Die Zinsen könnten noch länger niedrig bleiben
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In insgesamt guter Verfassung beendete die britische Wirtschaft die letzte Woche mit regem Handel, in der die höchste BIP-Wachstumsrate für das abgelaufene Quartal seit drei Jahren bekannt gegeben wurde (0,9% ggü. dem Vorquartal). Zwar enthielt diese erste Schätzung keine näheren Angaben zur Zusammensetzung des Wachstums, die Verbraucher dürften aber erneut eine zentrale Antriebskraft gewesen sein. So stiegen die Einzelhandelsumsätze im Dezember um 0,9% gegenüber dem Vormonat und bestätigten damit das starke Quartalswachstum von 1,9%. Obwohl das Wachstum der Realeinkommen weiter schwach tendiert, scheint die Zuversicht der Verbraucher ungebrochen, denn sie nehmen für den Konsum offenbar weiter Kredite auf oder greifen ihr Erspartes an. Anlässlich seiner Februarsitzung wird der geldpolitische Ausschuss der Bank von England dies sicher berücksichtigen. Da sich außerdem die In- und Auslandsnachfrage stärker präsentiert als im November prognostiziert, gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, weshalb die Zentralbank die nächste Zinserhöhung weiter hinauszögern sollte. In Europa stieg der harmonisierte Verbraucherpreisindex im Dezember um 2% gegenüber dem Vorjahreszeitraum und fiel damit niedriger aus als erwartet. Wir rechnen mit einem weiteren Rückgang in diesem Jahr. Und nicht nur wegen des starken Euros dürfte die EZB auch in absehbarer Zeit von einer Zinserhöhung absehen.
Noch länger niedrig: Fed bleibt bis Dezember in der Warteschleife
Wir haben uns entschlossen, in den sauren Apfel zu beißen und in unseren Prognosen von einer Zinserhöhung in den USA erst gegen Ende des Jahres auszugehen. In unserer neuen Prognose rechnen wir mit einer Zinsanhebung um 1% anlässlich der Fed-Sitzung im Dezember diesen Jahres, durch die der Tagesgeldsatz auf 2% steigen wird. Bislang waren wir von einer ersten Zinserhöhung im Mai und einem weiteren stetigen Anziehen der Zinszügel im Jahresverlauf ausgegangen.
Inzwischen setzt die US-Wirtschaft ihr robustes Wachstum fort, das im vierten Quartal 2003 bei einer Jahresrate von 5% liegen dürfte. Schenkt man allerdings den Worten von Greenspan und seinen Kollegen Glauben, dann dürften die Zinsen "noch länger niedrig bleiben". Ihre Botschaft ist unmissverständlich - heute haben wir es mit anderen Rahmenbedingungen zu tun als in den letzten dreißig Jahren. So beginnt die Erholung an einem Punkt, an dem die Inflation als zu niedrig eingeschätzt wird. Oder um es mit den Worten Bernankes zu sagen, Mitglied des Offenmarktausschusses der US-Zentralbank: "Weil die Inflation momentan so niedrig ist, kann die Geldpolitik es sich leisten, geduldig darauf zu warten, dass sich ein sich selbst tragender Aufschwung einstellt." Wir verstehen diese Äußerungen so, dass die Fed, statt wie in der Vergangenheit die Zinszügel anzuziehen, sobald der Konjunkturmotor anspringt und damit die Teuerungsrate zu senken, nun an ihrer entgegenkommenden Politik festhält, bis sie sicher ist, dass die Inflation steigt.
Angesichts des Nachholbedarfs in der Wirtschaft könnte das aber noch eine Weile dauern und mit einer Zinserhöhung ist daher eher in der zweiten als in der ersten Jahreshälfte 2004 zu rechnen. Auch eine Verschiebung bis in das Jahr 2005 ist nicht ausgeschlossen, denn die Fed dürfte dem Zyklus diesmal eher hinterherhinken, als ihm vorauszueilen.
