Kommentar
13:07 Uhr, 15.03.2013

Euroland spart sich das Sparen

Krisenherde sind in Euroland mühelos zu erkennen. Die Streitereien über das Rettungspaket für Zypern halten an, in Griechenland tun sich erneut Abgründe in punkto Umsetzung der Reform- und Sparanforderungen auf und Beppe Grillo, Führer der drittstärksten italienischen Partei „Fünf Sterne Bewegung“, prognostiziert bereits den Austritt Italiens aus der Eurozone. De facto ist Italien unregierbar. Die Rating-Agentur Fitch hat bereits die italienische Kreditwürdigkeit herabgestuft. Und wo politische Lähmung herrscht, bleibt die schlechte Wirtschaftsstimmung nicht lange aus.

Der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in Italien hat sich zuletzt auf einen Wert von 45,8 eingetrübt und liegt damit weit entfernt von der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Internationale Investoren haben ganz feine Antennen für Unsicherheiten und Krisen. Sie meiden unsichere Länder kategorisch. In dieses Bild passt die Wachstumsschwäche der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft. Die Wirtschaft ist im IV. Quartal 2012 mit -0,9 Prozent zum Vorquartal bereits das sechste Quartal in Folge geschrumpft.

Bedenklich ist in der Euro-Südzone insbesondere die Arbeitslosigkeit. So führt die Wettbewerbsschwäche, wie zuletzt bei großen französischen Autobauern deutlich zu erkennen, zu massiven Stellenstreichungen. Eine rekordhohe Arbeitslosigkeit in Spanien (26,4 Prozent), Italien (11,5 Prozent) und Frankreich (10,6 Prozent) mit zunehmenden sozialen Spannungen ist eine reale Gefahr.

Um dieser bedrohlichen Entwicklung in Euroland Einhalt zu gebieten und Wachstumspotenziale zu erhalten, zeigt sich die Euro-Politik deutlich weniger spar- und reformorientiert. Auf dem letzten EU-Gipfel der Regierungschefs in Brüssel hat man die Fesseln der Sparpolitik für die kriselnden Staaten der Euro-Südzone gelockert. Dabei kommt die Generalabsolution ausgerechnet von Sparkanzlerin Merkel, die unüberhörbar Wachstumsappelle verlauten ließ. Sie hat erkennen müssen, dass die Wähler eine reformorientierte Politik mehrheitlich abstrafen.

Da die volkswirtschaftlichen Nachfrageaggregate Außenhandel, private Investitionen und Konsum deutlich an Bedeutung verloren haben und in der Projektion bis 2014 weiter verlieren werden, lassen sich Wachstumsimpulse nur über eine schuldengetriebene Konjunkturpolitik erzielen. Ansonsten drohte eine scharfe Rezession mit noch mehr sozialen Verwerfungen und politischen Risiken. Die Schuldenpolitik ist wieder hoffähig geworden.

Stärke der US-Aktien nicht nur ein Zuckerrausch

Dagegen schreitet in den USA die Konjunkturerholung voran. Dabei sind nicht nur die Frühindikatoren der US-Industrie - erste Anzeichen für eine beginnende Reindustrialisierung Amerikas - aufwärtsgerichtet. Auch die harten Fakten sprechen eine deutliche Sprache. So haben sich die Bruttogewinne der US-Unternehmen seit dem Platzen der Immobilienkrise 2008 sehr dynamisch erholt und zuletzt sogar neue Rekordstände erreicht. Diese Gewinnerholung von Corporate America stützt auch deutlich den US-Aktienmarkt. Die Erholung der US-Aktien ist also nicht allein dem Zuckerrausch der Fed zu verdanken. Mittlerweile existieren auch harte fundamentale Argumente.

