Kommentar
07:00 Uhr, 15.10.2008

Die Zertifikatebranche muss sich neu erfinden

Die Lehman-Pleite hat das Emittentenrisiko endgültig ins Bewusstsein der Anleger gerufen. Und die extremen Handelstage der letzten Wochen haben Derivate-Tradern gezeigt, dass an manchen Tagen das Handeln mit Zertifikaten eine äußerst schwierige bis temporär sogar unmögliche Angelegenheit ist. Die erfolgsverwöhnte Branche muss umdenken.

Eine fast beispiellose Erfolgsgeschichte ist ins Wanken geraten. Deutsche Anleger sind in Panik geraten und vertrauen nichts und niemandem mehr. Durch die erste Pleite eines Zertifikate-Emittenten – Lehman Brothers – ist zudem offenbar geworden, dass Zertifikate keine so sichere Sache sind, wie der Name der beliebtesten Produktkategorie –Garantiezertifikate- suggeriert. Fast 38% des Gesamtvolumens von rund 125 Mrd. EUR waren zuletzt in Garantiezertifikaten investiert, 18,5% in Bonus- und Teilschutzzertifikaten. Man kann davon ausgehen, dass diese Anlegergruppe zuallererst an Sicherheit bei Ihrem Investment denkt und erst in zweiter Linie an Rendite. Weiterhin ist anzunehmen, dass ein Großteil dieser Menschen bis zu den zahlreichen Auftritten Lehman-Geschädigter im Deutschen Fernsehen nicht wussten, was Zertifikate rechtlich eigentlich sind: Schuldverschreibungen der Emittenten ohne jede direkte Besicherung. Man kann sogar fast drauf wetten, dass die meisten der Bankberater, die Ihren Kunden Garantiezertifikate empfahlen, niemals einen Blick in den Prospekt warfen (eine Klagewelle ist hier zu erwarten, da wohl in der Regel nicht auf das Ausfallrisiko hingewiesen wurde). Nun waren Schuldverschreibungen von Banken noch bis vor kurzem eine durchaus sichere Sache, auch wenn sie nicht unter die Einlagensicherung fallen. Aber wie Sie aus der Werbung wissen: In 15 Minuten kann sich die Welt verändern – und wenn sich schon die Banken untereinander im Interbankenhandel kein Geld mehr leihen wollen, ist es dann so unverständlich, dass auch die Kunden das Vertrauen verlieren?

In einer aktuellen Umfrage des Handelsblatts, das der Deutsche Derivate Verband (die Branchenvertretung der 20 führenden Derivate-Emittenten in Deutschland) sogleich als Pressemitteilung versandte, zeigen dennoch Anleger großes Vertrauen in Zertifikate. Sie liegen in der Gunst auf Platz 2 mit 19,2% nach Tages- und Festgeld mit 23,9% (welches durch die Einlagensicherung abgedeckt ist). Etwas irritierend jedoch, dass Bundeswertpapiere erst auf Platz 4 folgen mit 11,8%. Da haben einige etwas falsch verstanden – es ist der Staat, der nun die Banken rettet (und dies im Zweifel über Bundeswertpapiere finanziert) und nicht andersherum. Vielmehr zeigt dies, dass das Gros der Bevölkerung die Risikostruktur von Zertifikaten immer noch nicht kennt.

Durch das jüngste Rettungspaket der Regierung im Volumen von bis zu 470 Mrd. EUR ist der Ausfall eines großen Emittenten freilich quasi unmöglich geworden. Oder anders gesagt: Der Staat verknüpft das Schicksal der Banken mit dem eigenen: Kommt es zu reihenweise Bankpleiten, erscheint letztlich auch ein Staatsbankrott unausweichlich. Dennoch: Das Sicherheitsbedürfnis der Anleger wird enorm steigen. Die Zertifikatebranche muss sich überlegen, wie sie ein Garantieprodukt wirklich ausfallsicher machen kann. Über eine Lösung ähnlich wie bei Fonds (über Sondervermögen) oder mittels erstrangiger Besicherung muss intensiv nachgedacht werden. Bei Hebelzertifikaten mag das anders sein, da hier die Klientel in der Regel sehr kurzfristig orientiert sein wird. Wer intraday den DAX traden will macht sich um die Sicherheit des Papiers sicherlich weniger Gedanken als jemand, der auf Sicht von einem Jahr investieren will. Aber auch die kurzfristigen Trader sind irritiert: In den Wirren der letzten Wochen fielen immer wieder Kursstellungen von Emittenten aus. Das ist besonders ärgerlich, wenn man eigentlich auf die richtige Richtung gesetzt hat – und dann im entscheidenden Moment nicht handeln kann.

Der deutsche Derivate Verband sieht offenbar die Problematik durchaus. Im Rahmen einer Transparenzoffensive veröffentlicht der DDV auf seiner Homepage (www.derivateverband.de) unter dem Menüpunkt „Transparenz“ Daten u.a. zur Bonität der Emittenten, der Handelsqualität (Orderausführungszeiten) und gibt Tipps, was bei Handelsstörungen zu tun ist. Das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Und wenn die Branche schon mal am Umbauen ist: Eine radikale Simplifizierung wäre ebenfalls angebracht. 370.000 verschiedene Produkte sind einfach zuviel. Und ein Zertifikat mit 35 verschiedenen Eintrittsbedingungen und Auszahlungsprofilen dient lediglich der Verwirrung und Verschleierung von Gebühren, das kann kein normaler Mensch durchblicken. Damit wird man in Zukunft keine Kunden mehr ködern können. Da fällt mir der alte Spruch aus der Chartanalyse ein: Keep it simple stupid! Und natürlich safe…

Daniel Kühn

Grundsätzliches zur Zertifikaten und ihrer Funktionsweise finden Sie unter:
www.godmode-trader.de/investmentcertificates/overview/

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