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10:14 Uhr, 30.04.2008

Erdöl: Die Reserven schwinden, die Preise explodieren - wo führt das noch hin?

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  • WTI Öl
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    Aktueller Kursstand:   (JFD Brokers)

Die Ölvorkommen der Erde schwinden: Mexikos gigantisches Cantarell Feld fördert Jahr für Jahr 6% weniger Öl, ebenso verlieren auch Großbritannien und Norwegen immer größere Mengen ihrer Ölförderung. Beide Länder zusammen werden allein im Jahr 2007 zwischen 800,000 bis 1 Million Barrel Erdöl pro Tag weniger fördern. Der Umfang dieser Rückgänge zährt alle zusätzlichen Fördermengen auf, die in diesem Jahr über neue Ölfunde an den Markt gelangen werden. Alle restlichen Öl produzierenden Länder haben bis auf wenige Ausnahmen stagnierende Ölförderquoten, während die Nachfrage insbesondere aus den Schwellenländern immer weiter steigt.

Billiges Öl hat die Industrialisierung der westlichen Welt ermöglicht. Die Weltbevölkerung hat sich innerhalb der letzten 50 Jahre von drei auf heute über sechs Milliarden Menschen verdoppelt. Heute werden 70% des Ölverbrauchs im Transportsektor verwendet, wo die hohen Preise zum Politikum werden. Wenngleich die hohen Benzin- und Dieselpreise dem Verbraucher teuer zu stehen kommen, bleiben Proteste im großen Stil aus, besonders in der Eurozone, die durch den schwachen Dollar von den Preissteigerungen teilweise verschont bleibt, aber unter einer im Vergleich zu den USA exorbitanten Mineralölbesteuerung leidet. Unser Lebensstil heute auf Erdöl angewiesen. Er fußt darauf, und ohne Öl könnten heute Hunderttausende Pendler nicht zur Arbeit fahren, Geschäftsleute nicht auf Geschäftsreisen gehen und Güter aus aller Welt nicht transportiert werden.

Das chinesische Nachfrage-Paradoxon

Die Ölnachfrage ist relativ unelastisch, steigende Preise bremsen die Nachfrage also nur unterdurchschnittlich. Das Angebot kann im Gleichzug aber nicht beliebig nach oben ausgeweitet werden, sodass schließlich der Preis als regulierende Größe steigen muss, bis erste Konsumenten ihre Zahlungsbereitschaft erreichen und als Nachfrager ausscheiden. Anders gesagt: Wenn die Taschen der Verbraucher leer sind, sinkt zwangsläufig die Nachfrage. Doch sind wir an diesem Punkt angelangt? Diese Betrachtung müssen wir ins Verhältnis setzen, denn wir in Deutschland, Europa oder den USA sind nicht mehr die einzigen Ölnachfrager auf der Welt. Fragt man heute Chinesen über ihre Zukunftspläne, so geben die meisten Stadtbewohner in China an, sich in fünf Jahren ein eigenes Auto kaufen zu wollen. Erreichte China die gleiche Automobildichte wie die USA, so bedürfe dies der Verarbeitung der dreifachen Menge der auf der Welt vorhandenen Rohstoffe, so eine Studie des National Geographic. Wüchse die chinesische Pro-Kopf-Nachfrage nach Erdöl auf nur 50% des US-Pro-Kopf-Verbrauchs, müsste sich die weltweite Produktion verdoppeln. Wie soll das gehen?

Das ist ein großes Problem. Woher sollen diese Rohstoffe kommen? Werfen wir einen Blick auf die Ölfelder der Erde. Die meisten großen Felder, die heute den Markt mit Erdöl versorgen, sind in den 60er Jahren gefunden worden. Sie sind also über ein halbes Jahrhundert alt. Ihre Fördermengen werden in den nächsten Jahren also wahrscheinlich eher stagnieren oder fallen, als weiter steigen. Bis 2030 benötigt die Welt 120 Millionen Barrel Erdöl pro Tag – und damit 50% mehr als zurzeit. Um dies zu bewerkstelligen, und gleichzeitig die schwindenden Fördermengen der größtenteils 50 Jahre alten Ölfelder zu kompensieren, müssen neue Kapazitäten von 200 Millionen Barrel/Tag in Betrieb genommen werden.

