Kommentar
14:20 Uhr, 26.11.2009

Dieses Mal ist es anders

All diejenigen, die mit den Veröffentlichungen zum Wirtschaftsgeschehen vertraut sind, werden diese Überschrift suspekt finden. Zu Recht. „Dieses Mal ist es anders“ - dieser Satz wurde in den vergangenen zehn Jahren mehrfach verwendet, um die Konjunktur- und Marktentwicklungen zu erklären, die nicht in die klassischen Muster passten und die Modelle der Vergangenheit zu widerlegen schienen. Leider diente dieser Satz auch häufig als Rechtfertigung, wenn wieder einmal eine Vermögensblase platzte, etwa die Internetblase mit ihrem berühmten „neuen Paradigma der Wirtschaft“. Dennoch soll diese Überschrift keine reine Provokation sein. Tatsächlich waren die klassischen Rezessionen, die es seit dem Krieg gab, im Wesentlichen das Ergebnis eines Nachfrageüberschusses, der zu steigender Inflation und dann zu einer Straffung der Geldpolitik führte, was wiederum einen Nachfrageeinbruch und wachsende Arbeitslosigkeit nach sich zog. In dem Fall, der uns nun seit 2007 beschäftigt, handelt es sich aber um eine Rezession, die mit der Bilanzstruktur, mit einer überhöhten Verschuldung und zu niedriger Eigenkapitalausstattung bzw. zu niedrigen Ersparnissen zusammenhängt, ob im Finanzsektor oder bei den Privathaushalten. Ganz besonders deutlich ist dies in den angelsächsischen Ländern zu sehen. Anders gesagt, wir haben es mit einer Kreditblase zu tun. Die Wirtschaftskrise hat somit Ursachen, die sich von denen der Rezessionen der vergangenen Jahrzehnte deutlich unterscheiden. Diese Ursachen veranlassen uns zu einer Bewertung der wirtschaftlichen Lage, die deutlich von der sonst üblichen Beurteilung abweicht.

Die Erholung der Industrieländer muss langsam, verhalten und ohne Inflationsgefahren erfolgen. Dieses Szenario wird insbesondere in den USA bestätigt. So stieg der Einkaufsmanagerindex im verarbeitenden Gewerbe, ein wichtiger Frühindikator, von 52,6 Punkten im September auf 55,7 Punkte im Oktober und bestätigte damit die Erholung. Allerdings scheint sich deren Schwung damit bereits erschöpft zu haben, denn die Komponente der Auftragseingänge sank im gleichen Zeitraum von 60,8 auf 58,5 Punkte. Bei den Dienstleistungen stabilisierte sich der Einkaufsmanagerindex bei knapp über 50 Punkten und damit bei der Schwelle, die auf einen bescheidenen Aufschwung deutet. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosenquote. Sie liegt heute mit 10,2% auf dem höchsten Stand seit 26 Jahren. Dies ist natürlich ein wichtiger Faktor, der das Konsumwachstum der privaten Haushalte tendenziell bremsen wird. Der Konsum behauptet sich im Moment noch gut, was teilweise Maßnahmen wie der Abwrackprämie zu verdanken ist. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit erklärt die Produktivitätszuwächse der Unternehmen im dritten Quartal. Der US-Arbeiter ist keineswegs plötzlich unglaublich viel produktiver als vorher geworden. Vielmehr griffen die Unternehmen zum Mittel der Entlassungen, obwohl die Nachfrage der Endverbraucher im Quartalsverlauf anzog. Damit nun unterscheidet sich diese Rezession deutlich von den „klassischen“ Rezessionen, in deren Verlauf die Unternehmen zunächst ihre Produktion zurückfuhren und dann erst Entlassungen vornahmen.

Vor diesem Hintergrund muss die US-Notenbank die Leitzinsen weiterhin nahe bei Null lassen. In diesem Punkt äußerte sie sich übrigens nach der letzten Sitzung des Offenmarktausschusses sehr deutlich zu den Kriterien, nach denen sie die Lage beurteilte. Sie alle kennen die „erweiterte Phillips-Kurve“! Damit haben wir es nun unter umgekehrten Vorzeichen zu tun. Im Modell der Phillips-Kurve ist die reale Inflation das Ergebnis der Kapazitätsauslastung und der Inflationserwartungen. Genauer gesagt, bei hoher Arbeitslosenquote, Wohnungsleerständen und nicht ausgelasteten Kapazitäten in der Industrie sind die Inflationserwartungen niedrig. Diese niedrigen Erwartungen wiederum drücken die reale Inflation nach unten, weil die Lohnforderungen der Arbeitnehmer und die Preisforderungen der Hersteller moderat bleiben. Die US-Notenbank signalisierte deshalb, dass die Zinsen im kommenden Jahr im Wesentlichen auf ihrem derzeitigen Niveau bleiben müssten. Was wird dann aus den unorthodoxen Maßnahmen, also dem Ankauf von Anleihen durch die Fed, die vom US-Staat oder staatlichen Stellen emittiert wurden? Dies ist nun ein heikleres Thema.

