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10:00 Uhr, 03.06.2024

Expertenrat bezweifelt Einhaltung der Klimaziele der Bundesregierung

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - Der Expertenrat für Klimafragen erwartet, dass die Bundesregierung ihre jüngst vorgelegten Treibhausgasziele verfehlen wird. Die unabhängigen Experten rechnen damit, dass die klimaschädlichen CO2-Emissionen besonders im Gebäude- und Verkehrsbereich über den Zielmarken liegen werden. Die Ziele für 2030 sowie diejenigen für die Jahre 2031 bis 2040 würden mit den aktuell geplanten Klimamaßnahmen verfehlt werden. Der Rat empfiehlt der Bundesregierung daher, zeitnah zusätzliche klimapolitische Schritte zu prüfen.

Das Gutachten überprüft die Projektionsdaten der Jahren 2021 bis einschließlich 2030, die die Bundesregierung im novellierten Klimaschutzgesetz vorgelegt haben. Sie basieren auf den Treibhausgas-Projektionen 2024 des Umweltbundesamtes von Mitte März, die bis 2030 einen Rückgang um knapp 64 Prozent im Vergleich zu 1990 ausweisen. Damit ist nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums das deutsche Klimaziel für 2030 in greifbarer Nähe.

Der Expertenrat hat hingegen Zweifel an diesen Projektionen."Nach Prüfung der Daten bestätigt der Expertenrat, dass die Gesamtemissionen bis 2030 substanziell sinken werden, allerdings vermutlich weniger stark als in den Projektionsdaten ermittelt. Der Expertenrat hält die projizierten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie - mit Einschränkungen - auch in der Industrie für unterschätzt", sagte Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats.

   Kürzungen beim Klima- und Transformationsfonds 

Als Ursache für die Zielverfehlung sieht der Expertenrat unter anderem die aktuellen Entwicklungen, die bei der Erstellung der Projektionsdaten nicht erfasst worden seien. Dazu zählen die Experten insbesondere die Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und CO2-Zertifikatspreise im Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-ETS). Zudem trügen auch methodische Limitierungen zu möglichen Unterschätzungen bei.

Auch in der Betrachtung über das Jahr 2030 hinaus sieht der Expertenrat Handlungsbedarf. So würden die Ziele im Zeitraum 2031 bis 2040 überschritten und das Ziel der Treibhausgasneutralität würde weder bis zum Jahr 2045 noch bis 2050 erreicht. "Insgesamt fehlt für die Zeit nach 2030 eine langfristige Strategie, wie das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden kann", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf.

   Keine Sektorziele mehr im Klimaschutzgesetz 

Die umstrittene Novelle des Klimaschutzgesetzes wurde Ende April vom Bundesrat beschlossen. Konkret werden die jährlichen Ziele für den Ausstoß des Treibhausgases CO2 im aktuellen Klimaschutzgesetz für die einzelnen Sektoren abgeschafft, zu denen neben der Industrie, die Energiewirtschaft und die Landwirtschaft auch die Sektoren Verkehr und Gebäude gehören. Künftig werden Jahresemissionsgesamtmengen für alle Sektoren aggregiert eingeführt. Eine sektor- und jahresübergreifende Gesamtbetrachtung der Jahresemissionsgesamtmengen der Jahre 2021 bis einschließlich 2030 soll eine gegebenenfalls nötige Nachsteuerung ermöglichen.

Laut Novelle des Klimaschutzgesetzes gibt es aber bei erstmaliger Zielüberschreitung keine unmittelbare Handlungsfolge für die Bundesregierung. Die Experten kritisieren dies nun in ihrem Gutachten. Denn auch die projizierten und vom Expertenrat bestätigten Verfehlungen der Ziele unter der europäischen Lastenteilung ab dem Jahr 2024 und des Ziels von mindestens 65 Prozent Emissionsminderung bis zum Jahr 2030 würden die Bundesregierung nicht zu weiterer klimapolitischer Aktivität verpflichteten.

"Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen. Dies gilt umso mehr, da wir bei unserer Analyse der Projektionsdaten 2023 bereits letzten Sommer eine solche Zielverfehlung festgestellt haben", sagte Knopf.

Sie mahnte an, dass der Fokus der Maßnahmen auf den beiden für die europäische Lastenteilung relevanten Sektoren Gebäude und Verkehr liegen sollte, die die größten Zielüberschreitungen aufweisen. In der europäischen Lastenverteilungen werden den EU-Mitgliedstaaten verbindliche Ziele zur Verringerung der Treibhausgase gesetzt.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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