Kommentar
11:40 Uhr, 09.12.2016

EZB - Definitiv kein Einstieg in den Ausstieg!

Mit Blick auf die massiven wirtschafts- und finanzpolitischen Probleme der Eurozone kann sich die EZB den Stabilitätsluxus einer Deutschen Bundesbank schon lange nicht mehr leisten. Und angesichts von vier Nationalwahlen in Euro-Staaten 2017 wird sie jetzt auch noch die Aufgabe der politischen Flurbereinigung übernehmen. Denn Euro-kritische Wahlergebnisse, die den Zusammenhalt des Währungsraums gefährden, sollen mit einer weiterhin zinsgünstigen Refinanzierung von Wähler beruhigenden Konjunktur- und Sozialprogrammen vereitelt werden. Die Reduktion des zukünftigen Volumens von Anleihekäufen sollte dabei nicht irritieren. Denn erstens wird das Aufkaufprogramm der EZB von März bis Dezember 2017 verlängert und zweitens hat sie sich klar geoutet, die monatliche Liquiditätsversorgung im Bedarfsfall wieder zu vergrößern. Ohnehin lassen die Inflationsprognosen der EZB auch für die nächsten drei Jahre keine Hoffnung auf nachhaltig steigende Anlagezinsen zu. Die Zinssparer zahlen weiter den Preis der vollumfänglichen Euro-Rettung.

Bis 2019 ist die Hoffnung auf steigende Anlagezinsen gering

Das ursprünglich bis März 2017 terminierte Anleiheprogramm der EZB geht erneut in die Verlängerung, bis mindestens Dezember 2017. Zwar wird das monatliche Aufkaufvolumen ab April 2017 von 80 wieder auf das ursprüngliche Niveau 60 Mrd. Euro gesenkt. Insgesamt jedoch erwirbt die EZB damit etwa 540 Mrd. Euro mehr Anleihen als bislang geplant. Um Knappheitsprobleme beim Anleihekauf zu vermeiden, lockert sie ihre Kaufrestriktionen. Zukünftig wird sie auch Anleihen mit Renditen unterhalb des Einlagenzinses von minus 0,4 Prozent und mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr - bislang zwei Jahren - erwerben.

Spekulationen, dass es sich bei der Drosselung der Aufkäufe um den Beginn eines versteckten Tapering handelt, widersprach EZB-Präsident Draghi heftig. Im Übrigen sind die Wachstumsprojektionen der EZB unverändert zurückhaltend: 1,7 nach 1,6 Prozent im Jahr 2017, 2018 und 2019 jeweils 1,6 Prozent. Gleichzeitig hat Draghi die Konjunkturrisiken betont. Spanien und insbesondere Italien haben ihre Wirtschaftsleistung von vor dem Krisenjahr 2008 immer noch nicht erreicht. Und durch den Brexit - der seine Negativwirkung erst mittelfristig offenbaren wird - sowie (wahl-)politische Risiken in der Eurozone sind weitere konjunkturelle Reibungsverluste einzukalkulieren. Die prekäre Investitions- und Konsumneigung unterstreicht die anhaltend lethargische Kreditvergabe an Unternehmen und Privathaushalte.

Zwar signalisiert die Reduktion der Anleihekäufe auf monatlich 60 Mrd. Euro, dass sich der große Deflationsdruck abgeschwächt hat. Laut EZB bleibt dennoch eine nachhaltige Inflationsbeschleunigung aus. Gemäß ihrer Inflationsprojektionen rechnet sie in den kommenden drei Jahren trotz zuletzt wieder steigender Energiepreise nicht mit der Erreichung ihres Inflationsziels von zwei Prozent: 1,3 Prozent 2017; 2018 1,5 Prozent und 2019 1,7 Prozent. Grundsätzlich hält die alternative Ölfördermethode Fracking den Deckel auf nachhaltig steigenden Energiepreisen. Damit ist das Kernkriterium für eine restriktive Geldpolitik nicht erfüllt. Auch die Kerninflationsrate - ohne Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und Energiepreisen - zeigt seit Ende 2013 einen Seitwärtstrend.

