Die große geldpolitische Lockerung Teil II
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Die große geldpolitische Lockerung Teil II hat begonnen. Das glauben die Analysten von Morgan Stanley. Der erste Teil habe direkt nach der Pleite von Lehman Brothers begonnen mit dem Effekt, die Vermögenspreise weltweit zu erhöhen. Nach einer Pause habe im Herbst 2011 der zweite Teil begonnen, als die EZB ihre Leitzinsen senkte, dann zum Jahresbeginn 2012 Geschäftsbanken zur Auktion dreijähriger Zinstender einlud und später fast eine Billion EUR an Geschäftsbanken verteilte, die im Gegenzug Vermögenswerte bei der EZB hinterlegten. Die japanische und britische Zentralbank verlangten solche Sicherheiten nicht und unternahmen weitere unsterilisierte quantative Lockerungsmaßnahmen, während bei der US-Notenbank die Tauben, also jene, die sich für den Aufkauf weiterer hypothekenbesicherter Wertpapiere aussprechen, an Überhand gewannen.
Die Analysten von Morgan Stanley haben mit einem wachen Auge beobachtet, dass der zweite Teil der weltweiten geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen ihren Anfang zunächst in den Industriestaaten nahm und sich erst anschließend in den in den Schwellenländern fortsetzte. Nun agieren seit gut vier vier Wochen die Notenbanken der Industriestaaten und der Emerging Markets synchron. Am vergangenen Donnerstag unternahmen die EZB, die People’s Bank of China und die Bank of England neue geldpolitische Lockerungsmaßnahmen, über Nacht meldete sich die brasilianische Notenbank zu Wort und senkte den Leitzins auf ein Rekordtief, während die südkoreanische Notenbank ebenfalls eine Senkung des Referenzsatzes durchführte.
Die weltwirtschaftliche Erholung, die mit all diesen Maßnahmen erzeugt werden konnte, kann laut Morgan Stanley bestenfalls mit Dreifach-B bezeichnet werden: bumby, below par, brittle, was übersetzt soviel bedeutet wie holprig, unterdurchschnittlich, brüchig. Laut Berechnungen der Schweizer Privatbank Lombard Odier ist die Konjunkturerholung der vergangenen drei Jahre in den USA die schwächste seit 50 Jahren. Der Anstieg des Ölpreises zu Jahresbeginn, die unsicheren Geschäftsaussichten in den USA, weil die dortige Regierung auf den fiskalischen Abgrund zusteuert sowie der unsichere Fortgang der Euroschuldenkrise hätten die Weltwirtschaft ohne diese Maßnahmen bereits vor Wochen in eine neue Rezession gerissen, glaubt Morgan Stanley.
Jetzt lautet die entscheidende Frage: Werden die Notenbanken Erfolg dabei haben, mit Teil II der Lockerung der Geldpolitik die Konjunktur anzukurbeln? Dass sich die Weltwirtschaft angesichts des widrigen Makroumfelds noch nicht in einer Rezession befindet, beantwortet diese Frage bereits zum Teil. Aber auch Morgan Stanley hält eine Antwort parat: Ja, die Weltwirtschaft wird zu neuem Wachstum finden und auch: nein, die geldpolitische Lockerung ist noch nicht zu Ende. Es sei jedoch eine „ziemlich schaurige“ Vorstellung dass das vierte Jahr der holprigen, unterdurchschnittlichen und brüchigen Weltwirtschaft dermaßen abhängig ist von den Geldspritzen der Zentralbanken und dass selbige mittlerweile vollkommen neue Maßnahmen ausprobieren müssen, um diese Dreifach-B-Erholung am Leben zu halten. Dies sei jedoch die traurige Realität eines makroökonomischen Umfelds, das nach dem Platzen einer Spekulationsblase geprägt ist durch Entschuldung und eine schwerwiegende Schuldenkrise in der Eurozone.
