Kommentar
18:05 Uhr, 03.01.2023

Freie Fahrt für weitere kräftige Zinserhöhungen?

Der zukünftige Zinspfad hängt nicht nur von der Inflation ab, sondern auch vom Arbeitsmarkt. Hier stellt sich die Notenbank selbst einen Freifahrtschein aus.

Ein Teil des Mandats der Notenbank (Vollbeschäftigung) ist erfüllt. Der andere Teil, niedrige Inflation, ist es nicht. Die Arbeitslosenrate darf sogar steigen, ohne das Mandat zu gefährden. Die nichtzyklische Arbeitslosenrate wird vom CBO (Congressional Budget Office) auf 4,4 % geschätzt. Erst wenn die Arbeitslosenrate darüber steigt, ist das Mandat gefährdet.

Davon ist der Arbeitsmarkt noch ein Stück entfernt. Ohnehin gewichtet die Notenbank Preisstabilität derzeit höher. Solange der Arbeitsmarkt gut läuft und die Löhne um 6 % steigen, ist ein nachhaltiger Rückgang der Inflation auf 2 % unrealistisch. Wenn Unternehmen ihren Angestellten 6 % mehr zahlen, werden sie ihre Preise kaum um maximal 2 % anheben, sondern zumindest um 6 %.

Um das zu verhindern, muss die Arbeitslosenrate steigen. Gibt es viele Arbeitssuchende, kann ein geringerer Lohnanstieg durchgesetzt werden. Es gibt ausreichend Menschen, die einen geringeren Teuerungsausgleich akzeptieren. Davon ist die US-Wirtschaft weit entfernt. Daher sind die immer wieder aufkeimenden Zinshoffnungen verfrüht.

Die Arbeitslosenrate steigt vor allem dann, wenn die Wirtschaft schrumpft. Daher interessiert alle, ob bzw. wann es zur Rezession kommt. Die Arbeitslosenrate ist für gewöhnlich kein guter Vorlaufindikator. Dafür hat die regionale Notenbank von San Francisco nun einen Ausweg gefunden.

Anstatt die traditionelle Arbeitslosenrate zu betrachten, wird die Arbeitslosenrate zur Analyse herangezogen, bei der temporär beurlaubte Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden. Der Unterschied war vor allem in der Anfangszeit der Pandemie sehr groß. Vielen wurde nicht gekündigt, sie wurden beurlaubt (Grafik 1).


Diese Art der Arbeitslosenrate eignet sich besser als die Zinskurve, um eine Rezession zu prognostizieren, auch wenn beide grundsätzlich parallel verlaufen (Grafik 2). Die Zinskurve ist allerdings volatiler und hat ein großes Problem. Invertiert sie, kommt es erst mit großer Verzögerung zur Rezession.

Im Durchschnitt invertiert die Zinskurve 15,5 Monate vor dem Beginn einer Rezession. Es können aber auch einmal 18 oder 24 Monate sein (Grafik 3). Damit ist das Signal für Anleger grundsätzlich unbrauchbar. Der Aktienmarkt schaut ungefähr sechs Monate in die Zukunft. 24 Monate interessieren kaum.

Die geglättete Arbeitslosenrate ist da besser. Sie verkürzt den Prognosehorizont auf 6-8 Monate. Die in Grafik 4 dargestellte Glättung ist nicht ganz die gleiche, die die Fed verwendet. Der Eindruck ist jedoch der gleiche. Die Arbeitslosenrate dreht kurz vor Rezessionsbeginn nach oben. Aktuell tendiert sie weiter abwärts.

Dadurch können Anleger einerseits aufatmen. Eine Rezession ist im ersten Halbjahr 2023 nicht zu erwarten. Andererseits braucht es wohl eine deutlich straffere Geldpolitik, damit das Inflationsziel über den Umweg Arbeitsmarkt erreicht wird. Konjunkturängste sind kurzfristig unbegründet. Der Arbeitsmarkttrend gibt der Fed sogar die Erlaubnis, die Zinsen weiterhin kräftig anzuheben. Sie wird sich allerdings vorerst an ihren eigenen Fahrplan halten, sodass ein geringeres Tempo zu erwarten ist.

Clemens Schmale

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