Die weiterhin durch Anleihekäufe künstlich gedrückten Renditen für Staatspapiere ermöglichen in den prekären Euro-Staaten eine sorgenfreie Neuverschuldung, die anderenfalls Ausgabenkürzungen oder Steuerbelastungen nach sich ziehen würden. Damit betreibt die EZB Konjunktur- und Sozialpolitik bzw. Wahlwerbung für das regierende Europa-freundliche Establishment.

Marktlage und Anlegerstimmung - Draghi und Trump rocken die Aktienmärkte

Tatsächlich zeigen sich in einem von der BNP Paribas veröffentlichten Index erste Anzeichen eines Rückgangs politischer Risiken in der Eurozone. Gleichzeitig haben sich die Aktienkursschwankungen laut Euro Stoxx 50 Volatility spürbar zurückgebildet.

GRAFIK DER WOCHE

BNP Paribas Political Risk Index Eurozone und Volatilität am Euro-Aktienmarkt

Trotz der in den EU-Statuten verankerten Regeln will man die Gläubiger italienischer Kreditinstitute - hauptsächlich italienische Sparer - nicht primär zur Bankenhaftung heranziehen. Denn angesichts einer dann eintretenden massiven Vermögensvernichtung will niemand den Unmut italienischer Wähler bei den vermutlich im Frühjahr stattfindenden Neuwahlen riskieren. Alternativ wird hinter vorgehaltener Hand die Teilverstaatlichung der Krisen-Bank Monte dei Paschi di Siena vorbereitet. Dabei soll der italienische Staat Bankanleihen aufkaufen und diese schließlich in Aktien umwandeln. Von einer bis zu 40-prozentigen staatlichen Beteiligung ist die Rede.

Die ohnehin seit Sommer bestehende Zuversicht, dass - trotz gestiegener Kreditrisiken - keine sich verschärfende italienische Bankenkrise zugelassen wird, die in eine Systemkrise der Finanzbranche insgesamt münden würde, hat weiter zugenommen. Aktuell finden die deutlich gefallenen Kreditrisiken europäischer Banken ihren Niederschlag in sprunghaft steigenden Bankaktienkursen.

Von der Banken-Rettung profitieren die Finanzindustrie-lastigen Aktienmärkte in Italien und Spanien. Bei gleichzeitig „geldpolitischer Polit-Rettung“ hat insbesondere der 2016 bislang schwach verlaufene italienische Aktienmarkt großes Nachholpotenzial.

Die Finanzwelt mag grundsätzlich ihre Zins- bzw. Renditetiefs gesehen haben. Für ein markantes Zinsänderungsrisiko spricht aber nichts. Die Zinserhöhung der US-Notenbank am 14. Dezember ist ebenso eingepreist wie zwei weitere im Jahr 2017. Dennoch bleibt diese amerikanische Zinswende ein Zinswendchen. Und in Europa und Japan ist geldpolitische Restriktion noch lange Zeit ein Fremdwort. Insgesamt bleibt das Zinsänderungsrisiko klein und damit die Liquiditätshausse im Sinne unattraktiver Alternativanlagen beim Zinsvermögen intakt.

Fundamentale Aktienargumente nehmen aber auch zu. Nach Stimmungsfestigung in der US-Industrie legte ebenso der ISM Index für das Dienstleistungsgewerbe mit dem höchsten Stand seit Oktober 2015 kräftig zu. Diese breite konjunkturelle Unterstützung sorgt für eine fortgesetzte Stabilisierung des US-Aktienmarkts. Trump werden offenbar viele Vorschusslorbeeren gewährt.

Im Zuge der Reindustrialisierung Amerikas mit weltweiter Streuwirkung hellen sich die Phantasien für die deutsche Industrie-Substanz auf. Weltwirtschaftlich hilfreich sind ebenso zuletzt wieder festere Im- und Exportdaten in China. Ohnehin signalisieren verbesserte Daten zu „Auftragseingängen in der Industrie“ und „Industrieproduktion“ bereits eine Konjunkturdynamisierung im Jahresend-Quartal. Auch der sich wieder abschwächende Euro liefert exportseitig Aktienargumente. So können Investoren zwischenzeitliche Kursrücksetzer als niedrigere Einstiegspreise für günstige Zukäufe bei deutschen Qualitätsaktien aus dem DAX, MDAX und SDAX nutzen.

