DIW senkt erneut Konjunkturprognose
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Von Andreas Kißler
DOW JONES--Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat erneut seine Konjunkturprognosen gesenkt. "Die deutsche Wirtschaft schleppt sich durch die Stagnation, eine nachhaltige Erholung rückt auch angesichts struktureller Herausforderungen immer weiter in die Ferne", erklärte das Institut. "In diesem Jahr setzt die Konjunktur von Quartal zu Quartal ihren Zickzackkurs um die Nulllinie fort und dürfte unter dem Strich um 0,2 Prozent schrumpfen." Im Jahr 2025 gehe es mit einem Wachstum von voraussichtlich 0,2 Prozent wohl nur mühsam bergauf, für 2026 werde mit einem Plus von 1,2 Prozent gerechnet. Im September hatte das Institut noch 0,0 Prozent Wachstum für 2024, 0,9 Prozent für 2025 und 1,4 Prozent für 2026 prognostiziert.
"Wir sehen einen kritischen Mix aus konjunktureller Flaute und strukturellen Problemen", sagte DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik. "Das macht vor allem dem sonst so exportstarken verarbeitenden Gewerbe zu schaffen, das als Rückgrat der deutschen Wirtschaft gilt. Neben erhöhten Energie- und Materialkosten und einer immer stärkeren Konkurrenz insbesondere aus China drohen jetzt noch Zölle des designierten US-Präsidenten Donald Trump."
Das Straucheln der deutschen Industrie schlage zunehmend auf industrienahe Dienstleistungen und den Arbeitsmarkt durch, was trotz Fachkräftemangels zu Kurzarbeit und mancherorts zu Entlassungen führe. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte zumindest vorübergehend steigen. Erwartet werden 2,787 Millionen Arbeitslose in diesem Jahr, 2,854 Millionen im kommenden und 2,707 Millionen im übernächsten. Die Arbeitslosenquote sieht das DIW 2024 bei 6,0 Prozent, 2025 bei 6,1 Prozent und 2026 bei 5,8 Prozent. Inflation 2,2 2,0 2,0
Privater Konsum zieht 2025 an
Der private Konsum stütze das Wachstum derzeit nur begrenzt, obwohl die Realeinkommen weiter zulegten. Zur allgemein eher pessimistischen Stimmung kämen Sorgen um den Arbeitsplatz, die die Kauflaune zusätzlich trübten. Das DIW ging aber davon aus, dass der private Konsum im kommenden Jahr wieder anzieht - gestützt von weiter steigenden Einkommen, sinkender Inflation und einer wieder stabileren Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Erwartet wird eine Stagnation des privaten Konsums 2025 und ein Anziehen um 0,3 Prozent 2025 und um 0,7 Prozent 2026. Die Inflationsrate sah das Institut 2024 bei 2,2 Prozent und in den beiden kommenden Jahren bei je 2,0 Prozent.
Der öffentliche Konsum entwickele sich im gesamten Prognosezeitraum solide und gebe der Wirtschaft Auftrieb, auch wenn nach dem Ampel-Aus erst einmal ein Bundeshaushalt für 2025 und neue finanzpolitische Impulse fehlten. Bau- und Ausrüstungsinvestitionen belebten sich nur schwach und blieben hinter früheren Erwartungen zurück. Wegen der Hängepartie nach dem Koalitionsbruch dürften sich Unternehmen erst einmal mit Investitionen zurückhalten, bis der wirtschaftspolitische Kurs der künftigen Bundesregierung erkennbar ist.
Zusätzlich für Gegenwind sorge die Wiederwahl Trumps, der umfassende Zölle angedroht habe, um die US-Wirtschaft zu schützen. Um den Zöllen zuvorzukommen, dürften Unternehmen einen Teil ihrer Lieferungen vorziehen. Daher könnten die deutschen Exporte in diesem Quartal leicht zulegen. Insgesamt dürften die Ausfuhren in diesem und nächsten Jahr aber zurückgehen, bevor sie 2026 - angeschoben von einer höheren Kapitalgüternachfrage aus dem europäischen Ausland - wieder leicht steigen.
Trump macht wohl nicht alle Drohungen wahr
Trumps Comeback stelle die Weltwirtschaft vor wachsende protektionistische Herausforderungen. Die DIW-Prognose geht laut dem Institut davon aus, dass der künftige US-Präsident nicht alle Drohungen wahrmacht. Er dürfte aber nach Amtseintritt die von Vorgänger Joe Biden ausgesetzten Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Europäischen Union wieder einsetzen und den durchschnittlichen Zollsatz für Warenimporte aus China auf 30 Prozent erhöhen. Viele Ankündigungen würden wohl eher als Druckmittel in bilateralen Verhandlungen dienen.
Eine Verschärfung der geopolitischen Spannungen und der Handelskonflikte würde nach Einschätzung von DIW-Präsident Marcel Fratzscher die Inflation befeuern und die Zentralbanken zwingen, die Zinsen wieder zu erhöhen. Dies hätte tiefgreifende Folgen für Wachstum, Investitionen und Konsum. Jetzt sei es vor allem die Aufgabe des Staates, stabilisierend zu wirken und Unsicherheiten zu reduzieren. "Auch das politische Vakuum nach dem Ende der Ampel-Regierung sowie mindestens sechs Monate ohne handlungsfähige Bundesregierung und ohne handlungswilligen Bundestag bedeuten, dass die Wirtschaft weiter geschwächt wird", erklärte Fratzscher.
"Es ist daher essenziell, dass alle Fraktionen im Bundestag ihrer Verantwortung gerecht werden und zumindest die dringend notwendigen Reformen und finanziellen Entlastungen noch in dieser Legislaturperiode angehen", sagte er. Zudem brauche Deutschland mit seinen europäischen Partnern dringend eine überzeugende Strategie, wie sie mit einer erneuten Präsidentschaft Trumps und den zunehmenden Konflikten mit China umgingen.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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