Hinzu kommt, dass die Fed derzeit offenbar nicht bereit ist, auch nur einen Millimeter von ihrer Position abzurücken. Denn selbst wenn die Zinsen auf 2% oder 3% angehoben würden, wäre ihre Zinspolitik immer noch mit den Begriffen "locker" oder "entgegenkommend" treffend beschrieben. Wie Greenspan aber unlängst in diesem Zusammenhang bemerkte: "Jedes Mal, wenn wir einen Zinsschritt vornehmen oder einen solchen Schritt erkennen lassen, kommt Bewegung in die Zinskurve." Damit ist weniger die tatsächliche Höhe des Zinsschritts als vielmehr das Signal entscheidend, dass die Zinsen wieder steigen. Bislang aber scheint die Fed nicht daran interessiert zu sein, ein solches Signal zu setzen.
Die Europäische Zentralbank und auch die Bank von England wollen scheinbar diesmal den Vorgaben aus den USA nicht folgen. Jüngste Äußerungen aus EZB-Kreisen lassen eine zunehmende Besorgnis über den hohen Euro erkennen. Gleichzeitig lässt der Inflationsdruck nach, allerdings nicht stark genug, um eine Zinssenkung zu rechtfertigen. Im vierten Quartal ist die britische Wirtschaft erneut robust gewachsen, gestützt durch die hohen Verbraucherausgaben. Dies bestärkt uns in der Erwartung, dass die Bank von England bei der nächsten Gelegenheit die Zinsschraube anziehen wird. Wir halten daher an unserer Einschätzung zur Eurozone und zu Großbritannien fest. Für erstere erwarten wir keinen Zinsschritt in 2004, während die Bank von England die Zinsen schrittweise anheben dürfte.
Was bedeutet es für die Märkte, wenn die Zinsen noch länger niedrig bleiben?
Die Aussicht auf niedrige US-Zinsen über weite Strecken von 2004 dürfte die Anleger dazu veranlassen, verstärkt an anderer Stelle nach höheren Renditen Ausschau zu halten. Hiermit gehen sie aber auch höhere Risiken ein, wodurch die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten zu schnell zunehmen könnte. So war beispielsweise eine in der letzten Woche emittierte brasilianische Anleihe mit einem Volumen von 1 Mrd. $ zehnfach überzeichnet. Nicht viel anders in der Türkei und Venezuela: Auch hier waren die jüngsten Anleiheemissionen ein Erfolg. Inzwischen hat sich der Spread von Emerging Markets-Anleihen auf ein Niveau verengt, das 1997, kurz vor der Asienkrise, letztmals gesehen wurde.
Hierbei handelt es sich aber keineswegs um eine völlig irrationale Entwicklung, denn in diesen Volkswirtschaften hat sich einiges zum Besseren gewendet. Viele haben inzwischen die Löcher in ihren Leistungsbilanzen und Haushalten geschlossen. Ob das allerdings das aktuelle Spread-Niveau rechtfertigt, darf bezweifelt werden. Jedoch kommen die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Anlageklasse durchaus zugute. Die Aussicht auf anhaltend niedrige Zinsen in den USA dürfte im Zusammenspiel mit dem weiteren Aufschwung der Weltwirtschaft dafür sorgen, dass der Abwärtsdruck auf die Spreads anhält.
Gleiches gilt für die Spreads von Unternehmens- und anderen Hochzinsanleihen. Über sämtliche Anlageklassen hinweg dürften die Risikoaufschläge weiter fallen. Aktien, die bereits deutlich vom Anziehen der Konjunktur profitieren, dürften weiter Boden gut machen. Nicht viel anders dürfte die Entwicklung bei den Immobilienpreisen in den USA und anderen Teilen der Welt vonstatten gehen, die wie Hongkong an den Dollarzins gebunden sind. Hierbei ist die Liquidität eine wichtige Antriebsfeder.
Allerdings besteht die Gefahr der Herausbildung einer spekulativen Blase und Anleihen aus den Emerging Markets sind aus unserer Sicht besonders gefährdet. Letztlich aber steht eher zu befürchten, dass die Fed mit ihrer Politik Erfolg hat und die Inflation steigt. Aber bis dahin wird noch eine ganze Weile vergehen, denn die Weltwirtschaft hat noch reichlich Nachholbedarf. Setzt sich das robuste Wachstum jedoch fort, wird sich die Produktionslücke früher oder später schließen. Dann sehen wir die Gefahr, dass Zinserhöhungen zu spät kommen, um einen Inflationsschub zu verhindern.
Quelle: Schroders
Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. Dezember 2002 über 135,5 Mrd. Euro.
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