dramatisch: 1976-77 kamen die Aktienkurse einfach nicht vom Fleck, nachdem kurz zuvor die Verschuldung für Aktienkäufe stark angestiegen war.

Zu Beginn des Bullenmarktes der 1980er Jahre war Mitte 1984 der Anstieg der Kreditkäufe Vorbote für ein Jahresergebnis beim S&P 500, bei dem unter dem Strich nichts zu verdienen war.

Gleiches galt nach 1993: Einem Anstieg der Kreditkäufe folgte eine Durststrecke über rund anderthalb Jahre. Auch in dieser Phase war mit Aktien kein Blumentopf zu gewinnen.

Die beiden jüngsten Beispiele für einen exorbitanten Anstieg der Aktienkäufe auf Pump sind in der Grafik Abb. 8 (Abo-Bereich) abgebildet. Klar ist: Eine Baisse nach dem Strickmuster der Jahre 2000 bis 2003 ist angesichts der fundamentalen Bewertungen sehr unwahrscheinlich; auf eine längere Phase mit schwachen Aktienmarktrenditen sollte man sich aber durchaus einstellen, zumindest in den USA.

Die spannende Frage lautet nun, ob sich die Weltkonjunktur von einem Einbruch in den Vereinigten Staaten abkoppeln kann. Pessimisten befürchten einen Dominoeffekt: Danach könnte die sinkende Nachfrage in den USA die Schwellenländerindustrien reihenweise in Schwierigkeiten bringen - und in der Folge auch Länder wie Deutschland, deren Wachstum vom Export getragen wird. Eine wirtschaftliche Talfahrt in den USA ließe zudem nicht nur die globale Konjunktur, sondern auch die Kurse an den Börsen weltweit in die Tiefe rauschen.

Ihr Andreas Hoose

Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs und Geschäftsführer des Antizyklischen Aktienclubs.

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Informationen finden Sie unter [Link "www.antizyklischer-börsenbrief.de" auf www.antizyklischer-b%C3%B6rsenbrief.de/... nicht mehr verfügbar]

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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