Kommentar
10:09 Uhr, 02.06.2023

Droht den Aktienmärkten die Saure-Gurken-Zeit?

Der erneute Anstieg des von der US-Notenbank bevorzugten Inflationsmaßes (Preisindex für die persönlichen Konsumausgaben) auf 4,4 Prozent im April nach zuvor 4,2 hat die Freude auf ein vorzeitiges Ende der Zinserhöhungspolitik der Fed gedämpft.

Der erneute Anstieg des von der US-Notenbank bevorzugten Inflationsmaßes (Preisindex für die persönlichen Konsumausgaben) auf 4,4 Prozent im April nach zuvor 4,2 hat die Freude auf ein vorzeitiges Ende der Zinserhöhungspolitik der Fed gedämpft.

Die Realität legt dem Zinserhöhungszyklus Zügel an

Dennoch werden die konjunkturbedingten Inflationskräfte immer schwächer. So kühlt sich der US-Häusermarkt ab. Historisch schlagen sich fallende Immobilienpreise mit einer Verzögerung von durchschnittlich 12 Monaten in einer Abkühlung der Mietpreise nieder, die im April tatsächlich ihren Kipppunkt erreicht haben. Und da Mieten zu rund einem Drittel in die amerikanische Inflationsberechnung eingehen, ist deutliches Desinflationspotenzial vorhanden.

Ebenso trüben sich im Trend die Verbrauchererwartungen der University of Michigan weiter ein. Diese Einschätzung bestätigen auch alltägliche Beobachtungen, das sog. „Straßen-Research“. So lässt gemäß Restaurant Performance Index die Neigung der Amerikaner, auswärts essen zu gehen, nach.

Grafik der Woche

Nicht zuletzt sind die industriellen Reibungsverluste unverkennbar: Der ISM Index im Verarbeitenden Gewerbe signalisiert schrumpfende Industrieproduktion.

Ohnehin wirkt die inverseste Zinsstrukturkurve seit 40 Jahren toxisch auf das Wirtschaftswachstum, da Banken bei der Kreditvergabe weniger attraktive Margen vereinnahmen können. Hinzu kommt Abschreibungsbedarf mit Blick auf konjunkturell verschlechterte Kreditportfolios.

Und historisch hat eine eingeschränkte Kreditvergabe in der Folge zu steigender Arbeitslosigkeit geführt. Auch der Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) selbst dokumentiert bereits, dass sich der US-Arbeitsmarkt abkühlt.

Schließlich ist der Stress speziell bei Regionalbanken noch nicht beendet. Die mittlerweile sehr attraktiven Kurzfristzinsen veranlassen Kunden weiter, zinsunattraktivere Bankeinlagen abzuziehen, um sie stattdessen z.B. in höherverzinsliche Geldmarktfonds zu parken. Die daraus resultierenden Liquiditätsnöte wird die Fed nicht ignorieren können.

Vor diesem Gesamthintergrund sollte die US-Notenbank ihren Zinserhöhungszyklus beendet haben. Vereinzelte Fed-Mitglieder sprechen zwar von einer „Zinspause“ im Juni mit der Möglichkeit erneuter Anhebungen ab Juli. Diese Zinspause ist aber eher als Alibi zu verstehen, angesichts der aktuell noch hohen Inflation keinen großen stabilitätspolitischen Glaubwürdigkeitsverlust zu riskieren. Die Fed wird aber eher darauf vertrauen, dass die aktuell konjunkturell schwierige Zeit die Inflationswunden selbst heilt und insofern weitere Zinserhöhungsmaßnahmen obsolet werden.

Nicht zuletzt verunsichert es das unter Stress stehende Finanzsystem zusätzlich, wenn eine „Weder Fisch noch Fleisch“-Zinspolitik betrieben wird. Börsen, Banken und die Realwirtschaft wollen klare Zins-Leitplanken für ihre Investmententscheidungen. Dann wäre eine finale Leitzinserhöhung der Fed der klarere Weg. Genau diese preisen die Terminmärkte nach einer Pause im Juni noch für Juli ein. Allerdings verhalten sie sich bei ihren Prognosen je nach Datenlage wie das Fähnchen im Wind.

Historisch betrachtet hat mit einem Abstand von maximal sechs Monaten nach der letzten Zinserhöhung die erste -senkung stattgefunden. Die Terminmärkte erwarten den Beginn des Zinsentspannungszyklus sogar ab September mit dann zwei Senkungen 2023 in Höhe von jeweils 25 Basispunkten bis Jahresende.

Wie in Amerika wirkt die voranschreitende Inflationsentspannung auch den Zinsängsten in der Eurozone entgegen. Insbesondere die allmählich rückläufige Kerninflation ist erfreulich.

