Kommentar
15:28 Uhr, 26.01.2015

Die Verschwörung gegen Europa

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  • Derzeit spricht in wirtschaftlicher Hinsicht fast alles gegen Europa.
  • Die Lage des Kontinents wird sich jedoch – ob die notwendigen Reformen in den einzelnen Ländern ergriffen werden oder nicht – im Verlauf des Jahres bessern.
  • Das kann aber mit Nebenwirkungen verbunden sein, die an den Märkten zu Turbulenzen führen können.

Europa hat mit den spektakulären Maßnahmen der EZB in der letzten Woche Schlagzeilen gemacht. Die Stim­mung der Menschen hat sich dadurch aber nicht gebes­sert. Zum Teil haben sie Angst vor dem, was mit dem vielen Geld jetzt alles passieren könnte. Zum Teil fühlen sich viele nach wie vor als Kellerkinder der Weltwirt­schaft. Wird das so bleiben?

Im Augenblick sieht es so aus. Manchmal hat man in der Tat den Eindruck, als habe sich die Welt gegen Europa verschworen. Auf einmal scheint alles schief zu gehen. In der letzten Woche hat der Internationale Währungs­fonds seine neue Prognose über die Entwicklung der Weltwirtschaft vorgelegt. Danach wachsen die Vereinig­ten Staaten in diesem Jahr mit 3,6 % fast drei Mal so schnell wie Deutschland (1,3 %) oder der Euroraum (1,2 %). Im Konjunkturzyklus hinken die Europäer weit hinter den USA her (siehe Grafik).

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Die sinkenden Ölpreise erhöhen zwar die Kaufkraft. Sie machen die Position der Europäer in der Welt aber noch schlechter. Die Amerikaner, die mehr Auto fahren und nicht so sparsam mit Energie umgehen, profitieren vom Ölpreisverfall fast doppelt so stark wie die Europäer.

In der Währungsunion ist der kurze "Honeymoon" der letzten zwei Jahre vorbei. In Griechenland wird nach den Wahlen neu über Reformen und Schulden verhan­delt. In Italien und Frankreich kommt die Konsolidierung nicht voran. In Spanien stehen Wahlen an. Überall gibt es wachsende europakritische Bewegungen.

Die geopolitischen Probleme im Nahen Osten und in der Ukraine belasten die Europäer wegen der geografischen Nähe mehr als andere.

Die meisten sagen, dass Europa nur aus dem Tal kommt, wenn es seine Volkswirtschaften neu aufstellt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Da sie berechtigte Zweifel hegen, dass das geschieht und da das vor al­lem lang dauern wird, bleiben sie pessimistisch. Ich teile die­se Meinung. Natürlich führt für eine dauerhafte Stär­kung Europas nichts an Reformen vorbei.

Trotzdem möchte ich etwas Wasser in den Wein des Pessimismus gießen. Es gibt nämlich auch noch etwas anderes, was oft übersehen wird. Wenn es wie derzeit in Europa, Ungleichgewichte gibt, dann löst das ökonomi­sche Anpassungen aus. Sie verändern die Konstellation in der Welt. Das werden wir auch jetzt wieder erleben.

Derzeit sind zwei solcher Anpassungsprozesse im Gan­ge. Der Eine: Die Amerikaner bereiten sich vor, die Zin­sen zu erhöhen, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern. Die Europäer tun genau das Gegenteil. Der Andere (und nicht ganz unabhängig davon): Der Euro schwächt sich ab, der US-Dollar wird fester. Wenn es im Tempo der letzten zwölf Monate so weitergeht, dann wäre der Euro Ende 2015 deutlich unter der Parität.

Als Folge verringert sich in den USA das Wachstum, in Europa erhöht es sich. Amerika wird am Ende des Jah­res schlechter dastehen als jetzt vermutet, Europa bes­ser. Das löst zwar nicht die großen strukturellen Pro­bleme. Es ist aber eine Erleichterung. Die Aktienmärkte scheinen dies vorwegzunehmen. Seit Jahresbeginn ist der DAX um 7 % gestiegen, der amerikanische Dow um 2 % gefallen.

Freilich sollten wir uns nicht zu früh freuen. Erkauft wird es nämlich durch einige unangenehme Nebenwirkun­gen. Jeder tut gut daran, sich darauf einzustellen.

