Analyse
17:41 Uhr, 31.10.2008

EZB: Aggressive Zinssenkungen voraus

Externe Quelle: UniCredit
- Der wirtschaftliche Ausblick für den Euroraum verschlechtert sich weiter. Mag die Wirtschaft im dritten Quartal noch an einer Rezession vorbeigeschlittert sein, im laufenden Vierteljahr dürfte das reale BIP schrumpfen! Die für 2009 erhoffte Erholung wird zudem sehr moderat ausfallen.

- Die Inflationsperspektiven sind dagegen wesentlich freundlicher. Aufgrund der sinkenden Energiepreise dürfte die Gesamtinflation im nächsten Sommer kurzzeitig sogar auf fast 1% zurückgehen. Für das Gesamtjahr 2009 rechnen wir mit einer Inflationsrate von unter 2%.

- Beides spricht für massive Zinssenkungen. Wir rechnen mit zwei 50 Basispunkte-Schritten noch in diesem Jahr. Bis Mitte 2009 folgen noch drei Trippelschritte, die den Refinanzierungssatz dann auf 2% zurückführen.

Die Zeichen stehen auf Rezession

Der wirtschaftliche Ausblick für den Euroraum verschlechtert sich praktisch täglich. Die Wirtschaft dürfte im dritten Quartal (für das wir nach wie vor Stagnation prognostizieren) technisch gesprochen knapp einer Rezession entgangen sein. Die jüngsten Konjunkturzahlen deuten indes darauf hin, dass die Wirtschaft zu Beginn des vierten Quartals weiter Boden verloren hat. Mittlerweile signalisieren alle Wirtschaftsindikatoren ein schrumpfendes BIP im Jahresschlussquartal. Im Oktober markierte unser aggregierter Einkaufsmanagerindex bei 45,6 Punkten einen neuen Tiefstand. Dieser Wert impliziert einem BIP-Rückgang um 0,1–0,2%. Der Konjunkturindikator der EU-Kommission für den Euroraum und die OECD-Frühindikatoren lassen einen ähnlich starken Rückgang erwarten. Lediglich der €-coin Indikator, der von der EZB genauestens verfolgt wird, deutet noch auf ein unverändertes Wachstum im laufenden Vierteljahr hin.

Wir gehen vorerst weiterhin von einem BIP-Rückgang um 0,1% gegenüber Vorquartal aus, wobei die Schrumpfung aber auch stärker ausfallen könnte. Da wir für das erste Quartal 2009 ein stagnierendes Wachstum und für den weiteren Jahresverlauf eine leichte Erholung prognostizieren, stellt das von uns erwartete Quartalsprofil streng genommen keine Rezession dar. Dennoch weisen alle Anzeichen im Euroraum eindeutig in diese Richtung.

Breit angelegte Talfahrt

Die Wirtschaftsflaute hat mittlerweile alle Sektoren erfasst. Am stärksten getroffen aber ist das Verarbeitende Gewerbe. Der Einkaufsmanagerindex fiel im Oktober auf nur noch 41,3 Punkte (der niedrigste Wert seit mindestens elf Jahren), was sogar eine tief greifende Rezession impliziert. Dieser Wert entspräche einem annualisierten Rückgang der Industrieproduktion um 6%. Geradezu erschreckend ist die Zahl der Neuaufträge, die bei nur noch 36,2 Punkten liegt. Das Verhältnis von Auftragseingängen zu Lagerbeständen, das unseres Erachtens entscheidend für die Bewertung des Konjunkturzyklus ist, brach regelrecht ein. Und der Rückgang der Beschäftigungskomponente auf 44,5 Punkte (der niedrigste Wert seit Januar 2002) bestätigt, dass der Trend am Arbeitsmarkt gedreht hat. Wir rechnen für 2009 mit einem substantiellen Rückgang der Beschäftigungszahlen im Industriesektor.

Gleichzeitig gab der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor von 48,4 auf 46,9 Punkte nach. Die Rezessionsängste hatten die Beschäftigungszahlen auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren, und die Geschäftserwartungen sogar auf ein Allzeittief sinken lassen. Insgesamt kann man feststellen, dass die Einschätzung der EZB, der Konjunkturzyklus habe Mitte 2008 die Talsohle erreicht, durch die Einkaufsmanagerindizes nicht bestätigt wird. Vielmehr deuten sie auf eine anhaltende Talfahrt hin.

Inflationsausblick: Klare Sicht!