Schließlich muss die Fed auch wachsam gegenüber einem mechanischen Anstieg der Inflation bleiben. Von einem Rückgang um 1,5% auf Jahresbasis werden die Einzelhandelspreise im Dezember einen Anstieg um knapp 3% verzeichnen, ebenfalls auf ein ganzes Jahr bezogen. Dies geht auf den Einbruch der Wirtschaftsleistung und der Preise am Ende des vergangenen Jahres zurück. Außerdem werden der Anstieg der Rohstoffpreise seit Frühjahrsbeginn, insbesondere beim Öl, auch zu Beginn des nächsten Jahres Druck ausüben. Vor diesem Hintergrund liegt das offensichtlichste Risiko bei den Renditen für Staatsanleihen in den USA und in Europa. Heute, bei einer Rendite von unter 3,5% für lange Laufzeiten, scheint die reale Rendite nicht nur wenig attraktiv. Vielmehr scheint sie uns darüber hinaus auch ein nicht zu vernachlässigendes Risiko darzustellen. Wir haben deshalb die Duration unserer Anleihenportfolios Carmignac Patrimoine und Carmignac Sécurité reduziert. Sollte es erforderlich werden, haben wir auch die Möglichkeit, in diesen beiden Fonds Portfolios aufzubauen, die eine negative Duration aufweisen, um uns für den Fall eines Anstiegs der langfristigen Zinsen abzusichern und sogar davon zu profitieren. Verstärkt würde dieses Risiko offensichtlich durch einen noch ausgeprägteren Aufschwung auf beiden Seiten des Atlantiks. Im Augenblick ist das nicht der Fall. Das Wachstum im dritten Quartal geht ebenso wie das für das Jahresende zu erwartende Wachstum auf die geld- und haushaltspolitischen Maßnahmen zurück, aber auch auf eine Erholung, die in etwa dem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit vor 12 Monaten entspricht. Diese Erholung scheint uns weder von Dauer zu sein, noch trägt sie sich selbst. Dennoch könnte selbst eine langsame und nur partielle Rücknahme der quantitativen Maßnahmen der US-Notenbank und einiger europäischer Zentralbanken das Risiko nur verstärken, das mit der Rendite der Staatsanleihen von Industrieländern verbunden ist. Es wird der Fed ebenso wie der BoE und der EZB noch einige Monate lang sehr am Herzen liegen, die Liquiditätshilfen aufrechtzuerhalten, die sie gewährt haben. Tatsächlich sind die Kredite der Geschäftsbanken im Privatsektor rückläufig, da die Nachfrage weiterhin schwach ist und gleichzeitig deutlich schärfere Kreditvergabestandards gelten. Aber irgendwann müssen die Wirtschaftsakteure einen Ersatz für die staatliche Notenpresse finden. Das wird ihnen zweifellos gelingen, aber nicht zum derzeitigen Renditeniveau.

Dieses wirtschaftliche Umfeld in den Industrieländern wirkt sich im Augenblick äußerst günstig auf die Fortsetzung des starken Wachstums in den wichtigsten Schwellenländern aus. Während die indische und die brasilianische Volkswirtschaft schon immer sehr stark auf ihre Binnenwirtschaft konzentriert waren, gelang es China, sein Wachstum wieder auf die internen Nachfragemotoren auszurichten. Ich weiß schon, was viele Stimmen nun einwenden werden: Das Wachstum Chinas könne die Schwäche der USWirtschaft nicht ausgleichen. Sind Sie da so sicher? Die Einzelhandelsumsätze in den USA erreichten im November 2007 einen Rekord von 380 Milliarden Dollar monatlich. Heute liegt dermonatliche Wert eher bei 345 Milliarden. Gleichzeitig stiegen die Einzelhandelsumsätze in China von 110 Milliarden Dollar monatlich auf heute 150 Milliarden. Damit ist der chinesische Konsum zwar weit davon entfernt, mit dem US-Konsum gleichzuziehen, aber sein Anstieg um 40 Milliarden glich den Rückgang beim US-Konsum um 35 Milliarden mehr als aus. Die Wachstumszahlen der chinesischen Wirtschaft können auch die größten Skeptiker nicht unbeeindruckt lassen. Ein Jahr nach der Krise sprechen die bisherigen Ergebnisse des Konjunkturplans der chinesischen Regierung für sich. Die Einzelhandelsumsätze ebenso wie die Industrieproduktion legen 16% auf Jahresbasis zu. Die Folge ist ein allmählicher Anstieg der Inflation. In diesem Fall wird man nicht von einer statistischen Täuschung sprechen. Eine starke Zunahme der Geldmenge in einer Wirtschaft, in der alle Rädchen betriebsbereit sind, führt früher oder später immer zur Inflation. Ich glaube, dass die chinesische Zentralbank und die chinesische Regierung es in diesem Stadium verdienen, dass man ihnen zutraut, dieses starke Wachstum mit der nötigen Vorsicht zu steuern. Die Straffung der Geldpolitik, die in China bevorsteht und in Indien gerade eingeleitet wird, muss positiv interpretiert werden, nämlich als Mittel, eine mögliche Überhitzung zu kontrollieren. Gleichzeitig muss die chinesische Regierung bald eine allmähliche Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem Dollar zulassen.