70 statt 100 Mio. Barrel/Tag?

Was wird geschehen, wenn sich die Welt in den nächsten Jahren mit der weltweiten Ölfördermenge vom aktuellen Niveau von 80 Millionen Barrel/Tag nicht in Richtung der 100 Millionen Barrel/Tag sondern eher in Richtung der 70 Millionen Barrel/Tag bewegt? Der Schlüssel zu Macht in der Zukunft liegt in der Kontrolle von Erdöl und Erdgas, daran besteht kein Zweifel. Die US-Subventionen der USA aus Mais Ethanol herzustellen, drohen unter dem Druck des öffentlichen und weltweiten Protests über hohe Nahrungsmittelpreise zu scheitern. Doch selbst wenn die Investitionen in diesem Sektor weiter gehen würden, könnte Ethanol nur einen kleinen Teil des Benzinbedarfs der USA decken. Ähnliches gilt für Europa und den asiatisch-pazifischen Raum. Eine rentable Umwandlung von Zuckerrohr zu Ethanol, wie er in Brasilien durch Rodung der Regenwälder und Ausnutzung von Arbeitskraft ermöglicht wird, ist in diesen Regionen nicht möglich. Außerdem weist die Umwandlung von Mais zu Ethanol (wie er auch in China hergestellt wird, einem Land, das selbst nicht einmal genug Mais als Futter- und Nahrungsmittel produzieren kann, um den eigenen Bedarf zu decken) eine negative Energiebilanz auf, es muss also mehr Energie aus Erdöl investiert werden, als letztendlich durch das produzierte Ethanol zur Verfügung gestellt werden kann.

Die großen internationalen Ölkonzerne haben heute nur noch Zugriff auf höchstens 15% der Weltölproduktion und zwar schwerpunktmäßig auf kapitalintensive Offshore-Neuerschließungen. Die größten Ölreserven liegen im Nahen Osten. Daher gewinnt diese Region besondere strategische Bedeutung für alle Länder, die um ihre Energiesicherheit besorgt sind. Und hier kommt insbesondere die Politik der USA ins Spiel. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten auf ihre Vorherrschaft in der Region konzentriert. Der Zugriff auf Erdöl zum Erhalt des US-Wirtschaftssystems, das selbst chronisch krank geworden ist (Überschuldung, Abwanderung der herstellenden Industrie, Außenhandels- und Budgetdefizite), ist zum geopolitischen Thema geworden.

USA und das Öl des Iraks

Ein großer Teil der Budgetdefizite der USA entstanden in den letzten Jahren durch den Irakkrieg. Die Kosten sind weitaus höher als geplant und liegen bei schätzungsweise über 497 Milliarden Dollar. Selbst die enormen monetären Kosten des Irakkriegs erscheinen aber marginal relativ zum strategischen wie monetären Wert der immensen Ölreserven des Landes. Irak verfügt über die zweitgrößten Ölreserven der Erde, und diese sind größtenteils unerschlossen. Auch die Invasion Afghanistans, einem Land, das selbst kein Öl besitzt, folgt strategischem, geopolitischem Kalkül. Afghanistan ist die Schwelle vom Nahen Osten zu Asien und grenzt außerdem an Iran, dem letzten Land im Nahen Osten, auf das die USA keinen mittelbaren oder unmittelbaren Zugriff haben.

Die ausschließliche Kontrolle über den Nahen Osten und dessen Ölreserven, welche die USA und internationale Ölkonzerne damit beinahe vollständig erzielt haben, bedeutet eine unvorstellbare Steigerung von Macht, auch über die aufstrebenden Nationen im asiatisch-pazifischen Raum. So könnte beispielsweise auch das kommunistische Regime in China nach dem Motto „Wenn ihr unsere Dollars und Staatsanleihen verkauft, sperren wir die Öllieferungen“ gefügig gemacht werden.

Quelle: Rohstoff-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets
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Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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