Vor dem Hintergrund der rasch sinkenden Ölpreise haben wir unsere Prognose für den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) bis zum Jahresende 2008 bzw. für das Gesamtjahr 2009 deutlich angepasst. Nach vorher 105 USD je Barrel gehen wir nun von 75 USD je Barrel aus. 2008 dürfte die jahresdurchschnittliche Inflationsrate noch bei 3,4% liegen, 2009 dann aber auf 1,9% zurückgehen (vorher: 2,3%). Das monatliche Inflationsprofil zeigt für November bzw. Dezember noch eine Rate von 2,5–2,6%. Danach aber dürfte die Teuerung bis Mai 2009 auf unter 2% nachgeben und im Juli sogar auf 1,2% sinken. Für das zweite Halbjahr 2009 erwarten wir dann eine durchschnittliche Teuerungsrate von 1,7%. Wenngleich die Kerninflation in den nächsten Monaten nur relativ wenig nachgeben dürfte, sollte der Wert im kommenden Jahr, und voraussichtlich auch 2010, deutlicher sinken.

EZB senkt Refinanzierungssatz auf 2%

Vor diesem Hintergrund dürfte die EZB den Zinssatz zunächst am kommenden Donnerstag, und dann erneut Anfang Dezember um jeweils 50 Basispunkte (Bp) senken, wenn die neuesten Prognosen der europäischen Zentralbanken veröffentlicht werden. Die Notenbank weiß, dass die Finanzkrise ungebremst auf die Realwirtschaft übergegriffen hat. Sie weiß auch, dass ein BIP-Rückgang im nächsten Jahr durchaus im Bereich des Möglichen ist, und sie weiß schließlich auch, dass die Inflation aller Voraussicht nach in naher Zukunft unter 2% sinken wird. Darf man EZB-Chef Trichet glauben schenken, wenn er sagt, dass die Beobachter der EZB in Fragen der Geldpolitik in erster Linie auf ihn achten sollen, so darf eine Zinssenkung um 50 Bp am kommenden Donnerstag als beschlossene Sache gelten. Am 19. Oktober erklärte er nämlich, dass wir uns „in einer Phase sehr deutlicher wirtschaftlicher Abkühlung“ befinden. Acht Tage später erklärte er bereits offen, dass im November mit einer Zinssenkung zu rechnen ist („Ich halte eine erneute Senkung der Leitzinsen durch den Rat bei der nächsten Sitzung am 6. November für möglich.“). Was den weiteren Verlauf angeht, so verlangt die makroökonomische Situation unseres Erachtens eine schnelle und deutliche Reaktion. Die anhaltenden Aktienmarktmisere, die damit einhergehende Rally der Anleihenmärkte und die nach unten korrigierten Inflationsprognosen dürften die EZB dazu veranlassen, durch aggressive Zinssenkungen die Auswirkungen der schwersten Krise abzufedern, der sich der noch junge Euroraum gegenüber sieht. Die Lage an den Finanzmärkten ist katastrophal, und die Entwicklung der Kredite an Privathaushalte und Unternehmen außerhalb des Finanzsektors im September signalisiert einen abrupten Einbruch des Kreditwachstums. Obwohl die jüngsten (mehr oder weniger) koordinierten staatlichen Eingriffe belegen, dass die Regierungen die Krise nun ernsthaft angehen, dürfte sich die Situation an den Kreditmärkten eher noch verschärfen. Der Abschwung hat endgültig globale Ausmaße angenommen: Die Schwellenländer verzeichnen ein spürbar rückläufiges BIP-Wachstum, Einbrüche an den Aktienmärkten sowie erhebliche Kapitalabflüsse (soweit ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit besteht). Insbesondere die Schwäche einiger osteuropäischer Länder belastet die Exportperspektiven im Euroraum.

Die EZB ist sich dieser Entwicklung wohl bewusst, und obwohl wir die Dezember-Prognosen der EZB-Volkswirte eigentlich für ein entscheidendes Datum für eine geldpolitische Lockerung sehen, erfordert die Eskalation der Krise eine schnellere Reaktion. Trichet wird dazu erklären, dass sich die EZB niemals im Voraus festlegt, dass sie nur eine Nadel in ihrem Kompass hat, des Weiteren, dass die Zinssenkungen durch den freundlicheren Inflationsausblick möglich werden und dass mögliche Zweitrundeneffekte möglichst vermieden werden müssen. Dies mag alles richtig sein, doch herrscht seit der Junisitzung der EZB insgesamt ein Mangel an Kommunikation. Die Zentralbank muss akzeptieren, dass die Märkte zum jetzigen Zeitpunkt äußerst empfindlich reagieren und auf ungewollte oder überflüssige Volatilität gut verzichten können. Und sie hat reichlich Spielraum nach unten.

Sollte die Zinssenkung jedoch hinter den Erwartungen von 50 Bp zurückbleiben oder die Bank keine halbwegs konkreten Angaben zum kurzfristigen Timing machen, dürften die Märkte enttäuscht reagieren und die EZB in die Kritik geraten. Gerade wenn die Regierungen der Ansicht sind, ihren Beitrag zur Abwendung einer tief greifenden Rezession zu leisten, sind sie auf die Unterstützung aller Mitwirkenden angewiesen.

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