DIHK fordert umfangreiche Maßnahmen zur Fachkräftesicherung
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht hohen Handlungsbedarf, um den in der Wirtschaft herrschenden Fachkräftemangel anzugehen, und hat eine Reihe von Maßnahmen zur Fachkräftesicherung benannt. "Die Dimension des Fachkräftemangels wird noch immer unterschätzt", sagte DIHK-Präsident Peter Adrian bei einem Pressegespräch zur Vorstellung eines Potenzial-Katalogs zur Verbesserung der Situation. "Wir müssen die demografische Lücke als Kernaufgabe annehmen. Dazu brauchen wir ein ganzes Bündel kreativer Lösungen, wie wir diese Lücke verkleinern oder gar schließen können."
Deutschland befinde sich wirtschaftlich in einer Krise. "Wir haben im Moment in Deutschland rund 1,5 Millionen unbesetzte Stellen", betonte Adrian aber zugleich. "Was wir brauchen, ist noch einmal ein anderes Vertrauen, ein anderes Zutrauen der Wirtschaft in die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen." Quer durch die Branchen und Regionen stuften Betriebe aller Größenklassen in den DIHK-Unternehmensumfragen den Mangel an Fachkräften als eines ihrer größten Geschäftsrisiken ein. Die Politik sei gefordert, "langfristig verlässliche, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen".
Jedes Jahr verließen 400.000 mehr Ältere den Arbeitsmarkt, als Junge hinzukämen. "Diese Lücke wird immer größer und bedroht ganz konkret unseren Wohlstand", warnte Adrian. "Selbst wenn nur eine Million Stellen nicht besetzt sind, fehlen unserer Volkswirtschaft Jahr für Jahr rund 50 Milliarden Euro an Wertschöpfung - das entspricht mehr als einem Prozent unseres jährlichen Bruttoinlandsproduktes." Auch alle Transformationsaufgaben hingen davon ab, dafür ausreichend Fachkräfte einsetzen zu können. Die DIHK setze deshalb "auf eine gemeinsame Kraftanstrengung".
Als Dachorganisation der 79 deutschen Industrie- und Handelskammern (IHK) stelle sie den Austausch über praxistaugliche Strategien zur Fachkräftesicherung in den Mittelpunkt des IHK-Tages am Mittwoch in Berlin, zu dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erwartet werden. "Es gilt, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Probleme aus dem Weg zu räumen - im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft", sagte Adrian.
DIHK will alle Register ziehen
In Deutschland gebe es "noch viele Potenziale", die gehoben werden könnten. Das beginne bei jungen Menschen, die mit einer besseren Berufsorientierung gezielter starten könnten, reiche über junge Mütter, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung nach wie vor in Teilzeit arbeiteten bis zu jungen Migranten, die sich am Arbeitsmarkt schwer täten, und gehe bis zu Älteren, die sich einen flexibleren Übergang in den Ruhestand wünschten. "Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir alle Register ziehen. Dabei geht es sowohl um die individuellen Arbeitszeiten als auch die Zahl der Menschen in Arbeit", betonte der DIHK-Präsident.
Potenziale der Fachkräftemobilisierung sieht die DIHK laut einer Mitteilung unter anderem darin, "flexible Angebote zur Weiterarbeit statt Anreize zum Aufhören" zu setzen. "Die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren setzt starke Anreize, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen", monierte die Kammerorganisation. Auch sollten mehr Fachkräfte für die höhere Berufsbildung gewonnen werden. Schon ein einmaliger Zuwachs von 10 Prozent oder etwa 6.000 Absolventen der entsprechenden IHK-Prüfungen würde zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von etwa 1 Milliarde Euro führen.
Zudem gelte es, Arbeitslose stärker in Weiterbildung zu bringen. Die DIHK forderte zudem, die Arbeitszeit auszuweiten und die Produktivität zu erhöhen. Deutschlands Wochenarbeitszeit liege unter dem EU-Durchschnitt, 2022 hätten 20- bis 64-jährige Erwerbstätige in Deutschland 35,3 Stunden gearbeitet. Die 16,4 Millionen Arbeitnehmer in Teilzeit arbeiteten durchschnittlich jeweils 768 Stunden pro Jahr. Würden sie 2,5 Stunden pro Woche mehr arbeiten, entspräche dies etwa 1,2 Millionen zusätzlichen Vollzeitstellen oder rund 2,4 Millionen Teilzeitstellen. Eine höhere Produktivität sei durch Weiterbildung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung möglich.
Geboten sei zudem eine bessere und schnellere Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in der Praxis, eine Steigerung der Beschäftigung von Menschen ohne deutschen Pass mit Maßnahmen zu Integration, Qualifikation, Spracherwerb, Arbeitsvermittlung sowie Anerkennung von Abschlüssen und eine stärkere Mobilisierung von Frauen mit Migrationshintergrund für den Arbeitsmarkt. Eine frühere Berufsorientierung und Praktika sollten zudem dazu beitragen, dass weniger Ausbildungsverträge aufgelöst würden, und auch mehr Jugendliche oder junge Erwachsene, die sich weder in einer Ausbildung, einem Studium oder in einem festen Arbeitsverhältnis befänden, sollten in Ausbildung gebracht werden, unter anderem durch ein verstärktes Ausbildungsmarketing.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
DJG/ank/apo
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