Charttechnik DAX - Der Knoten ist geplatzt

Charttechnisch liegt beim DAX ein erster Widerstand bei 11.193, gefolgt von einer weiteren Barriere bei 11.431. Kommt es zu einer zwischenzeitlichen Konsolidierung beim DAX, liegen erste Unterstützungen bei 11.055 und 10.989 Punkten. Darunter wartet eine starke Unterstützung bei 10.802, bevor weitere Haltelinien bei 10.735 und 10.685 in den Vordergrund treten.

Der Wochenausblick für die KW 50 - Die Fed macht keine Zins-Angst

In China unterstreichen Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätze für November die allmähliche konjunkturelle Stabilisierung.

In den USA zeigt sich die Konjunkturstimmung gemäß Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed wieder stabiler. Die hard facts zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen im November sowie Baubeginne und -genehmigungen bleiben noch verhalten.

Aus Gründen der zinspolitischen Glaubwürdigkeit wird die US-Notenbank nach langem zinspolitischen Versteckspiel die Leitzinsen um 25 Basispunkte anheben. Die Aufmerksamkeit der Anleger gilt dabei aber vor allem den Konjunktur- und Inflationsprognosen sowie der Pressekonferenz, auf der die Fed ein weiterhin gemächliches Zinserhöhungstempo in Aussicht stellen wird.

In der Eurozone signalisieren die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe eine nur langsame zyklische Konjunkturerholung, die gemäß schwachen Preisdaten für November aber nicht zur nachhaltigen Inflationsbeschleunigung taugt. Zudem haben Anleger ein Auge auf die weiteren politischen Entwicklungen in Italien.

In Deutschland setzen die ZEW Konjunkturerwartungen ihren Aufwärtstrend fort.

HALVERS WOCHE

Eurozone - Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht

Das gescheiterte italienische Verfassungsreferendum bestätigt einen Euro-politischen Grundsatz eindrucksvoll: Wer reformiert oder reformieren will, wird abgewählt. Leider ist diese Botschaft fatal.

Denn wenn italienische Wähler mit einer dicken Mehrheit von fast 60 Prozent eine Verwaltungsreform ablehnen, die sie nichts „kostet“, aber viel bringt, hat das Stiefelland ein ernstes Problem. Was ist so schlimm an der Abwahl von in Stein gemeißelter Bürokratie, die Italien jahrzehntelang zur politischen Schnecke machte, die sich auch noch in Zeitlupe bewegt? Es mag ja sein, dass der Referendumspate Matteo Renzi handwerkliche Fehler gemacht hat und auch ein paar egomanische Züge aufweist, die ihn für viele Italiener unsympathisch machen. Aber wenn man angesichts einer erbärmlichen Wirtschaftslage nicht mal mehr bereit ist, über den Tellerrand von Sympathie bzw. Antipathie hinwegzusehen und die rationale Notwendigkeit von schmerzfreien Verwaltungsreformen anzuerkennen, muss man sich fragen, ob Italien - das ich ansonsten sehr schätze - noch zu retten ist.

Die Eurozone ist unreformierbar

Wie will man denn dann erst wirkliche (Wirtschafts-)Reformen umsetzen, die zunächst Schmerzen verursachen, bevor sie nach Jahren Wirkung in Form von Unternehmensinvestitionen, Arbeitsplätzen, Einkommen und Steuern zeigen? Oft sagt man, die Menschen seien erst dann zu Reformen bereit, wenn es nicht mehr anders geht. Müssen wir also erst abwarten, bis Italien an die Wand gefahren ist?

Und Italien findet sich in ganz Euroland wieder. Überall sind Maßnahmen zur Standortverbesserung so unbeliebt wie Küche aufräumen nach dem Mittagessen. Das wissen natürlich auch die an Wiederwahl interessierten Politiker. Zusätzlich spüren sie den anti-elitären Zeitgeist, der sich ähnlich festgefressen hat wie Rost an früheren italienischen Autos. Da will sich kein Politiker vor einen reformfreundlichen, aber wählerfeindlichen Karren spannen lassen.

Die ganze Eurozone leidet an Stillstand. Leider ist auch Stillstand eine Bewegung, nämlich Rückschritt. Denn aufgrund der Globalisierung sorgt die reformwillige Konkurrenz dafür, dass der Karren noch mehr in den Schlamm gefahren und die Eurozone noch weniger wettbewerbsfähig wird.