Wir stehen in der Tat vor einer neuen Phase in der Neuordnung der Kräfteverhältnisse der Weltwirtschaft. Das starke Wachstum Chinas, das jedes andere Land in den Schatten stellt bedeutet, dass China in Kürze ein Nettoimporteur wird. Folglich befindet sich China, das schon jetzt ein Wachstumsmotor der Weltwirtschaft ist, auf dem besten Weg, das Wachstum von Ländern wie den USA oder Deutschland zu stützen und sie nicht mehr wie in der Vergangenheit durch eine massive Ausdehnung der Exporte zu belasten. China trug bereits in hohem Maß zur wirtschaftlichen Erholung Südkoreas und Taiwans bei. Die Frage, die man sich nun auch stellen kann, ist diejenige nach der bestmöglichen Gewichtung dieses Schwellenuniversums in Anbetracht der starken Erholung, die vor einem Jahr begonnen hat. Es scheint, als könnte man sich in dieser Hinsicht zurücklehnen. Die wichtigsten Schwellenländer unternahmen seit Ende der neunziger Jahre große Anstrengungen zur Sanierung ihrer Wirtschaft sowohl in geldpolitischer als auch in haushaltspolitischer Hinsicht. Ihre dadurch erreichte Stabilität und ihre schwächere Abhängigkeit von ausländischem Kapital ermöglichten es ihnen, dieser Krise der Weltwirtschaft ohne nachhaltige Einbrüche zu widerstehen. Anders ausgedrückt, diese Länder stellten - auch wenn es noch Schwellenländer sind - eine bemerkenswerte wirtschaftliche Reife unter Beweis. Ihr Wachstum erscheint robust und nachhaltig. Mit ihren Bewertungsniveaus, die denen der Industrieländer ähnlich sind oder darunter liegen, und mit ihren deutlich besseren Gewinnwachstumsaussichten im Unternehmenssektor scheinen uns die Schwellenmärkte somit ein exzellentes Wertsteigerungspotenzial zu bieten. Gleichzeitig erscheint das Risiko niedriger als an den europäischen oder US-Märkten. Diese Schlussfolgerung gilt ebenso für die Rohstoffmärkte.

Die Geschichte wird zeigen, dass die Krise der vergangenen zwölf Monate nur eine Begleiterscheinung des langen Zyklus des steigenden Rohstoffbedarfs gewesen sein wird. Das Wachstum der Binnenmärkte in den Schwellenländern ist nämlich mit einem hohen Rohstoffbedarf verbunden. In diesen Sektoren beobachten wir seit Jahresbeginn eine sehr große Skepsis des Umfelds. Zahlreiche Kommentatoren wollten glauben machen, dass der Preisanstieg nur ein vorübergehendes Phänomen sei. Die chinesischen Käufe seien künstlich hoch und könnten einen starken Anstieg der Aktien nur begünstigen. Dies entspricht aber nicht unserer Sichtweise. Die jüngsten Reisen unserer Fondsmanager nach China und Indien bestätigen diese negative Sichtweise nicht - ganz im Gegenteil. Dieses Anlageuniversum scheint uns trotz der Rally seit Jahresbeginn ein wichtiges Thema, das für unser Fondsmanagement von langfristiger Bedeutung sein wird. Und falls dieser Hinweis überhaupt noch nötig sein sollte, zeigt die exzellente Performance des Carmignac Commodities, dass man durch eine geschickte Titelauswahl die Wertentwicklung der zugrunde liegenden Rohstoffe noch besser ausnutzen kann.

Die Wirtschaftslandschaft präsentiert sich damit in einem neuen Licht. Eine nur langsame Erholung des Westens ist notwendig, um es den Zentralbanken und Regierungen zu ermöglichen, ihre Liquiditätshilfen allmählich zurückzufahren, bevor sie vollständig eingestellt werden. Das Gewicht der Schwellenländer nimmt unaufhaltsam zu. Ihr Wirtschaftswachstum wird uns durch den damit einhergehenden Bedarf an Anlagegütern und Infrastruktur sowie das Entwicklungspotenzial im Konsumbereich endlich aus unserer Starre reißen. Dieses Umfeld, das für kurzfristige Anlagen wenig lohnenswert ist und in dem Staatsanleihen sogar riskant sind, scheint uns für Unternehmensanleihen und vor allem für Aktien günstig zu bleiben.

Eric Le Coz

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