Und wie die Fed sorgt sich ebenso die EZB gemäß Financial Stability Review zunehmend über die Nebenwirkungen ihrer rasanten Zinswende wie die Schieflagen in Kreditportfolios aufgrund von Zahlungsausfällen, auch aus dem Immobilienbereich. Das Ende der Zinserhöhungen der EZB im Sommer ist in Sicht.

Marktlage - Börse bezahlt Zukunft. Wie wäre es also mit Nebenwerten?

Zur Erleichterung an den Aktienbörsen trägt sicher die Einigung auf einen Schulden-Deal zwischen Republikanern und Demokraten bei. Bis zur nächsten Aufführung im Schulden-Theater im Januar 2025 haben die Finanzmärkte erst einmal Ruhe.

Fundamental jedoch wirken die schwachen weltweiten Konjunkturdaten der Aufwärtsbewegung entgegen.

Denn die Euro-Wirtschaft entwickelt sich gemäß des von Citigroup veröffentlichten ökonomischen Überraschungsindex zuletzt sehr enttäuschend. Zwar kann sich die US-Wirtschaft überraschend aus dem Enttäuschungsbereich herausarbeiten. Doch wird in China die erneute Corona-Welle zum Konjunkturhemmschuh.

Zur anhaltenden Konjunktur-Baisse kommt jetzt auch noch die Saure Gurken-Zeit bis etwa August/ September hinzu. Auf den ersten Blick könnte sie nicht nur die Kaufbegeisterung der Anleger bremsen. Sie lädt auch zu Gewinnmitnahmen ein, um die in diesem Jahr bislang erzielte Performance zu sichern. Kritisch wird auch betrachtet, dass die Aktienhausse einseitig vor allem nur auf die bekannten dicken Fische zurückgeht. In Amerika sind es de facto sechs.

Zwischenzeitliche Konsolidierungen wären in der Tat nicht ungewöhnlich, sondern gesund. Für massive Rückschläge spricht aber wenig. Denn China stimuliert seine Wirtschaft mit umfangreichen fiskalischen und geldpolitischen Muntermachern, die spätestens nächstes Jahr anschlagen werden. Und setzt die Fed zum Jahresende auf Zinssenkungen, werden diese mit einer Verzögerung von rund sechs Monaten positiv auf die Konjunktur 2024 wirken.

Das schlägt sich schließlich auch in Gewinneinschätzungen nieder. Tatsächlich haben die Analysten die Netto-Gewinnerwartungen für Corporate America für die kommenden 12 Monate immer weniger gesenkt. Die Gewinn-Rezession hat damit ihren Tiefpunkt bereits gesehen.

Das wiederum begrenzt Anspannungen der Aktienbewertungen, die in den USA zuletzt wieder zugenommen haben.

Apropos große Werte, was ist denn mit kleinen Titeln? Der MDAX notiert im Gegensatz zum DAX ca. 26 Prozent unter Rekordstand. Beim amerikanischen Russell 2000 sind es sogar 23 Prozent.

Den in diesen Indices vertretenen, vor allem konjunkturabhängigen Werten wird die Wirtschaftsbelebung 2024 zugutekommen. Tatsächlich schneiden sie in den frühen Phasen eines Aufschwungs immer gut ab. Während in schwierigen (Konjunktur-)Zeiten die stabiler und diversifizierter aufgestellten großen Titel favorisiert werden, verfügen die kleinen in Zeiten der Reflation über höhere Wachstumshebel, die sie auch bewertungstechnisch attraktiv machen.

Anleger sollten sich also im Sommer nicht vom Aktienmarkt verabschieden, sondern allmählich groß in klein umtauschen.

Sentiment und Charttechnik DAX - Die Marke von 16.000 Punkten ist eine harte Nuss

An Wall Street gibt es gemäß Umfrage der American Association of Individual Investors mittlerweile einen leichten Überhang der Pessimisten. Da sich die allgemeine Anlegerstimmung ohnehin verhalten darstellt, verfügt der US-Aktienmarkt über stabilisierende Kontraindikatoren.

Sowieso ist die aktuelle Börsenvolatilität nicht mit Sorge zu betrachten.

Charttechnisch liegen im DAX Unterstützungen bei 15.862, 15.854 und 15.725 Punkten. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 15.659 und 15.643. Um die Aufwärtsbewegung fortzusetzen, müssen zunächst die Widerstände bei 15.970, 15.980 und der psychologisch wichtigen Barriere bei 16.000 überschritten werden. Darüber liegen weitere Barrieren bei 16.028, 16.143 und 16.170 Punkten.

Disclaimer beachten!

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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