Daher wird es nach dem Dafürhalten der Analysten von Morgan Stanley im verbleibenden Jahr weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen in der einen oder anderen Form geben, und dafür gebe es drei gewichtige Gründe:
1) Die Inflation in den Entwicklungs- und Industrieländern ist niedrig und werde kurzfristig weiter fallen, was vorwiegend auf den Rückgang des Ölpreises in Folge des schwächeren Wachstums zurückzuführen sei;
2) Die holprige, unterdurchschnittliche und brüchige Erholung der Weltwirtschaft werde vermutlich kurzfristig noch holpriger, noch unterdurchschnittlicher und noch brüchiger werden, da die US-Regierung geradewegs auf einen fiskalischen Abgrund zusteuert und
3) Last but not least würden Regierungen in den Industrieländern auf die Hilfe der Zentralbanken angewiesen sein, um ihre Staatsdefizite zu finanzieren und das möglichst zu niedrigen oder inflationsbereinigt negativen Zinssätzen.
Da die Federal Reserve, die EZB und die Bank of England jedoch gerade erst Maßnahmen zur Lockerung der Geldpolitk unternehmen, werde der Fokus ab sofort stärker auf den Notenbanken der Emerging Markets liegen, wobei die indische Notenbank nach dem Dafürhalten von Morgan Stanley die Zinsen um 75 Basispunkte und die chinesische Notenbank ihre Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte senken werde. Sollte das Abwärtsmomentum der Weltwirtschaft weiter zunehmen, so könnten sich jedoch auch die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank zu weiteren außergewöhnlichen geldpolitischen Schritten genötigt sehen, heißt es. Wenn die Notenbanker aufgrund des wegen fiskalischem Abgrund im US-Haushalt, der Euroschuldenkrise und weiteren Gründen unsicheren Umfeldes weniger realwirtschaftliche Ergebnisse sehen, sollten sie eben größere Summen in die Hand nehmen, als sie dies in einem stabileren Makroumfeld täten, heißt es bei Morgan Stanley weiter. Die Lockerung der Geldpolitik habe bereits in drei Bereichen bedeutende Ergebnisse erzielt:
1) Die meisten Emerging Markets sehen die widrigen, das Wachstum bremsenden Effekte einer Entschuldung nicht, sodass die Übertragung der Geldpolitik nicht behindert werde. Dies sei in den Industrieländern der Fall. Somit könne die Geldpolitik in den Schwellenländern als „größtenteils“ effizient bezeichnet werden. Genauso wie die Straffung der Geldpolitik im vergangenen Jahr zu einer Abkühlung des Wachstums und der Inflation führten, könnte also eine Lockerung selbiger auch wieder zum gegenteiligen Effekt beitragen.
2) In den Industriestaaten, die von den Spätfolgen der geplatzten Spekulationsblasen an den Immobilienmärkten in Mitleidenschaft gezogen werden, sei es das beste, was die Notenbanken tun könnten, es zu verhindern, dass deflationäre Erwartungen aufkeimen, die zu einer rezessiven und deflationären Abwärtsspirale ausufern könnten. Ind en vergangenen vier Jahren reagierten Zentralbanken daher immer auf einen Zusammenbruch der Inflationserwartungen mit neuen konventionellen oder unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, was die Inflationserwartungen wieder nach oben bewegen konnte und eine Ausbreitung des japanischen Traumas auf die Weltwirtschaft bislang vermochte zu verhindern.
3) Last but not least sollte die große geldpolitische Lockerung den überschuldeten Regierungen (bis auf die Europeripherieländer) helfen, sich günstig am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Das habe wirtschaftspolitische Maßnahmen ermöglicht, die die Nachfrage stützen, und verhinderte prozyklische restriktive Maßnahmen, die den privaten Sektor weiter in Mitleidenschaft gezogen hätten. Dass dabei die Unschärfe der Grenze zwischen fiskalischer und monetärer Politik zunehme sei eine gefährliche und nicht zu unterschätzende Entwicklung, wie die Bank für internationalen Zahlungsausgleich in ihrer 82. Ausgabe feststellte. Die Analysten von Morgan Stanley argumentieren dahingehend, dass die monetären Institutionen unter einem fiskalischen Diktat agieren. Die Alternative – Deflation und mögliche Staatspleiten – wäre allerdings noch schlimmer, als das, heißt es bei Morgan Stanley.
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