Kommentar
11:58 Uhr, 08.09.2012

Ein Nachruf auf die Bundesbank

Muss Deutschland die Inflation fürchten? EZB-Chef Draghi meint, die Inflationserwartungen sind fest verankert, was im Zentralbank-Deutsch soviel bedeutet wie: „Die Preise sind kein Problem.“ Aber ist diese Ruhe nicht trügerisch? Die Phase der Großen Mäßigung (Great Moderation) könnte mit der Großen Finanzkrise geendet haben, und es wäre angesichts angedachter neuer geldpolitischer Experimente nicht verwunderlich, wenn die Inflation in den kommenden Jahren stiege, nachdem sie fast 30 Jahre lang kein größeres Problem darstellte.

Welches geldpolitische Instrumentarium stünde der Europäischen Zentralbank zur Verfügung, um die Inflation zu bekämpfen, würde sie überraschend steigen - etwa auf drei oder vier Prozent? Sie müsste dem Markt Liquidität entziehen, rückgängig machen, was die Banken stützte, die Schotts der Geldschleusen schließen. Eine solche Maßnahme kann man sich leisten, wenn es der Wirtschaft gut geht. Chinas und Indiens Zentralbank entschieden sich vor fast zwei Jahren für diesen Weg, als sie merkten, dass sie mit lockerer Geldpolitik eine zu hohe Inflation erzeugt hatten. Diesen Luxus, hohe Wachstumsraten opfern zu können, um die Inflation zu kontrollieren, haben die westlichen Zentralbanken nicht mehr. Sie würden riskieren, dass es an den Märkten wieder zu Crashs und neuen Einbrüchen kommt.

Der Point of no Return für die westlichen Zentralbanken rückt näher: Sie müssen sich früher oder später zwischen Inflationskontrolle oder Wachstum entscheiden. Bislang wogen sie sich in der komfortablen Situation, künstliches Wachstum erschaffen zu können, ohne mit den Preisen ein Problem zu bekommen. Es gibt keine Garantie, dass dies auch für die jetzt beschlossenen Outright-Geschäfte, wenngleich sie neutralisiert werden, zutreffen wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zentralbanker von ihrem Ziel, die Inflation zu kontrollieren, sukzessive abrücken.

Besonders eindrucksvoll sieht man dies in UK und den USA: US-Notenbankchef Ben Bernanke beklagte wiederholt, dass der Arbeitsmarkt sich zu schwach entwickle. Tatsächlich hat die US-Wirtschaft in den vergangenen Monaten kräftig an Fahrt verloren. Sie wächst vielleicht noch mit 1,5%, vielleicht mit zwei Prozent. Damit werden nicht genügend Stellen geschaffen, um das Bevölkerungswachstum zu absorbieren. Inmitten des Wahlkampfes zwischen Obama und Romney könnten also die Arbeitslosenzahlen beginnen, zu steigen. Die Daten vom Freitag sind ein Indiz dafür. Eigentlich hätte Ben Bernanke da schon längst ein neues geldpolitisches Lockerungsprogramm auflegen müssen. Er scheut sich aber, weil der S&P 500 Index mit rund 1400 Punkten nur rund zehn Prozent unter seinem Allzeithoch notiert und die langfristige Inflation mit 2,6% ein Stückchen über dem verharrt, was die Notenbank als Höchstgrenze ansieht, ab der man eigentlich kein weiteres QE-Programm unternehmen dürfte. Dennoch sprach sich Bernanke in Jackson Hole sehr konkret für ein solches, die Inflation potentiell stark anheizendes Programm aus.

In Europa scheint mit Jens Weidmann der einzige Fels in der Brandung zu sein, der noch gegen den direkten Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB ist. Er wollte bereits zurücktreten und aufgeben, was ich gut nachvollziehen kann. Die Wogen an Befürwortern des zügellosen Gelddrucks schlagen immer höher an die Brandung. Mit der Entscheidung der EZB, unlimitierte Anleihenkäufe durchzuführen - zwar nur für die Länder, die unter den ESM und/oder EFSF schlüpfen - aber dennoch: Ist das folgende Bild überzogen?


Die EZB knüpft ihre Outright-Geschäfte an die Konditionalitäten, denen sich die Länder unterwerfen würden, wenn sie unter den Rettungsschirm EFSF/ESM schlüpfen. Nur wenn sie dies tun, werden sie in den Genuss der Outright-Geschäfte der EZB kommen. Jens Weidmann kritisiert aber, wohl zurecht, dass die EZB wohl kaum die Marktverwerfungen in Kauf nehmen würde, wenn sich etwa Spaniens Politik dazu entscheiden würde, ihre Sparprogramme und Strukturreformen zu vernachlässigen.

Da Deutschland einen Großteil der Risiken zu tragen hat, da wir zu 27% an der EZB beteiligt sind, ist wohl von steigenden Zinsen in Deutschland auszugehen, insbesondere wenn Karlsruhe sich am kommenden Mittwoch nicht ablehnend zum ESM äußern wird. Die Entscheidung des BVGs kommt am Mittwoch, 10 Uhr. Der Bund Future bildet ein potentielles Doppeltopp aus und könnte deutlich fallen:

http://www.godmode-trader.de/blog/rohstoff/2012/09/07/trading-idee-bund-future-short/seite/1

Die Zentralbanken könnten also eine Inflation auslösen, der sie im Anschluss selbst nicht mehr Herr werden können. Auch wenn das nur hypothetisch ist - als Anleger benötigt man eine Versicherung gegen solche Eventualitäten, denn selbst eine harmlos anmutende Inflation von 4% entwertet alle ungesicherten Geldvermögen in sieben Jahren um ein Viertel. Das scheinen viele Menschen erkannt zu haben. Eine Unze Gold kostet wieder über 1350 Euro.

Autor: Jochen Stanzl

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Über den Experten

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Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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