Kommentar
14:17 Uhr, 10.01.2008

Erdöl bei 100$: Der Weg der Petrodollars und was teures Öl für die Welt bedeutet

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Die Kraft der Symbole

Symbole tragen die Energie des Begriffes in sich, für den sie stehen,
und diese Energie ist für uns spürbar und wirkt auf uns.

Von Jochen Stanzl, erschienen im Rohstoff-Report 01/2008 (kostenlose Rohstoff-Report-Anmeldung hier: http://www.godmode-trader.de/newsletter/b2c/)

Der Anstieg des Ölpreises von nur 10 Dollar pro Barrel vor einem Jahrzehnt auf nunmehr 100 Dollar in der letzten Woche verändert den Wohlstand der Nationen und die Industrie, wie wir sie kennen. Diese Veränderungen werden sich intensivieren, wenn sich Öl weiter verteuert, wovon ich ausgehe. Bereits jetzt löst der hohe Ölpreis dramatische Veränderungen in der Luftfahrt- und Autoindustrie aus. Er erhöht den Druck auf die Politik, gegen den Klimawandel vorzugehen und nach alternativen Treibstoffen und Energieträgern zu suchen.

Die hohen Treibstoffpreise bedrohen die Vorliebe der Amerikaner und Europäer für schnelle und verbrauchsstarke Wägen, besonders Pendler mit langen Anfahrtswegen spüren die zusätzlichen Treibstoffkosten in der eigenen Tasche. Der Schienengüterverkehr erlebt eine langsame aber spürbare Renaissance. Dennoch ist die Widerstandsfähigkeit der westlichen Volkswirtschaften kräftig gestiegen. Der Anteil der Treibstoffkosten an den Gesamtausgaben eines US-Amerikaners liegt heute bei 4%, nach 6% vor fast drei Jahrzehnten.

Richard Arens hat Öl auf 100 Dollar verteuert

Niemand kann mit Gewissheit sagen, ob ein dreistelliger Ölpreis jetzt zur Tagesordnung gehören wird. Es scheint mir aber die Zeit zu Ende, in der Öl in ausreichenden Mengen und zu vernachlässigbaren Kosten verfügbar war. Wenn eine mögliche Rezession in den USA die Weltwirtschaft und damit auch das exportabhängige chinesische Wirtschaftwachstum bremst, wird das am Ölpreis nicht spurlos vorübergehen. Langfristig dürfte die sehr wenig preissensitive Ölnachfrage aber nur unterdurchschnittlich zurückgehen, was dazu führen dürfte, dass Öl nicht nachhaltig fallen wird.

Wie kam es in der letzten Woche zu den 100 Dollar? Dazu gibt es eine kleine Geschichte zu erzählen. Mit nur einer einzigen Kursfeststellung stieg der Ölpreis in der letzten Woche auf die Marke von 100 Dollar. Der New Yorker Broker Richard Arens bot als erster Mensch der Erde an der New Yorker Warenterminbörse NYMEX 100 Dollar pro Barrel Erdöl. Über sein Ein-Mann-Unternehmen ABS bot er für 1000 Barrel Rohöl exakt 100,000 Dollar und trieb damit den Ölpreis erstmals über die magische Marke von 100 Dollar. 1000 Barrel sind die Mindesthandelsgröße für Erdöl an der NYMEX. Kurz danach verkaufte er wieder – und machte einen Verlust von 600 Euro. Das ist der Preis der Ewigkeit. Zumindest an der Börse. Nicht unterschätzt darf die symbolische Kraft der 100-Dollar-Marke werden.

Die Ölkrisen gestern und heute

Anfang der 70er Jahre führte der Angriff ägyptischer Truppen auf Israel zum ersten angebotsinduzierten Ölpreisschock. Noch während des so genannten Jom-Kippur-Krieges erhöhten zunächst die arabischen Ölförderstaaten den Ölpreis und beschlossen parallel dazu Produktionsbeschränkungen. Über die israelischen Verbündeten USA und die Niederlande wurden sogar Lieferboykotts verhängt. Die Ölfördermenge im Nahen Osten wurde um 25% gedrosselt, in Deutschland waren die Autobahnen sonntags leer – es herrschte Fahrverbot.