Das „SEKE“, das Sondereinsatzkommando Europa muss ran

Finanzminister Schäuble sprach kürzlich davon, man solle keine Euro-Krise herbeireden. Hallo? Sie ist bereits da, auch wenn sie wie bei einem potemkinschen Dorf nicht unmittelbar sichtbar ist. Und angesichts des Euro-Superwahljahrs 2017 wird man den Euro-Bürgern - damit die Wähler nicht auf dumme Gedanken kommen - weiter Scheuklappen verpassen. Perspektivlosigkeit muss wie bei einem Zaubertrick verschwinden.

Dazu gibt es das „SEKE“, das Sondereinsatzkommando Europa. Es setzt sich zusammen aus einer die Wählerseele streichelnden, auf Pump finanzierten Konjunktur- und Sozialpolitik sowie einer EZB, die dazu verdammt wird, die Schulden-Zeche zu zahlen. Man betreibt wahlpopulistische Verständnisökonomie. Es werden „Wahlgeschenke“ verteilt, um niemand an die Europa-feindliche, austrittsbereite Ecke zu verlieren. Mario Draghi als ganzjähriger Weihnachtsmann. So weit ist es mit der Eurozone gekommen.

Auch das Beispiel Griechenland verdeutlicht die europäische Dauer-Rettungsschleife. Hellas muss erst in 32 Jahren anfangen, Schulden zurückzuzahlen. Es lebe der politische Zeitgewinn. Nach uns Regierenden die Sintflut! Dass Griechenland im Euro-Korsett aber auch die nächsten 32 Jahre auf keinen grünen Zweig kommt, verschweigen die Politiker. Nüchtern betrachtet helfen Hellas nur der Euro-Ausritt und der sofortige Schuldenschnitt wieder auf die wirtschaftlichen Beine. Das will man aber auf keinen Fall, um bloß keinen Präzedenzfall für den Euro-Exit weiterer Länder zu schaffen. Die Familie muss zusammenbleiben, selbst wenn es dabei einzelnen Familienmitgliedern schlecht geht.

Italien ist erst recht Euro-systemrelevant. Bei einem Italexit wäre die Eurozone final gescheitert. Der Verfall von fast 2,3 Bill. Euro Staatsschulden würde zügig für den kollektiven Genickbruch der europäischen Finanzmärkte und der Banken sorgen, die diese Art von „Papier“ tonnenweise gebunkert haben. Bereits aktuell sitzt allein die italienische Bankenbranche auf annähernd 400 Mrd. Euro stinkend fauler Kredit-Eier. Noch mehr unausbrütbare Eier braucht niemand.

Man kann die Eurozone auch zu Tode retten

Diesen Anleihe-Crash mit Dominoeffekt und eine Bankenkrise, der gegenüber die Lehman-Pleite 2008 harmlos wäre, wird durch das SEKE vorbeugend behandelt. Damit bleibt die Zins- und Renditewende dank der erforderlichen Druckbetankung der EZB eine Fata Morgana. So wird die Illusion der heilen Finanzwelt in Europa aufrechterhalten.

Denn ließe man die finanzpolitischen Probleme laufen, ließe man Perspektivlosigkeit eskalieren, müsste früher oder später ein hoher politischer Preis bezahlt werden: Der Zerfall Europas. Dagegen ist selbst im Zaubergarten der EZB kein Kraut gewachsen. Aus dieser Blickrichtung ist alternativlose Vorsicht besser als bereuende Nachsicht.

Auf den Dauereinsatz von SEKE scheinen die Finanzmärkte fest zu vertrauen. Man kann sogar von einem Glaubensbekenntnis sprechen. Warum sonst würden sich Aktienmärkte in Europa, die Banken und der Euro so stabil zeigen, während deutsche Staatspapiere und Gold als sichere Häfen weniger gefragt sind?

Aber geht das nachhaltig gut? Nein, nur lebensverlängernde Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, nur die Symptome zu behandeln, aber fundamentale Ursachen in der Reformwüste zu ignorieren, verhindern den langfristigen Kollaps der Eurozone nicht. Bei einem einfachen „Weiter so“ gibt es kein Happy End, sondern nur ein dickes Ende. Von nix kommt nix ist eine universelle Regel, die man selbst in der gesundbeterischen Eurozone nicht brechen kann.

Unreformierbar bedeutet eben nicht unkaputtbar!

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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