Kommentar
15:32 Uhr, 19.12.2011

Dramatische Eskalation im ersten Quartal 2012?

Als wir uns kürzlich Godmode-intern in einer größeren Gruppe getroffen haben, wurde natürlich auch ausgiebig über die Finanzkrise diskutiert. Es gab unterschiedlichste Ansichten; sie reichten von einem beinahe sicheren Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems bis zu der Meinung, das aktuelle System könne auch noch Jahrzehnte überleben.

Meine Position war letztere. Allerdings sehe ich nicht, dass sich die Krise noch von alleine lösen wird. Konkret bin ich der Meinung, dass das Vertrauen in die europäischen Staatsanleihen nicht einfach so zurückkehren wird. Auch nicht, wenn härteste Sparmaßnahmen durchgezogen werden. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Austeritätspolitik ist immens, und hinzu kommt eine fast schon als sicher anzusehende Rezession im kommenden Jahr in der Eurozone. Sparen+Rezession=Gefahr!

Das soll jetzt kein Lobgesang auf ein Deficit Spending im Stile der 70er Jahre sein, denn uns muss allen klar sein, dass genau diese Politik mit zum heutigen Schlamassel entschieden beigetragen hat. Aber es ist auch offenkundig, dass die Genesung der kriselnden Volkswirtschaften nicht gelingen kann, wenn es zum Dreiklang Sparen – Rezession – einbrechende Staatsanleihen kommt. Genau das droht aber.

Deswegen habe ich schon vor einiger Zeit meine Aversion gegen Eingriffe durch die EZB unter Schmerzen abgelegt und unterstütze ein massives Intervenieren, um die Renditen der Bonds kriselnder Staaten in einem akzeptablen Rahmen zu halten. Sämtliche Rettungsschirme sind dafür letztlich nicht geeignet. Sie sind nicht nur unterdimensioniert, sondern bürden den (noch) starken Staaten unkalkulierbare Risiken auf. Das unterminiert nicht nur deren mittelfristige Leistungsfähigkeit und Stabilität , sondern sorgt auch für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung. So sind alle Rettungspakete eigentlich ständig gefährdet, wenn man bedenkt dass die Eurozone aus 17 Staaten besteht und von allen Seiten Widerstand drohen könnte.

Die EZB dagegen ist unabhängig. Sie benötigt keinen Parlamentsbeschluss oder dergleichen, um zu agieren. Sie alleine ist glaubhaft in der Lage, die Situation zu stabilisieren. Bei den Rettungsschirmen darf man eines nicht vergessen: Egal wie groß sie sind, es muss jemand geben, der diese gigantischen Summen im Zweifelsfall stemmen kann. Der staatliche „lender of last resort“ ist offensichtlich Deutschland. Aber wie lange noch? Auch Deutschland muss das Geld, das es in Rettungsschirme steckt, letztlich irgendwo her nehmen. Und zwar am Markt aufnehmen. Es könnte sein, dass dies irgendwann im Verlauf der Krise nicht mehr gelingt.

Dieses Problem hat die EZB nicht. Sie verfügt über unlimitierte Mengen an Geld, da sie alleine in der Lage ist, echtes neues Geld zu schaffen. Es versteht sich von selbst, dass dadurch ein erhebliches Inflationsrisiko entsteht. Jede Milliarde, die in Staatsanleihen gesteckt wird, fließt einer Bank, Versicherung oder sonst wem zu und kann damit anderweitig verwendet werden. Die so genannten „Sterilisierungen“ – das sind Abschöpfungsgeschäfte der EZB mit den Geschäftsbanken – sind nicht mehr als eine Alibitätigkeit. Denn gleichzeitig können sich die Banken ja beliebig viel Zentralbankgeld bei der EZB besorgen. Im Prinzip könnte sich die Zentralbank diese wöchentlichen Inflationsberuhigungsgeschäfte sparen.

Es gibt ein massives Problem. Die EZB will nicht. Insbesondere die mächtige Bundesbank leistet massiven Widerstand. Und die EZB darf eigentlich gar nicht. In den EU-Verträgen ist das Verbot der Staatsfinanzierung verankert. Das geschah aus gutem Grund, aber es könnte sich 2012 die Situation ergeben, dass Europa sich entscheiden muss. Inflation riskieren oder deflationärer Zusammenbruch. Nichts anderes droht nämlich, wenn die Banken massenhaft Aktiva abbauen. Da hilft auch ein Zins von 0% nichts, denn das nimmt den Staatsanleihen nicht ihr Risiko.

Meine Vermutung ist, dass die EZB in 2012 noch über ihren Schatten springen wird. Vielleicht wird Deutschland sogar weich werden und einer Änderung der EU-Verträge zustimmen, die der Zentralbank dann ein erweitertes Mandat zugestehen. Doch dazu bedarf es wahrscheinlich einer weiteren massiven Eskalation der Krise – fundamental wie auch an den Märkten. Deswegen kalkuliere ich für das erste Quartal recht dramatische Ereignisse ein. Kastrophen-Futter gibt es genug. Anleihen-und Aktiencrash, Wirtschaftseinbruch, vielleicht ein Krieg im Iran? Es kommt der Punkt, an dem die EZB sagen wird: Inflation ist riskant, aber die Euro-Zone zerbrechen lassen ist noch riskanter.

Dann wird der Boden bereitet für eine neue Megahausse an den Börsen. Bis dahin macht es Sinn, das meiste Pulver trocken zu halten.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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