Der Ölpreisschock der 80er Jahre wurde durch die Verunsicherung über Förderausfälle nach der iranischen Revolution und durch dann tatsächliche Förderrückgänge im Zuge des Iran-Irak-Kriegs ausgelöst.

Ganz im Gegenteil zu den 70er und 80er Jahren ist der heutige Ölpreisschock nachfragegetrieben, ausgelöst durch die längste Serie an aneinander folgenden Jahren mit einem Weltwirtschaftswachstum von über 4% seit Menschheitsgedenken. Wachstumstreiber sind die aufstrebenden Nationen in Asien. Sollte im aktuellen Umfeld ein wichtiges Förderland ausfallen, träfe ein angebotsinduzierter Ölpreisschock mit dem bereits vorhandenen nachfrageinduzierten Schock zusammen. Aus diesem Grund wird im aktuellen Umfeld jeglichen geopolitischen Risiken eine derart hohe Bedeutung beigemessen. Fiele Iran, Nigeria oder ein anderes wichtiges Ölförderland für eine nicht absehbare Zeit als Öllieferant aus, könnte dies ohne weiteres einen Ölpreis jenseits der Marke von 200-Dollar zur Folge haben.

Der Druck auf den US-Dollar wächst

Für die ärmsten Nationen der Welt wachsen die Herausforderungen, während die Öl produzierenden Länder im Nahen Osten, Russland und Venezuela zu neuer Macht und neuem Wohlstand finden. Die Kehrseite der Medaille: Die Macht und Vorherrschaft der USA und damit des US-Dollars wird dadurch in vielen Teilen der Erde untergraben.

Der US-Dollar gilt als Weltwährung, weil die USA nicht nur auf Seiten ihrer Wirtschaftsleistung weltweit bedeutend sind, sondern auch militärisch und politisch. Während die konjunkturelle Vorherrschaft durch den Aufstieg Chinas untergraben wird, treten auf der Weltbühne längst vergessen geglaubte Nationen wie Russland auf die Tagesordnung und finden zu neuem Selbstvertrauen zurück. Der Kreml unter Vladimir Putin stellt sich gegen US-Pläne, ein Raketenschild gegen die Bedrohung aus Iran in Europa zu installieren; mit einem unabhängigen Kosovo ist man ebenso wenig einverstanden.

Der Anstieg des Ölpreises auf 100 Dollar erzeugt außerdem neuen Druck auf die US-Wirtschaft, die bereits mit einer Rezession in ihrem Immobilien- und Automobilmarkt zu kämpfen hat.

Außerdem ebbt der Rückfluss der Petrodollars in die USA ab. Denn die Länder im Nahen Osten, die besonders an gestiegenen Einnahmen profitieren, kaufen Hightech-Geräte in China, Flugzeuge und teure Wägen in Europa, Stahl in Indien und Gold aus Kanada und Afrika. Das hat zur Folge, dass sie ihre Petrodollars verkaufen, um sie in Euros, südafrikanische Rand, indische Rupien, kanadische Dollar oder chinesische Renminbi zu tauschen. Die Petrodollars wandern also nicht mehr zurück in die USA, sondern gelangen in die Zentralbankreserven der Exportländer. Eine wachsende Zahl von Zentralbanken denkt nun zu allem Übel auch noch darüber nach, ihre Devisenreserven zu Lasten des US-Dollars zu diversifizieren. Doch wo nur hin mit den vielen Dollars? Es scheint mit als bliebe vielen Zentralbanken schließlich keine andere Möglichkeit, als die Dollarhorden zu halten, weil sie schließlich niemand haben will. Die Mengen, die jetzt bereits auf den Markt gelangen, drücken den US-Dollar schon deutlich nach unten. Dies würde sich massiv beschleunigen, wenn diese Diversifizierungspläne umgesetzt werden sollten.