Das größte Risiko ist, dass die Schwellen- und Entwick­lungsländer durch die Zinserhöhung in den USA und die Aufwertung des Dollars in Probleme geraten. Es könnte zu einer neuen Asien- oder Lateinamerikakrise kommen. Das würde nicht nur die Europäer, sondern die ganze Welt in Turbulenzen stürzen.

Denkbar ist auch, dass die Verwerfungen bei den Wech­selkursen zu politischen Schwierigkeiten führen. Die USA haben die Aufwertung durch den Japanischen Yen erstaunlich gelassen hingenommen. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn sie bei einer erneuten Auf­wertung, diesmal gegenüber dem Euro, sagen: Jetzt reicht's. Ein Währungskrieg wäre so ziemlich das Letzte, was die Europäer und auch die Welt jetzt brauchen kön­nen.

Schließlich ist möglich, dass größere Währungsverschie­bungen zu Marktinstabilitäten führen. Wir haben bei der Freigabe des Frankenkurses gesehen, was alles pas­sieren kann. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen kön­nen, wie viele Institutionen in Schweizer Franken spe­ku­lierten, die dann in Schwierigkeiten kamen. Es war ein bisschen wie bei der Pleite von Lehman Brothers 2008, als auch niemand ahnte, dass so viele Menschen in der Welt Lehman-Zertifikate besaßen.

Für den Anleger

Lassen Sie sich bei Ihren Investitionsentscheidungen nicht zu stark von der aktuell schlechten Stimmung in Europa beeinflussen. Die Situation in den USA wird sich im Laufe des Jahres verschlechtern. Das färbt auf die dortigen Aktienmärkte ab. Umgekehrt könnte Europa – auch ohne, dass es die notwenigen Reformen in Angriff nimmt – gesamtwirtschaftlich am Ende besser dastehen. Ich würde mich daher nicht wundern, wenn sich die eu­ropäischen Aktienmärkte auch im weiteren Verlauf des Jahres besser entwickeln. Passen Sie aber auf die er­wähnten Risiken auf. Bei so vielen Anpassungsprozes­sen kann es an den Märkten turbulent zugehen.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
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§ Derzeit spricht in wirtschaftlicher Hinsicht fast alles gegen Europa.

§ Die Lage des Kontinents wird sich jedoch – ob die notwendigen Reformen in den ein­zelnen Ländern ergriffen werden oder nicht – im Verlauf des Jahres bessern.

§ Das kann aber mit Nebenwirkungen verbun­den sein, die an den Märkten zu Turbulenzen führen können.

Europa hat mit den spektakulären Maßnahmen der EZB in der letzten Woche Schlagzeilen gemacht. Die Stim­mung der Menschen hat sich dadurch aber nicht gebes­sert. Zum Teil haben sie Angst vor dem, was mit dem vielen Geld jetzt alles passieren könnte. Zum Teil fühlen sich viele nach wie vor als Kellerkinder der Weltwirt­schaft. Wird das so bleiben?

Im Augenblick sieht es so aus. Manchmal hat man in der Tat den Eindruck, als habe sich die Welt gegen Europa verschworen. Auf einmal scheint alles schief zu gehen. In der letzten Woche hat der Internationale Währungs­fonds seine neue Prognose über die Entwicklung der Weltwirtschaft vorgelegt. Danach wachsen die Vereinig­ten Staaten in diesem Jahr mit 3,6 % fast drei Mal so schnell wie Deutschland (1,3 %) oder der Euroraum (1,2 %). Im Konjunkturzyklus hinken die Europäer weit hinter den USA her (siehe Grafik).

Nachzügler im Zyklus

Position im Auf und Ab der Konjunktur

Quelle: Morgan Stanley

Die sinkenden Ölpreise erhöhen zwar die Kaufkraft. Sie machen die Position der Europäer in der Welt aber noch schlechter. Die Amerikaner, die mehr Auto fahren und nicht so sparsam mit Energie umgehen, profitieren vom Ölpreisverfall fast doppelt so stark wie die Europäer.

In der Währungsunion ist der kurze "Honeymoon" der letzten zwei Jahre vorbei. In Griechenland wird nach
den Wahlen neu über Reformen und Schulden verhan­delt. In Italien und Frankreich kommt die Konsolidierung nicht voran. In Spanien stehen Wahlen an. Überall gibt es wachsende europakritische Bewegungen.

Die geopolitischen Probleme im Nahen Osten und in der Ukraine belasten die Europäer wegen der geografischen Nähe mehr als andere.

