Kommentar
11:46 Uhr, 04.11.2015

Flüchtlingskrise und Konjunktur

Martin Hüfner beginnt die bisherigen Konjunkturprognosen in Frage zu stellen. Bisher gingen die meisten davon aus, dass sich der Aufschwung in Deutschland 2016 fortsetzen, vielleicht sogar leicht beschleunigen wird. Es gibt Anzeichen für das Gegenteil.

  • Das Wachstum der deutschen Wirtschaft wird im nächsten Jahr aller Voraussicht nach geringer ausfallen als bisher geschätzt.
  • Grund ist, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft in den letzten Wochen verschlechtert hat. Die Einschätzung der Flüchtlingskrise dreht sich.
  • Privater Konsum und Investitionen verlieren an Schwung. Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen. In Teilbereichen steigen die Preise.

Ich fange an, die bisherigen Konjunkturprognosen in Frage zu stellen. Bisher gingen die meisten davon aus, dass sich der Aufschwung in Deutschland 2016 fortsetzen, vielleicht sogar leicht beschleunigen wird. Der private Verbrauch wird, so die Annahme, zunehmen und dämpfende Effekte, die vom Export kommen können, auffangen. Die Wirtschafts­forschungsinstitute taxierten den Anstieg der realen Wirt­schaftsleistung für nächstes Jahr auf 1,8 %.

Ich fand diese Vorhersage ursprünglich vernünftig. Jetzt mache ich ein Fragezeichen dahinter. Grund ist, dass sich die Stimmung gegenüber dem Flüchtlingszustrom dreht. Die positiven Stimmen aus den Unternehmen werden leiser, die kritischen lauter.

»Es ging kein "Ruck" durch die Verwaltung, wie es bei der Aufnahme von so vielen Flüchtlingen eigentlich erforderlich gewesen wäre. Solch ein Ruck hätte sich auch positiv auf die Reformbereitschaft und Dynamik in den Unternehmen ausgewirkt.«

Natürlich gilt nach wie vor, dass die Zuwanderung positive Nachfrageeffekte auslöst. Der private Verbrauch steigt. Der Staat muss zusätzliche Milliarden für Unterbringung, Trans­port, Registrierung, Schutz der Flüchtlinge und anderes ausgeben. Das erhöht für sich genommen das reale BIP um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte. Es wirkt wie ein Konjunkturpro­gramm (siehe mein Wochenkommentar 15-36 vom 9. Sep­tember 2015).

Inzwischen zeigt sich jedoch, dass es daneben noch eine Reihe anderer Effekte gibt. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass der Staat beim Management der Krise in Verzug ist. Vom ursprünglichen Plan der Bundeskanzlerin, die "Kultur der Gründlichkeit durch eine Kultur der Flexibilität zu ergänzen", ist bisher nichts zu erkennen.

Da kann man viele Beispiele nennen. Nach wie vor traut sich niemand, den Mindestlohn für Flüchtlinge in Frage zu stellen (obwohl die Löhne bei einer Zunahme des Arbeits­angebots natürlich sinken müssen). Flüchtlinge dürfen im­mer noch nicht als Zeitarbeiter eingestellt werden. Das Ver­bot der Arbeitsaufnahme für noch nicht anerkannte Flücht­linge gilt unvermindert weiter. Es gibt viele unbesetzte Lehr­stellen, die Flüchtlingen aber nicht angeboten werden kön­nen. Die Prüfung der Asylanträge dauert sehr lange.

Das zeigt: Es ging kein "Ruck" durch die Verwaltung, wie es bei der Aufnahme von so vielen Flüchtlingen eigentlich er­forderlich gewesen wäre. Solch ein Ruck hätte sich auch positiv auf die Reformbereitschaft und Dynamik in den Un­ternehmen ausgewirkt. Stattdessen versuchen Politik und Verwaltung das "Jahrhundertproblem" mit den bisherigen Instrumenten zu lösen. Das kann nicht gut gehen. Hier wur­de eine Chance vertan. Allein auf der Ebene der Länder und der Kommunen werden derzeit flexibel und pragmatisch auch ungewöhnliche Maßnahmen umgesetzt. Davon geht aber leider kein Signaleffekt auf die Wirtschaft aus.

Die Folge ist eine Verunsicherung in der Gesellschaft. Das beginnt sich jetzt auch auf die Konjunktur auszuwirken. Die Verbraucher stellen sich auf eine Verschlechterung am Ar­beitsmarkt ein und werden bei ihren Ausgaben vorsichtiger. Damit wackelt die zentrale Stütze des Aufschwungs.

