Kommentar
16:53 Uhr, 06.05.2009

Finanzsektor: Probleme werden angegangen, sind aber noch nicht gelöst

Regierungen und Zentralbanken haben sich bei der Unterstützung des Finanzsektors – vor allem der Banken – als außerordentlich pro-aktiv erwiesen. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis sich der Sektor nachhaltig erholt hat. Die Aktienkurse sind seit Anfang März kräftig gestiegen; eine kurzfristige Korrektur ist allerdings nicht ausgeschlossen.

Nach Meinung von Paul Vrouwes, Leiter des für den Finanzsektor zuständigen Teams, ist die Stabilisierung des Finanzsystems vor allem dem entschlossenen Handeln von Regierung und Aufsichtsbehörden zu verdanken. Mit dezidierten Rettungsmaßnahmen wurden eine Reihe angeschlagener Kreditinstitute vor dem Bankrott bewahrt.

Einige Notenbanken (USA, Japan und Großbritannien) haben ihre Leitzinsen bereits auf null gesenkt. Gleichzeitig haben diese Zentralbanken weitere Maßnahmen zur Stärkung der Liquidität an den Märkten ergriffen, wie etwa den Aufkauf von Rentenwerten. Mit diesen Maßnahmen soll Banken der Zugang zu den erforderlichen Mitteln erleichtert werden. Nach Vrouwes Einschätzung wird auch die EZB die Zinsen langsam, aber sicher senken und in den kommenden Wochen zudem weitere liquiditätsstärkende Maßnahmen ergreifen.

Stärkung der Kapitalbasis weiterhin notwendig

Die erste Runde der Maßnahmen zur Stärkung der Kapitalbasis verschiedener Banken in den USA und Europa ist jetzt zu Ende. „Befänden wir uns nicht inmitten einer schweren Rezession, dann würde das schon ausreichen, um die Märkte zu beleben“, so Vrouwes. Der scharfe Konjunktureinbruch hat indes eine andere Situation geschaffen. Bis auf weiteres werden Arbeitslosigkeit sowie Zahlungsschwierigkeiten in der Wirtschaft zunehmen. Dies wird bei Banken zu einem Anstieg der Forderungsausfälle führen und die Profitabilität aushöhlen. Das könnte durchaus ein Schrumpfen ihrer Kapitalbasis bedeuten. Nach Vrouwes Ansicht werden einige Banken ihre Kapitalbasis in den nächsten Quartalen erneut verstärken müssen.

Neunzehn der insgesamt rund 8.000 Großbanken in den USA wurden mittlerweile einem Stresstest unterzogen, der für Banken mit einem Eigenkapital von über 100 Milliarden US-Dollar konzipiert wurde. Soll heißen: für Banken, deren Pleite den Bestand des Finanzsystems gefährden könnte. Die Testergebnisse – ob also die Kapitalpuffer der 19 Banken ausreichen oder ob und inwieweit sie frische Mittel benötigen – sollen am Freitag, den 8. Mai bekannt gegeben und von den betroffenen Instituten kommentiert werden. Nach Vrouwes Einschätzung bedürfen aber auch zahlreiche europäische Banken einer Kapitalspritze.

Besseres Umfeld für den Sektor

Im vierten Quartal 2008 standen die Abwärtsrisiken des Finanzsektors im Mittelpunkt des Anlegerinteresses. Dank der von Regierungen und Aufsichtsbehörden demonstrierten Entschlossenheit entspannte sich die Situation im ersten Quartal 2009 allmählich – nicht zuletzt dank des von US-Finanzminister Timothy Geithner aufgelegten Rettungsprogramms. Mitte März kündigte Geithner einen weiteren Plan (Public Private Partnership Investment Program, „PPIP“) zur Sanierung angeschlagener US-Banken an, wonach US Treasury und Privatanleger gemeinsam die „toxischen“ Wertpapiere dieser Banken aufkaufen werden.

Das waren aber nicht die einzigen Gründe für die Bärenmarkt-Rally bei Finanzwerten im März und April. Vor allem die Anleihemärkte gewannen im ersten Quartal erneut an Schwung. Märkte, die im vierten Quartal noch inaktiv waren, zeigten sich wieder zugänglich. Auch dieser Aspekt trug wesentlich zu den unerwartet positiven Quartalsergebnissen von Banken mit umfangreichem Handelsgeschäft, wie Goldman Sachs, bei. Erfreulich war auch, dass Banken im März und April fast keine Wertberichtigungen „fauler“ Kredite verzeichneten.

Bärenmarkt-Rally

Vrouwes zufolge waren die Bewertungen von Finanzwerten im Allgemeinen und von Banktiteln im Besonderen Ende Februar viel zu niedrig. Allerdings sind sie seiner Meinung nach in der Zwischenzeit zu ihrem Fair Value zurückgekehrt. Gleichwohl bleiben Negativmeldungen ein Risiko für diesen Sektor.

In den kommenden Quartalen bleibt die Gewinnentwicklung nach den Worten Vrouwes schwach. Die Banken müssen nicht nur höhere Kommissionen und geringere Geschäftsvolumen verkraften, sondern auch Schulden ab- und ihr Kapital ausbauen.

Im globalen Finanzsektor stieg das Ergebnis pro Aktie in den Jahren von 1997 bis 2007 jährlich um 10,7 Prozent. Bevor sie im Oktober 2007 ihren Höchststand erreichten, legten sie über einen Zwölfmonatszeitraum sogar um 33 Prozent zu. Zwischen Oktober 2007 und März 2009 sanken die Erträge des Sektors um sage und schreibe 56 Prozent. In einem stabileren wirtschaftlichen Umfeld sollte das jährliche Wachstum der Erträge langfristig 7 bis 8 Prozent betragen.

Wie ist der ING Financials Fund positioniert?

Banken: leicht untergewichtet. Starke Übergewichtung bei Titeln von den Emerging Markets; Untergewichtung bei Banktiteln von gesättigten Märkten. Fokus auf Banken mit stärkerer Eigenkapitalposition.

Immobilienaktien: untergewichtet. Niedrige Zinsen sind zwar günstig, aber das Risiko von Wertberichtigungen ist immer noch hoch.

Versicherungen: neutral. Optimistisch bei Sachversicherungen, pessimistisch bei Lebensversicherungen. Bei Lebensversicherungen ist das Risiko von Wertberichtigungen höher. Sachversicherer investieren vornehmlich am Geldmarkt.

Diversifizierte Finanzdienstleistungen: übergewichtet (z. B. Investmentbanken, Börsen, Vermögensverwalter). Investmentbanken müssen Kosten senken. Die Aktivitäten von Börsen und Vermögensverwaltern sind von der (ungewissen) Kreditkostenentwicklung unabhängig.

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