Die meisten sagen, dass Europa nur aus dem Tal kommt, wenn es seine Volkswirtschaften neu aufstellt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Da sie berechtigte Zweifel hegen, dass das geschieht und da das vor al­lem lang dauern wird, bleiben sie pessimistisch. Ich teile die­se Meinung. Natürlich führt für eine dauerhafte Stär­kung Europas nichts an Reformen vorbei.

Trotzdem möchte ich etwas Wasser in den Wein des Pessimismus gießen. Es gibt nämlich auch noch etwas anderes, was oft übersehen wird. Wenn es wie derzeit in Europa, Ungleichgewichte gibt, dann löst das ökonomi­sche Anpassungen aus. Sie verändern die Konstellation in der Welt. Das werden wir auch jetzt wieder erleben.

Derzeit sind zwei solcher Anpassungsprozesse im Gan­ge. Der Eine: Die Amerikaner bereiten sich vor, die Zin­sen zu erhöhen, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern. Die Europäer tun genau das Gegenteil. Der Andere (und nicht ganz unabhängig davon): Der Euro schwächt sich ab, der US-Dollar wird fester. Wenn es
im Tempo der letzten zwölf Monate so weitergeht, dann wäre der Euro Ende 2015 deutlich unter der Parität.

Als Folge verringert sich in den USA das Wachstum, in Europa erhöht es sich. Amerika wird am Ende des Jah­res schlechter dastehen als jetzt vermutet, Europa bes­ser. Das löst zwar nicht die großen strukturellen Pro­bleme. Es ist aber eine Erleichterung. Die Aktienmärkte scheinen dies vorwegzunehmen. Seit Jahresbeginn ist der DAX um 7 % gestiegen, der amerikanische Dow um 2 % gefallen.

Freilich sollten wir uns nicht zu früh freuen. Erkauft wird es nämlich durch einige unangenehme Nebenwirkun­gen. Jeder tut gut daran, sich darauf einzustellen.

Das größte Risiko ist, dass die Schwellen- und Entwick­lungsländer durch die Zinserhöhung in den USA und die Aufwertung des Dollars in Probleme geraten. Es könnte zu einer neuen Asien- oder Lateinamerikakrise kommen. Das würde nicht nur die Europäer, sondern die ganze Welt in Turbulenzen stürzen.

Denkbar ist auch, dass die Verwerfungen bei den Wech­selkursen zu politischen Schwierigkeiten führen. Die USA haben die Aufwertung durch den Japanischen Yen erstaunlich gelassen hingenommen. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn sie bei einer erneuten Auf­wertung, diesmal gegenüber dem Euro, sagen: Jetzt reicht's. Ein Währungskrieg wäre so ziemlich das Letzte, was die Europäer und auch die Welt jetzt brauchen kön­nen.

Schließlich ist möglich, dass größere Währungsverschie­bungen zu Marktinstabilitäten führen. Wir haben bei der Freigabe des Frankenkurses gesehen, was alles pas­sieren kann. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen kön­nen, wie viele Institutionen in Schweizer Franken spe­ku­lierten, die dann in Schwierigkeiten kamen. Es war ein bisschen wie bei der Pleite von Lehman Brothers 2008, als auch niemand ahnte, dass so viele Menschen in der Welt Lehman-Zertifikate besaßen.

Für den Anleger

Lassen Sie sich bei Ihren Investitionsentscheidungen nicht zu stark von der aktuell schlechten Stimmung in Europa beeinflussen. Die Situation in den USA wird sich im Laufe des Jahres verschlechtern. Das färbt auf die dortigen Aktienmärkte ab. Umgekehrt könnte Europa – auch ohne, dass es die notwenigen Reformen in Angriff nimmt – gesamtwirtschaftlich am Ende besser dastehen. Ich würde mich daher nicht wundern, wenn sich die eu­ropäischen Aktienmärkte auch im weiteren Verlauf des Jahres besser entwickeln. Passen Sie aber auf die er­wähnten Risiken auf. Bei so vielen Anpassungsprozes­sen kann es an den Märkten turbulent zugehen.

1 Kommentar

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  • Maddin
    Maddin

    ​Danke für den Bericht... sehr informativ.. Aber zur Statistik.. Vertraue nur denen die Du selbst gefälscht hast :-)

    15:09 Uhr, 27.01. 2015