Nicht zuletzt deswegen sind Staaten mit hohen Dollarreserven bestrebt, sich „harte Währungen“ zu kaufen. Dazu zählen unter anderem Immobilien, Gold, Aktien oder ganze Unternehmen, Rohstoffminen oder Ölquellen. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele hierfür aufzeigen.

Der Weg der Petrodollars

Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass der Wert der Exporte fossiler Treibstoffe aus dem Nahen Osten und Zentralasien im Jahr 2007 die Summe von 750 Milliarden Dollar erreichen wird. Das ist fast die vierfache Summe dessen, was diese Staaten im Jahr 2001 eingenommen haben. McKinsey & Co. schätzt, dass die weltgrößten Investoren von Petrodollars, darunter auch staatseigene Investmentfonds - so genannte Sovereign Wealth Funds – heute ein Volumen von 3,8 Billionen Dollar verwalten. Das entspricht 44% der gesamten amerikanischen Schulden im Ausland und fast dem dreifachen der deutschen Staatsverschuldung. Die Abu Dhabi Investment Authority, die McKinsey & Co. auf ein Gesamtvolumen von 900 Milliarden Dollar schätzt, ist heute einer der größten Fonds der Welt und hat ungefähr die gleiche Größe wie die Bank of Japan.

Es ist bezeichnend, dass es gerade dieser Fonds aus Abu Dhabi war, der mit 7,5 Milliarden Dollar für die angeschlagene Citigroup in die Bresche sprang. Bereits vor diesem Abschluss traten Bahrain, Kuwait, Oman, Saudi Arabien, Qatar and die Vereinigten Arabischen Emirate, wozu auch Abu Dhabi zählt, als internationale Investoren auf. In den letzten drei Jahren sollen sie nach Berechnungen des Londoner Researchhauses Dealogic 124,3 Milliarden Dollar international investiert haben. Auch im eigenen Land werden die Milliardengewinne in neue Straßen, Schulen, Flughäfen und sogar in den Aufbau ganz neuer Städte investiert. Dubai, ebenfalls ein Mitglied der Vereinigten Arabischen Emirate, investierte in einem komplizierten Geschäftsabschluss mit der Nasdaq Stock Market Inc. massive Gelder, die dem Golfstaat nennenswerte Anteile an der Nasdaq, der London Stock Exchange und der nordeuropäischen Börse OMX geben.

Auch asiatische Staaten treten als globale Investoren auf. Die Singapore Investment Corp. investierte 9,7 Milliarden Dollar, um die Schweizer Bank UBS AG zu retten, während die ebenfalls aus Singapur stammende Temasek Holdings Pte. sich mit 18% an der britischen Standard Chartered Plc für 9,2 Milliarden Dollar beteiligte. Auch beteiligte sich Temasek mit 4,4 Milliarden Dollar an Merrill Lynch & Co. mit der Option, zukünftig weitere 600 Millionen Dollar in Merrill-Aktien zu kaufen. China Investment Corp. kaufte sich mit 5 Milliarden Dollar bei Morgan Stanley ein.

Die Petrodollar-Investoren dürften mit einem Volumen von 3,8 Milliarden Dollar nicht unterschätzt werden. Sie werden zusammen mit den reichen asiatischen Staaten in den nächsten Jahrzehnten eine große Rolle beim Erhalt der Stabilität des westlichen Finanzsystems spielen. Denn im Gegensatz zu Anlegern wie Ihnen und mir haben die Souvereign Wealth Funds nicht zwangsläufig Gewinne im Blick – sie sind Regierungsfonds, und Papier ist in Ämtern besonders geduldig. Auch wenn offiziell von den Staatsfonds das Renditemotiv in den Vordergrund gestellt wird, scheint mit das Motiv der Sicherung von Einfluss in westlichen Unternehmen ein weitaus größeres zu sein. Verkäufe der Anteile dürften also lange Zeit auf sich warten lassen. Es hat einfach symbolische Aussagekraft, wenn man als Großaktionär einer UBS oder Citigroup genannt wird, besonders weil die Vorstände letztendlich dem Shareholder Value und damit den Aktionären verpflichtet sind. Aktionen, wie der Sperrung iranischen Kapitals durch die UBS im letzten Jahr, wären kaum umsetzbar, wenn Iran Großaktionär dieser Bank wäre. Die oben genannten Beteiligungen sind also vor allem strategisch wichtig.

