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16:56 Uhr, 10.01.2024

Experten äußern Kritik an Maßnahmen zum Budget 2024

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Experten haben in Stellungnahmen zu den geplanten Maßnahmen für den Haushalt 2024 in Einzelpunkten Verfassungsbedenken geäußert und sich uneins zur weiteren Finanzierung der Fluthilfen zum Ahrtal-Hochwasser im Jahr 2021 gezeigt. Zwar sei der Großteil der politischen Entscheidungen zu Konsolidierungsmaßnahmen verfassungsrechtlich unbedenklich, erklärte der Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele in seiner Stellungnahme für eine Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages.

"Verfassungsrechtliche Bedenken" sah er jedoch wegen der geplanten Streichung der Mittel für Bürgergeld-Empfänger, die Jobangebote ablehnen. Die Neuregelung werde den strengen Anforderungen des Verfassungsgerichts in der aktuellen Fassung nicht gerecht. Sie müsse "aus verfassungsrechtlicher Sicht daher ergänzt werden". Ein vollständiger Leistungsentzug komme nur in Betracht, "sofern es sich bei der angebotenen Arbeit um eine zumutbare und um eine existenzsichernde im Sinne der Rechtsprechung handelt".

Zur Finanzierung der Fluthilfen betonte Thiele, insgesamt sprächen "die besseren Gründe für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Notlagenbeschlusses für die Folgekosten der Ahrtal-Katastrophe, auch wenn es sich 'nur' um 2,7 Milliarden Euro handelt". Die Gesamtkosten, die aktuellen Umstände sowie ein erheblicher politischer Einschätzungsspielraum führten dazu, "dass gleichwohl von einer erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage ausgegangen werden kann".

Auch der Pariser Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Armin Steinbach erklärte, der Finanzbedarf für die Fluthilfen stelle "eine erhebliche Beeinträchtigung der Finanzlage dar".

   Finanzierung ohne Schulden gefordert 

Hingegen pochte der Vorsitzende des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats, der Ökonom Thiess Büttner, auf eine Finanzierung der Hochwasserhilfen ohne neue Schulden. Die Fortführung dieser Finanzhilfen im Jahr 2024 könne nicht den Beschluss einer Notlage nach Artikel 115 und damit einer Ausweitung des Verschuldungsspielraums rechtfertigen. Für die 2024 fortbestehenden Finanzierungslasten aus der Flut müsse daher "letztlich eine Finanzierung aus dem regulären Bundeshaushalt erfolgen". Weniger kritisch zu bewerten seien die Spekulationen über das Auftreten einer Notlage wegen zusätzlicher Belastungen aufgrund der Unterstützung der Ukraine. Die Regierung wolle "damit eine Botschaft an den russischen Präsidenten richten".

Die Änderungen am Bundeshaushalt 2024 seien "nicht ausreichend, um die notwendige Kurswende in der Finanzpolitik einzuleiten und die gestiegene finanzpolitische Unsicherheit wieder zurückzuführen", meinte Büttner. Insgesamt bleibe der Eindruck, "dass die Bundesregierung weiter versucht, die Verschuldung über die verfassungsmäßigen Schuldengrenzen hinaus auszuweiten". Das beginne bei der Sprache, etwa wenn statt von einer Notlage von einem "Überschreitensbeschluss" gesprochen werde, und gehe weiter mit Spekulationen über das mögliche Vorliegen einer Notlage. "Problematisch" sei bei den Konsolidierungsmaßnahmen besonders der geplante Beitrag der Bundesagentur für Arbeit (BA), weil er eine "Zweckentfremdung von Notlagenkrediten" beinhalte.

Auch der Ilmenauer Ökonom Fritz Söllner monierte eine Zweckentfremdung, da die ursprünglich vom Bund an die BA in der Corona-Krise geleisteten Zuschüsse durch Corona-Notlagenkredite finanziert worden seien. Zudem blieben verfassungsrechtliche Risiken, da die Auswirkungen des Karlsruher Urteils auf weitere Sondervermögen und auf die Allgemeine Rücklage nicht berücksichtigt worden seien. Die Auswahl der Maßnahmen wirke "nicht nur recht willkürlich", sondern sei "auch im jeweiligen Einzelfall nur schwer zu rechtfertigen". So bewirke die höhere Luftverkehrssteuer eine Doppelbelastung innereuropäischer Flüge.

   "Überschreitensbeschluss" führt in die Irre 

Weitere Kritik äußerte der Rechtsprofessor und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke. Auch er kritisierte unter anderem, der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und anderen Regierungsmitgliedern seit einigen Wochen benutzte Begriff des "Überschreitensbeschlusses" sei "irreführend". Zwar habe es früher ein Überschreitungsverbot mit einem Ausnahmevorbehalt zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben, heute verlange das Grundgesetz aber einen verfassungsgerichtlich voll überprüfbaren Notlagenfeststellungsbeschluss mit Umgrenzungsfunktion. "Das sollte die Bundesregierung dann auch eindeutig so benennen", forderte er.

Mit Blick auf die Ahrtal-Fluthilfe könne "ernstlich nicht die Rede" davon sein, dass es sich bei dem Betrag von 1,6 Milliarden Euro für 2023 um eine "erhebliche" Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage gehandelt habe, die nur durch eine zusätzliche Kreditaufnahme bewältigt werden könne. Für 2024 falle dem Bundestag das Ergebnis der juristischen Prüfung damit "geradezu in den Schoß", dass die Finanzierung der Aufbauhilfe über 2,7 Milliarden Euro "aus dem Bundeshaushalt zu erfolgen" habe. Henneke plädierte außerdem für eine Aufgabenerweiterung des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats.

Die Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, drängte unterdessen auf einen schnellen Beschluss des Haushalts. Die Unsicherheit für die wirtschaftlichen Akteure, die privaten Haushalte und die Investoren sei bereits erheblich, warnte sie. Und die Unsicherheit dürfte hoch bleiben, solange es keine Entscheidung darüber gebe, wie die Fiskalpolitik in diesem und im kommenden Jahr ausgerichtet sein werde und welche Konsolidierungsmaßnahmen beschlossen würden.

"Eine zügige und klare politische Einigung zum Haushalt 2024 und zur mittelfristigen Finanzplanung dürfte daher zur Reduktion der Unsicherheit und zur Stabilisierung der Konjunktur beitragen", so die Chefin des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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