FDP beschließt Reformpapier für "Wirtschaftswende"
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Die FDP fordert weitreichende Reformen in der Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zu verbessern und die aus ihrer Sicht nötige "Wirtschaftswende" zu beschleunigen. Bei seiner Sitzung habe das Präsidium dafür ein entsprechendes Zwölf-Punkte-Papier für den kommenden Bundesparteitag beschlossen, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. "Wir stellen fest, dass die Welt heute eine andere Welt ist als die Welt zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrages. Sprich, um es konkreter zu formulieren, wir haben heute im Land eine ganz andere wirtschaftliche Situation als noch zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrages", hob er hervor.
In dem Papier verlangt die FDP unter anderem eine sofortige Bürgergeld-Kürzung für Jobverweigerer, ein Moratorium für Sozialleistungen, die Abschaffung der Rente mit 63 und einen schnellstmöglichen Förderstopp für erneuerbare Energien. "Wir müssen insbesondere Unternehmen, Arbeitnehmer und Selbstständige entlasten, Leistung belohnen, den Bürokratieabbau weiter vorantreiben, Arbeitsanreize verbessern, ein Moratorium für neue gesetzliche Sozialleistungen einführen und Investitionen in unsere Sicherheit stärken", heißt es darin. Die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds habe erneut unterstrichen, "dass die gegenwärtige wirtschaftliche Schwäche unseres Landes international breit wahrgenommen wird".
In dem Beschluss heißt es zum Bürgergeld, zumutbare Arbeitsangebote, "auch sogenannte Ein-Euro-Jobs", müssten angenommen werden. "Wer seinen Mitwirkungspflichten im Bürgergeld nicht nachkommt und beispielsweise zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen." Der verfassungsrechtliche Spielraum für verschärfte Sanktionen müsse ausgenutzt werden, bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen. Für mindestens drei Jahre solle die Politik zudem keine neuen Sozialleistungen beschließen. Ausgabenprogramme müssen konsolidiert werden. Bei der Berechnung des Bürgergelds werde strikt die regelsatzbezogene Preisentwicklung berücksichtigt, für 2025 sei "daher eine Nullrunde zu erwarten".
"Angesichts des Fachkräftemangels können wir uns die sogenannte 'Rente mit 63' nicht leisten", betont die FDP zudem. Doe Partei fordert auch erneut steuerliche Vorteile für Überstunden: "Überstunden und ausbezahlte Überstundenzuschläge sollen daher wie Bezüge aus einem Minijob oder besser behandelt werden." Auch soll der Solidaritätszuschlag in zwei Schritten abgeschafft werden: Zunächst soll eine Absenkung auf 3 Prozent erfolgen, 2027 soll er dann vollständig entfallen. Unternehmen würden damit um 14,5 Milliarden Euro entlastet.
Förderung erneuerbarer Energien beenden
Die FDP dringt zudem auf eine Verlängerung der Abschreibungserleichterungen des Wachstumschancengesetzes, die degressive Abschreibung soll bis 2029 fortgeführt werden. Außerdem soll das deutsche Lieferkettengesetz ausgesetzt werden. Ziel ist darüber hinaus eine effektive steuerliche Belastung von Unternehmensgewinnen von maximal 25 Prozent. Die FDP will zudem erneuerbare Energien "endgültig in den Markt übernehmen und die EEG-Förderung beenden". Es müssten kurzfristig alle Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) genutzt werden. Dazu könnten "beispielsweise die Abschaffung der Vergütung von negativen Strompreisen oder die Senkung der Höchstpreise dienen".
Die SPD hat bereits vor dem Beschluss mit harter Kritik auf die Pläne reagiert. "Es ist richtig, dass wir etwas tun müssen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze hier im Land zu sichern und neue zu schaffen. Dafür tragen wir in der Regierung gemeinsam Verantwortung. Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig", sagte Parteichef Lars Klingbeil der Bild-Zeitung. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren Arbeit bleibe. Der SPD-Sozialexperte Helge Lindh sagte dem Blatt: "Wenn die FDP das ernst meinen würde - also jetzt umzusetzen gedenkt - dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition."
Djir-Sarai wies aber ausdrücklich den Vorwurf zurück, mit dem Beschluss sollten die Koalitionspartner provoziert werden. "Ich bin nicht aufgewacht morgens mit dem Ziel, irgendjemanden in diesem Land zu provozieren, aber es muss ja schon möglich sein, zu erwähnen als politische Partei, was in diesem Land derzeit schief läuft und was vor allem demnächst geändert werden muss", betonte der FDP-Generalsekretär. Er sei sich "darüber im Klaren, dass der eine oder andere Koalitionspartner womöglich diese Positionen nicht auf Anhieb nachvollziehen kann". Dass aber auf dem FDP-Parteitag am Wochenende Schlussfolgerungen für die wirtschaftliche Entwicklung gezogen würden, "das liegt aus meiner Sicht in der Natur der Sache", hob er hervor.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
DJG/ank/apo
Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.