Grafik der Woche: Brutto-Gewinnentwicklung der US-Unternehmen, in Mrd. US-Dollar und US-Aktienindex (S&P 500)

Diese US-Aktienhausse trägt dabei auch zur Erholung der Vermögenssituation der privaten US-Haushalte bei. Schließlich machen laut Statistiken der US-Notenbank Aktien und Aktienfonds knapp 20 Prozent der Vermögenswerte privater Haushalte aus. Der deutliche Rückgang des privaten Netto-Haushaltsvermögens - Vermögenswerte abzüglich Hypothekenkredite und anderer Verbindlichkeiten - zwischen dem IV. Quartal 2007 und dem I. Quartal 2009 in Folge der geplatzten Immobilienblase und den massiven Kursverlusten an der Börse wurde bereits wieder fast vollständig aufgeholt. In diesem Zeitraum haben sich die Kursstände im US-amerikanischen S&P 500 Index mehr als verdoppelt. Die von der US-Notenbank angestrebte Stärkung der Vermögenspreisinflation der privaten US-Haushalte, die aufgrund von Reichtumseffekten zu einer verbesserten Konsumstimmung führen soll, ist insofern erfolgreich.

Tatsächlich hat sich das Konsumvertrauen der Amerikaner - gemessen am Vertrauensindex der Universität von Michigan - erholt. Davon haben auch die Einzelhandelsumsätze mit zuletzt plus 4,6 Prozent zum Vorjahr profitiert, die damit wieder auf dem Vorkrisenniveau von 2007 liegen. Offensichtlich hinterlassen damit die zum 1. Januar in Kraft getretenen Steuererhöhungen nicht die befürchteten Bremsspuren im Konsum.

Freundliche Berichtsaison erfüllt Dividendenphantasien

In Deutschland überzeugen auch zum Ende der Berichtsaison die Quartalsausweise bzw. Jahresabschlüsse sowie die grundsätzlich freundlichen Ausblicke. Vor diesem Hintergrund bleiben die Dividenden gut unterfüttert: 2013 dürfte für die Aktionäre von DAX-Unternehmen insgesamt ein gutes Dividendenjahr werden. Gut die Hälfte aller im deutschen Leitindex gelisteten Unternehmen haben ihre Ausschüttungssummen erhöht. Die grundsätzlich hohe Überschussliquidität geben die Unternehmen offenbar an ihre Aktionäre weiter.

Neben der fundamentalen Erholung der deutschen Wirtschaft aufgrund der sich abzeichnenden weltkonjunkturellen Erholung dient damit auch die anstehende Dividendensaison als schlagendes Argument für den Aktienmarkt. Deutsche - aber auch europäische Substanzaktien - liefern auch nach Abzug der Inflation eine ordentliche Dividendenrendite, die die Umlaufrendite von deutschen Staatsanleihen sowie Festgeldanlagen weit in den Schatten stellt.

Veränderte Anlagestrategie spricht für Aktien

Aber nicht nur aus fundamentaler Sicht erfährt die Kursrallye am deutschen Aktienmarkt eine zunehmende Befestigung. Auch von „anlagetechnischer“ Seite spricht vieles für ein weiter freundliches Aktienklima. In Ermangelung renditeträchtiger Anlagealternativen stehen insbesondere institutionelle Investoren zunehmend unter Anlagedruck.

An der historischen Entwicklung des CDAX Performance Index - der alle an der Frankfurter Börse gelisteten Unternehmen umfasst - und der Umlaufrendite deutscher Bundeswertpapiere seit 1990 lässt sich ablesen, dass frühere Aktienkursbefestigungen auch deshalb Schaden nehmen konnten, da Staatspapiere immer als attraktive Alternative bereit standen. Heute nach einer mittlerweile 23-jährigen Hausse bietet die Anlageklasse deutscher Staatsanleihen diese attraktiven Renditen nicht mehr, erst Recht nach Inflation. Der Drang, in Aktien zu investieren, dürfte sich insofern verstärken und als wichtige Triebfeder für zukünftige Kurssteigerungen erweisen.

Und was passiert in der Kalenderwoche 12/2013?

Die Anleger werden die sich fortsetzenden Koalitionsverhandlungen in Italien kritisch verfolgen. Das Euro-Rettungsversprechen von Draghi sollte aber grundsätzlich weiter für Ruhe an den Staatsanleihemärkten sorgen. Mit zwischenzeitlichen Schwankungen an den Finanzmärkten muss aber trotzdem gerechnet werden.