Auch aus dem Grund, dass diese Welle von Investitionen die Macht und Vorherrschaft der USA schwächt. Die steigenden Ölpreise haben die finanziellen Sanktionen der USA gegen Iran geschwächt, der sich neue Kapitalströme aus Asien sichern kann, in dem er Erdgas und Erdöl nach China verkauft und von dort Hightech-Geräte im Austausch erhält. Die hohen Ölpreise stärken die iranische Regierung und halten die aktuelle iranische Regierung fest im Sattel.

In Kartum, der einst fast verfallenen Hauptstadt des Sudan, schießen Hochhäuser entlang des Nils wie Pilze in die Höhe, da der Ölreichtum Investoren aus dem Nahen Osten und Asien anzieht. Sudan, der von Washington des Völkermords in Darfur bezichtigt wird, wird seit Jahren von US-Sanktionen in seinen Möglichkeiten gebremst. Diese Beschränkungen haben heute weniger Wirkung, da Milliardensummen aus Asien und den Golfstaaten dort investiert werden.

Venezuela baut wohl so aggressiv wie kein zweiter Staat seine Machtstellung gegen die USA aus. Hugo Chávez verkauft heute vergünstigtes und subventioniertes Heizöl an arme Regionen im Nordosten der USA, nutzt sein Öl, um sich mit Fidel Castro anzufreunden und versucht auch seine Macht in Südamerika weiter auszubauen. All das schwächt die Möglichkeiten der USA, in diesen Regionen als starker Handelspartner aufzutreten.

Zusammenfassung

Die Globalisierung tritt mit dem Erreichen der 100-Dollar-Marke bei Erdöl in eine neue Phase ein. War die Zeit nach dem Fall des eisernen Vorhangs vor allem durch die USA dominiert, treten nun neue Staaten aus dem Nahen Osten und Asien als neue Mächte auf der Weltbühne auf. Sie treten in den globalen Wettbewerb ein und konkurrieren mit den USA um attraktive Geschäftsmöglichkeiten. Als Lybien im letzten Jahr einige ölreiche Liegenschaften zum Verkauf stellte, erhielt nicht nur Exxon Mobile aus den USA einen Zuschlag, sondern auch staatseigene Ölkonzerne aus Russland, China und Indien.

Diese staatseigenen Unternehmen beziehen ihre Stärke nicht nur aus ihrer Marktbewertung, sondern auch durch ihre Kontrolle von Liegenschaften. Exxon Mobil ist mit einer Marktbewertung von 500 Milliarden Dollar eines der größten Unternehmen, das jemals an der Börse gehandelt wurde. Aber es gibt 12 staatseigene Öl-Unternehmen, darunter auch Saudi Aramco and PetroChina, die weitaus mehr Ölreserven als Exxon kontrollieren.

Unter dem Strich lässt sich die Machtverschiebung in der Welt also auf die geologischen Vorkommen von Ressourcen subsumieren. Die neuen Ölfunde in Europa und Nordamerika waren in den letzten Jahrzehnten sehr rar. Auch wenn die US-Regierung nun damit beginnt, in den einzigartigen Naturschutzgebieten Alaskas nach Erdöl zu suchen (Beschluss aus der letzten Woche), so dürfte sich an diesem Trend nichts ändern. Westliche Unternehmen kontrollieren nur rund eines von insgesamt zehn Barrels, die auf der Erde heute gefördert werden. Solange die westlichen Unternehmen Probleme haben, neues Öl zu finden, solange werden die ölreichen Staaten ihren Einfluss in den kommenden Jahren weiter ausbauen können.

Quelle: Rohstoff-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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