Ist die Party schon zu Ende?
Zunahme des realen BIP in Deutschland in %

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Quelle: Bloomberg

Unternehmer werden mit Investitionen zurückhaltender. So­lange sie nicht wissen, wie sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld verändert (und ob nicht vielleicht die Steuern erhöht werden), verschieben sie geplante Projekte. Nur in der Bau­industrie dürfte es weiter aufwärts gehen. Denn dass mehr Wohnungen für die Migranten gebraucht werden, liegt auf der Hand.

Bei den Unternehmen kommt es nicht zu der erwarteten Entlastung beim Facharbeitermangel. Die Zahl der Arbeits­losen wird ansteigen, sobald die Flüchtlinge sich bei der Bundesanstalt für Arbeit als Jobsuchende registrieren las­sen können.

Rein theoretisch müsste es auch zu mehr Inflation kommen. Bisher war das nur bei besonders knappen Gütern wie Zel­ten, Containern oder auch bei Mieten zu beobachten. Wenn aber die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt, ohne dass das Angebot entsprechend ausgeweitet werden kann, ist es nur natürlich, dass die Preise anziehen. Die Zentralbank könnte darüber glücklich sein, weil damit die Deflationsge­fahr abnimmt. Für die betroffenen Bürger ist es jedoch eher ein Ärgernis, das die Ausgabenbereitschaft weiter senkt.

Noch ein ganz anderer Effekt, der die Stimmung belasten wird: In Europa, vor allem in Griechenland, wird die für die weitere Entwicklung so wichtige Reformbereitschaft nach­lassen. Warum? Weil die Deutschen in den Brüsseler Gre­mien weniger Druck auf die Partner ausüben können. Denn sie brauchen deren Kooperationsbereitschaft (auch der Griechen) bei der Bewältigung der Flüchtlingsprobleme.

Aus all diesen Gründen meine ich, dass wir bei den Prog­nosen für die wirtschaftliche Entwicklung bescheidener werden müssen. Statt der erwähnten 1,8 % werden es in Deutschland vielleicht nur 1,3 % (siehe die gestrichelte Linie in der Grafik). Ich fand es bemerkenswert, dass die Um­frage des Deutschen Industrie- und Handelstages bei sei­nen Mitgliedern (die in der Regel nahe am Puls der Unter­nehmen ist), zu einem ähnlichen Ergebnis führte.

Für den Anleger

Die meisten sehen den Flüchtlingszustrom bisher primär als politisch/gesellschaftliches Problem. Das ist es natürlich auch. Es wird aber auch Auswirkungen auf die Kapitalmärk­te haben. Die Aussichten für den Aktienmarkt werden trotz der expansiven Geldpolitik nicht mehr so positiv sein. Für die Rentenmärkte sehe ich derzeit noch keine Gefahren. Immobilienmärkte bekommen zusätzliche Impulse.

9 Kommentare

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  • bembes
    bembes

    Norboot:

    Wenn hochqualifzierte Ausländer ( Russen / Polen ) bei uns arbeiten brauchen diese vermutlich keine Berufschule besuchen und das DEUTSCH ist vermutlich nicht so wichtig !!!

    07:19 Uhr, 05.11.2015
  • Market Impact
    Market Impact

    übrigens , in brandenburg holen sich die betriebe seit jahren leute aus polen und russland weil sie keine deutschen kriegen.

    die sprechen auch kein deutsch und arbeiten trotzdem. wie machen die das blos?

    p.s. in berlin läuft das mit den nicht deutschsprechenden arbeitnehmern schon seit den 90zigern.

    05:55 Uhr, 05.11.2015
  • bembes
    bembes

    Wie soll den Flüchtlichen ein Ausbildungsplatz angeboten werden, wenn diese nicht DEUTSCH sprechen. Zu jedem neuen AZUBI noch ein Dolmetscher....dass ich nicht lache !!

    04:24 Uhr, 05.11.2015
    2 Antworten anzeigen
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Sehr geehrter Herr Hüfner,

    ich empfehle Ihnen dringend diesen Artikel zu lesen http://www.godmode-trader.de/artikel/reicht-ihr-ho...

    Wie kann man glauben, dass die Massenbewegung gut für die Wirtschaft ist??? Schäuble will keine Neuverschuldung, ergo wird einfach an anderen Ecken gespart ... Ergebnis ist eine Nullsumme auf den ersten Blick. Wenn man (siehe Link) die Fähigkeit bestitzt und 1 und 1 addieren kann weiß man, dass die Sozialkassen mit enormen Mehrbelastugen zu kämpfen haben werden. Zieht man nun eine Bilanz, so ergibt sich aus der aktuellen Situation eher ein Schrumpfen des BIP .. Denn alles wann der arbeitenden Bevölkerung entzogen wird (in Form von höheren Beiträgen) kann sie weniger ausgeben........

    11:56 Uhr, 04.11.2015