Auf Makroebene richtet sich der Blick der Anleger auf den prallen Kalender von Konjunkturdaten. Für die USA signalisiert der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed - aufgrund der Industriedichte im Ballungsraum der Stadt ist er ein valider Indikator für die Entwicklung der gesamten US-Industrie - eine anhaltende Konjunkturstabilisierung. Zudem dokumentieren die US-Baubeginne und -genehmigungen die robuste Erholung des US-Immobiliensektors. Diese wird sich dank einer weiterhin massiven zins- und liquiditätspolitischen Unterstützung der US-Notenbank fortsetzen. Die Fed behält den Stimulus u.a. wegen der grundsätzlichen Unsicherheit über mögliche Bremseffekte der Kürzungen im US-Haushalt bei.

In Euroland kommt es erneut zum konjunkturellen Stimmungstest. Dabei dürften die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe in Euroland insgesamt weiter auf eine langsame Konjunkturerholung hinweisen. Die Konjunkturlokomotive bleibt Deutschland. Daran lassen die sich erneut aufhellenden ZEW Konjunktur- und ifo Geschäftsklimadaten keinen Zweifel. Die Konjunkturwende nach der Wachstumsdelle im Schlussquartal 2012 zeichnet sich damit bereits ab.

Aus charttechnischer Sicht dürfte der deutsche Leitindex auf dem Weg nach oben aufgrund der überkauften Lage durchaus eine Verschnaufpause einlegen. Wird schließlich aber der Widerstand bei 8151 Punkten durchbrochen, ist der Weg zu neuen Allzeithochs frei.

Im Falle einer Konsolidierung liegt auf der Unterseite die erste signifikante Unterstützung am ursprünglichen Jahreshoch bei 7872 Punkten. Darunter verlaufen weitere Haltelinien bei 7785 Punkten und am mittelfristigen Aufwärtstrend bei 7762 Punkten.

Halvers Woche:

Dem Trübsinn ein Ende oder Euroland hat keine Lust mehr auf Reformation

Habemus Papam - Die Katholiken haben ihr neues Oberhaupt. Und die Eurozone hat ihren finanzwirtschaftlichen Frieden gemacht. Auch in Brüssel steigt weißer Rauch auf: Habemus Pacem Oeconomica.

„Wir haben verstanden“ ist das neue Glaubensbekenntnis der Euro-Politik, dass sich wie ein roter Faden auch durch den letzten EU-Gipfel der Regierungschefs gezogen hat. Verstanden hat man zunächst, dass Sparen kein Wirtschaftswachstum erzeugt. Welche Erkenntnis! Aber bedeutend ist vor allem die klare politische Erfahrung, dass eurozonale Wähler - spätestens seit der italienischen Parlamentswahl - auf Reformen so viel Lust haben wie Frösche am Trockenlegen von Sümpfen. Reformen, auch wenn sie längerfristig bessere Standortqualitäten versprechen, sind offenkundig nicht mehr mehrheitsfähig. Und da Politiker nicht dumm sind, fügen sie sich natürlich dieser Stimme des Volkes.

Auch ohne Brille sind die Konsequenzen dieser besonderen Art der politischen Krise schon heute zu erkennen. Investoren scheuen reformrenitente Staaten wie der Teufel das Weihwasser. Sie ziehen sich zurück, Arbeitsplätze werden abgebaut und die Binnenkonjunktur hinkt nicht nur, sie braucht bereits einen Rollator. Diesen Wirtschafts-Blues kann niemand so schön traurig singen wie die französische Regierung. Offensichtlich tut sie aber auch nichts für heitere Wirtschaftsklänge.

Merkel allein im Stabilitäts-Haus

Wenn aber alle Wirtschafts-Stricke reißen, wenn Investitionen, Export und Konsum lahmen, bleibt nur noch ein Fluchtweg offen: Der Staat. Dieser Logik kann sich selbst eine deutsche Regierung nicht entziehen. De facto ist das deutsche Spardiktat in der Eurozone abgestraft worden. Die neue, dazu passende Parole hat die euroländische Finanz- und Wirtschaftspolitik auch schon parat: „Wachstumsfreundliche Fiskalpolitische Konsolidierung“. Donnerwetter, da hat sich Brüssel auf den ersten Blick ja wirklich etwas Epochales einfallen lassen. Wachstum und Sparen in einem, Stabilitätsapostel erfahren also genauso Würdigung wie staatsgläubige Gesundbeter.

