Kommentar
08:35 Uhr, 11.06.2021

Dr. Spendigs Nachhaltigkeitssprechstunde: Normenbasierte Ausschlussprinzipien

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Servus und moin, moin allerseits aus München. Hatten Sie in Ihrer Schulzeit auch ein Schulfach namens „Werte und Normen“? Keine Angst, es geht in den folgenden Zeilen nicht darum, inwieweit der pädagogische Lehrauftrag bei Ihnen Früchte getragen hat. Vielmehr wollen wir uns dem Thema Werte und Normen aus der Sicht von Unternehmen nähern.

Wie Sie wissen, sind Ausschlüsse im Bereich der Nachhaltigkeit ein wesentlicher Faktor bei der Unterscheidung zwischen nachhaltigen und (weniger) nachhaltigen Unternehmen. Diese Ausschlüsse orientieren sich in der Regel an den Unternehmensaktivitäten. Beispielsweise könnte ein Unternehmen, das signifikante Umsätze in der Tabakproduktion erwirtschaftet, von nachhaltigen Produktanbietern ausgeschlossen werden.

Es gibt eine zweite wichtige Kategorie von Ausschlüssen, der wir uns jetzt zuwenden wollen – die normenbasierten Ausschlüsse. Wir verlassen hier endgültig das Gebiet der quantitativen Nachhaltigkeitsmaße und betreten die Welt – Sie ahnen es vielleicht – der Werte und Normen.

Bei normenbasierten Screenings wird untersucht, in welchem Umfang sich Unternehmen an globale Mindeststandards für Geschäftsaktivitäten halten. Es gibt eine ganze Reihe dieser Mindeststandards, federführend sind hierbei insbesondere die Vereinten Nationen. Diese haben im Jahr 2000 die Initiative des sogenannten UN Global Compact ins Leben gerufen, nach eigener Aussage die „weltweit größte und wichtigste Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung“. Mehr als 16500 Unterzeichner dieser Initiative zählen wir derzeit weltweit, davon mehr als 600 aus Deutschland.

Der UN Global Compact basiert auf zehn Prinzipien aus vier Kategorien:

Menschenrechte

Prinzip 1

Unternehmen sollen den Schutz der internationalen Menschenrechte unterstützen und achten.

Prinzip 2

Unternehmen sollen sicherstellen, dass sie sich nicht an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig machen.

Arbeitsnormen

Prinzip 3

Unternehmen sollen die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen wahren sowie ferner für

Prinzip 4

die Beseitigung aller Formen der Zwangsarbeit,

Prinzip 5

die Abschaffung der Kinderarbeit und

Prinzip 6

die Beseitigung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäftigung eintreten.

Umwelt & Klima

Prinzip 7

Unternehmen sollen im Umgang mit Umweltproblemen einen vorsorgenden Ansatz unterstützen,

Prinzip 8

Initiativen ergreifen, um ein größeres Verantwortungsbewusstsein für die Umwelt zu erzeugen und

Prinzip 9

die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien fördern.

Korruptionsprävention

Prinzip 10

Unternehmen sollen gegen alle Arten der Korruption eintreten, einschließlich Erpressung und Bestechung.

Was fällt auf? Diese Prinzipien sind aktueller denn je (das Thema Lieferkettengesetz ist hier nur als ein Beispiel zu nennen), aber auch unvollständig. Beispielsweise findet sich keine Ächtung von – lassen Sie mich es so formulieren – „kreativen“ Steuervermeidungsansätzen.

Interessant ist nun, wie ESG Ratingagenturen Unternehmen im Zusammenhang mit diesen Prinzipien bewerten. Sollte ein Unternehmen nicht zu den Unterzeichnern des UN Global Compact gehören, dann führt dies – nicht ganz überraschend – zur Abwertung.

Aber selbst bei den vielen Unternehmen, die sich zu den Prinzipien bekennen, gibt es oft einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Nehmen wir an, ein Unternehmen verstößt gegen eines dieser Prinzipien, dann wird zunächst die Schwere des Verstoßes bewertet. Hier gibt es unterschiedlichste Skalensysteme je nach Ratinganbieter. Oftmals wird bei den Schweregraden zwischen leicht, moderat, schwer und sehr schwer unterschieden. Die Frage allerdings, ob ein bestimmter Verstoß beispielsweise „nur“ als moderat oder hingegen als schwer klassifiziert wird, ist eine rein subjektive Entscheidung der Ratingagentur. Hinzu kommt, dass weitere Faktoren eine Rolle spielen – beispielsweise, ob das Unternehmen „Reue“ zeigt und aktiv daran arbeitet, ähnliche Vorkommnisse in der Zukunft zu verhindern oder auch wie viel Zeit seit der Verfehlung vergangen ist.

Kein Wunder also, dass es bei normenbasierten Ausschlüssen zu großen Unterschieden zwischen den Ratinganbietern kommt. So würde es m.E. an ein Wunder grenzen, wenn sich ein amerikanisches Large Cap Universum, bei dem Unternehmen mit schweren UN Global Compact Verstößen ausgeschlossen wurden, bei zwei verschiedenen Ratingagenturen nicht deutlich unterscheiden würde.

Freunden von ausgeprägter ESG Rating-Heterogenität haben die normenbasierten Ausschlüsse also durchaus etwas zu bieten. Anhängern größerer Standardisierung und möglichst einheitlicher Ratings dürften sie hingegen eher Kopfzerbrechen bereiten.

Mein ganz persönliches Fazit: wie eine bestimmte (Zeugnis-)Note zustande gekommen war, erschloss sich mir beim Fach Werte & Normen nicht immer. Insofern erlebe ich gerade ein Déjà-vu.

In diesem Sinne, bleiben Sie nachhaltig gesund!

Ihr Dr. Bernd Spendig

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