Kommentar
07:00 Uhr, 13.07.2011

Die Sündenböcke der Staatsschuldenkrise

Jede Krise braucht ihre Sündenböcke. Für die Finanzkrise ab 2008 waren die „Spekulanten“ verantwortlich, die aktuelle europäische Staatsschuldenkrise hat nun definitiv, zumindest in der Politik, auch Schuldige gefunden: Die Rating-Agenturen.

Die auch gerne „Oligopol“ genannten S&P, Moody´s und Fitch beherrschen 95% des Weltmarkts für Ratings. Nicht weil andere aus gesetzlichen oder regulatorischen Gründen nicht in den Markt dürfen, sondern weil Konkurrenten, soweit es sie gibt, einfach vom Markt nicht ernst genommen werden, allenfalls in Nischen. Ratings haben eben viel mit Vertrauen und Erfahrung zu tun – auch wenn die großen drei weiß Gott schon oft arg daneben gegriffen haben, insbesondere während der Finanzkrise.

Ein Rating ist eine Bonitätseinstufung. Es ist (im Falle von Anleihen) eine Einschätzung darüber, wie wahrscheinlich die Fähigkeit des Schuldners ist, die Schuld zu tilgen und die vereinbarten Zinsen zu zahlen, und zwar pünktlich. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Politik hat die Ratings zur gesetzlichen Grundlage zahlloser Vorgänge in der Finanzwelt gemacht. Das fängt bei den Kaufkriterien für Fonds an, geht über die Eigenkapitalvorschriften von Banken und Versicherungen und hört bei der EZB auf – die darf im Rahmen ihrer Refinanzierungsgeschäfte Papiere nicht als Sicherheit nehmen,die von allen drei großen Agenturen auf „default“ gestuft haben – also Zahlungsausfall.

Um dieses Problem geht es nun ganz akut – denn die Politik hat sich letztlich selbst zum Sklaven der Ratingagenturen gemacht, kann man zunächst völlig ohne Wertung feststellen. Griechenland droht, völlig nachvollziehbar, von allen dreien das „default“ - zumindest wenn private Gläubiger (zwangsweise) in eine Umschuldung eingeplant werden. Deswegen ist die EZB so unglaublich vehement gegen eine Einbeziehung der Banken in eine „Umstrukturierung“ der Schulden. Wenn die EZB Griechen-Bonds nicht mehr als Sicherheit für neue Kredite nehmen darf, dann sind die griechischen Banken höchstwahrscheinlich insolvent und auch andere europäische Geldinstitute, vor allem in Frankreich, stehen vor größeren Problemen.

Hat das die Agenturen zu kümmern? Nein! Es ist ihr Job, die Zahlungsfähigkeit einzustufen. Punkt! Ansonsten kann man auf das Rating gleich verzichten!

In diese Richtung gehen tatsächlich einige politische Vorschläge. Denkbar wäre z.B., wenn wohl eben nicht auf die Schnelle, den Bezug auf Ratings aus Gesetzen und Verordnungen vollständig zu verbannen. Die Banken (und Fonds) müssten dann selber eine Risikoeinschätzung vornehmen. Alternativ wird angedacht, eine eigene europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen – die dann aber von Geburt an mit dem Makel der Nicht-Unabhängigkeit leben müsste. Andere Vorschläge zielen darauf ab, speziell bei Staatsanleihen Ratings sogar zu verbieten. Sie können sich denken, welche Verzweiflung in der Politik herrschen muss angesichts derartiger Ideen!

Die Ratingagenturen sind mit Sicherheit keine unschuldigen Lämmer, und über Reformen dieses Sektors kann man gerne offen diskutieren. Die Tatsache, dass sie für ihre Ratings ganz überwiegend von den Geldinstituten bezahlt werden legt natürlich auch einen begründeten Verdacht nahe: Es soll Druck ausgeübt werden, die Banken in der Umschuldung nicht in die Pflicht zu nehmen – im Gegenzug wird auf das „Default“-Ranking verzichtet!

Aber das kann alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schuldigen für die Misere woanders sitzen (z.B. in schicken Villen rund um Athen) und dass Griechenland eben nun mal zahlungsunfähig ist. Was die Politik von den Agenturen verlangt ist grotesk: Wie wenn ein Polizist einem Vollalkoholiker auch noch attestieren soll, dass er unter 0,5 Promille liegt. Soll er ihn dann ernsthaft wieder auf die Straße lassen, obwohl es real 2,0 Promille sind?

Allerdings hat die Politik topaktuell ein mächtiges Druckmittel in der Hand. Momentan müssen sich die Ratingagenturen um neue Lizenzen für das europäische Geschäft kümmern, und zwar bis September. Es würde zumindest der EZB schon ausreichen, wenn nur einer der drei „Rater“ in den „Gesprächen“ schwach wird – und zusagt, auch bei Beteiligung der privaten Gläubiger an einer Umschuldung die griechischen Anleihen nicht auf „Default“ zu setzen. Das ist eben Real-Politik.

Ihr
Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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