Auf den zweiten Blick ist aber beides gleichzeitig so wenig möglich wie mit Pommes rot-weiß, Cola und Schokolade abnehmen zu wollen. Man muss sich entscheiden und die Euro-Politik hat sich längst entschieden. Zwar bleibt die ranke und schlanke Haushaltskonsolidierung als starkes Wort in aller Politiker Munde wie frisch, fromm, fröhlich und frei bei jedem Turnfest. Aber hinter der schönen Fassade der haushaltspolitischen Sportlichkeit steckt immer nur die hässliche Fratze der Verschuldungs-Völlerei. Euroland ist schuldentechnisch schon längst kein Spargel-Tarzan mehr, eher ein Sumo-Ringer.

Gerechtigkeit als neues Leitmotiv

Grundsätzlich wird es einem Finanzminister in der Eurozone aber auch so einfach wie noch nie gemacht, Schuldenspeck anzusetzen. Wenn die Zinsen für eigene Schulden von der Geldpolitik de facto fremd finanziert werden, ist die Lust, sich reformistisch zu bewegen, nicht allzu groß. Das Dasein als Couch-Potatoes ist da schon angenehmer. Da greift man doch lieber in die schuldengläubige Trickkiste der 70er-Jahre. Und diese wie damals reformfeindliche Haltung wird von der Politik beim rezessionsbedrängten und finanziell desillusionierten Wähler auch noch als gerecht, ja sogar als soziale Marktwirtschaft verkauft.

Überhaupt scheint Gerechtigkeit den neuen politischen Zeitgeist in Euroland zu beschreiben. Auch im so langsam anlaufenden Bundestagswahlkampf haben alle Parteien - selbst die FDP - das Thema Gerechtigkeit entdeckt. Sollte man nicht konsequent sein und für die im September anstehende Bundestagswahl einen neuen Wahlzettel kreieren, auf dem steht „Verehrte Wählerinnen und Wähler, alle Parteien stehen für staatstragende Gerechtigkeit. Wollen Sie wirklich noch selbst wählen oder den Zufallsgenerator entscheiden lassen?“

Ansonsten kommt das dicke Ende

Dieses neue „gerechte“ euroländische Wirtschafts- und Finanzmodell hat mit der früheren Sozialen Marktwirtschaft allerdings nicht mehr viel zu tun. Beim damaligen Erfolgsmodell hat sein Mentor, Ludwig Erhard, darauf geachtet, dass Marktwirtschaft als Substantiv groß und sozial als Adjektiv klein geschrieben wurde. Die Wirtschaft sollte zunächst einmal auf stabile, selbsttragende Füße gestellt werden, die ihr dann auch Sozialleistungen ermöglichen. Die in Euroland jetzt proklamierte Umkehr dieses Wirtschaftsprinzips hat noch nirgendwo auf der Welt zu Erfolgen geführt. Es gibt kein volkswirtschaftliches Schlaraffenland durch Reform-Muffelei. Aus einem Esel wird ja auch kein Reitpferd. Und aus Nebelfeldern wird auch kein Bauland. Der frühere Wohlfahrtsstaat Schweden hat sich längst von diesem jetzt wieder in Euroland hoffähigen Modell verabschiedet. Denn es drohte der Staatsbankrott.

Von Nichts kommt nichts, außer einem überfressenen Euro-Schulden-Land von Geldpolitiks Gnaden. Von daher ist der aktuell gefundene euroländische Friede ein gefährlicher, weil vorübergehender. Wir müssen wirtschaftlich liefern und uns nicht beliefern lassen. Ansonsten bekommen wir unseren Wirtschaftsstandort von den Schwellenländern, aber auch von den USA abgenommen. Denn selbst die Amerikaner haben begriffen, dass das schuldenfinanzierte Zuckerschlecken unbezahlbar geworden ist.

Und in Euroland meinen wir, mit den alten Lösungsrezepten, die uns schon einmal in schwerste Bedrängnis gebracht haben, jetzt punkten zu können. Wie hat Albert Einstein Wahnsinn definiert? "Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten".

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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