Kommentar
11:45 Uhr, 25.11.2011

Die EZB-Bazooka

Extreme Situationen können radikale Lösungsansätze verlangen.

Ich präsentiere Ihnen einen Vorschlag zur Bewältigung der Schuldenkrise, der unter Umständen gar nicht zu einer deutlichen Erhöhung der Geldmenge führen muss.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Tatsache, dass einige Staaten nicht mehr in der Lage sind, sich selber zu vertretbaren Konditionen am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Die Tendenz sieht so aus, dass die Zahl dieser Problemstaaten sich erhöht mit der Perspektive, dass es am Ende sogar den Stabilitätshort Deutschland erwischt.

Eine vom Markt akzeptierte Lösung wären die viel diskutierten Eurobonds. Von deutscher Seite wurde klargestellt, dass solche Anleihen mit gemeinschaftlicher Haftung derzeit ausgeschlossen werden und erst nach einer „Fiskalunion“ bzw. europäischer Wirtschaftsregierung denkbar sind. Den Zeitraum für die Verwirklichung einer solchen gemeinsamen Finanzpolitik kann man mindestens auf zwei Jahre veranschlagen. Hinzu kommt ein immenses Risiko, dass die nötigen Änderungen der EU-Verträge in den nationalen Parlamenten nicht abgesegnet werden.

Die andere Lösung, die den Markt beruhigen könnte, ist ein massives Eingreifen der Europäischen Zentralbank. Die EZB interveniert bereits seit Frühjahr 2010 sporadisch und hat seitdem Staatsanleihen im „Wert“ von rund 200 Mrd. EUR in ihre Bücher genommen. Die Märkte sind immer im Unklaren darüber, ob wann und wie stark die EZB eingreift.

Mein Vorschlag ist nun, dass diese Unberechenbarkeit aufgegeben wird. Das mag im ersten Moment verrückt klingen, beinhaltet aber eine gewisse Logik.

Vorbild ist die Anbindung des Schweizer Franken an den Euro. Die Schweizer Nationalbank hat eine feste Wechselkursgrenze bei 1,20 Franken pro Euro gesetzt und angekündigt, ohne Limit diese Grenze zu verteidigen. Das war Anfang September. Seither wurde die Grenze kein einziges mal touchiert. Man darf davon ausgehen, dass die SNB de facto kaum eingegriffen hat. Die Ankündigung, im Zweifelsfall zu intervenieren war glaubwürdig. Warum? Weil die SNB über unbegrenzte Mittel verfügt. Denn wenn sie Euro kaufen will, setzt sie dafür Franken ein, die sie selber aus dem Nichts erzeugen kann. Für Marktteilnehmer ist ein Engagement knapp über der Grenze von 1,20 damit sehr risikoarm.

Vergleichen Sie dies bitte mit dem Agieren der EZB. Die Europäische Zentralbank lädt sich mehr und mehr Anleihen ins Depot, ohne nachhaltig etwas zu erreichen. Die Aktionen sind unvorhersehbar, nicht verlässlich. Das ist zwar augenscheinlich genau das was sie will und immer wollte, im Lichte der aktuellen Kriseneskalation ist der Ansatz aber durchaus hinterfragbar.

Was folgt aus diesen Überlegungen? Was könnte die EZB tun, um die Renditen der Krisenländer unten zu halten? Und vor allem, wie kann das gelingen, ohne die Geldmenge radikal zu erhöhen?

Stellen Sie sich vor, die EZB erklärt in Kürze:

„Ab heute gilt: Die EZB garantiert die Verteidigung folgender Kurs/Renditeniveaus in den Anleihen folgender Staaten: Italien, Spanien, Frankreich…“

Was würde passieren? In einer ersten Reaktion klatschen die Marktteilnehmer der EZB vermutlich viele Milliarden an Bonds ins Buch. Aber dann? Dann denken sich vielleicht einige: Hoppla, wenn die EZB dafür sorgt, dass italienische Bonds die nächsten Jahre nicht mehr ein Renditeniveau von X% überschreiten, dann kaufen wir eben knapp unter der garantierten Marke mit geringem Risiko.

Theoretisch könnte das Ergebnis das gleiche sein wie beim Euro/Franken. Es erscheint plausibel, dass die EZB real gar nicht massiv eingreifen müsste. Vielleicht sogar in geringerem Maß als sie es jetzt bereits tut.

Die Glaubwürdigkeit der EZB ist ohne Frage gegeben. Sie ist formal unabhängig und verfügt über unbegrenzte Mittel. Ein großes Fragezeichen steht allerdings hinter der Thematik, ob ein solches Vorgehen vom Mandat der Zentralbank gedeckt ist. Eigentlich wäre dafür eine Änderung des gesetzlichen Rahmenwerks wünschenswert. Letztlich ist das aber eine Frage des Willens.

Es bleibt ein wesentliches Problem: Es gibt derzeit 17 Euro-Staaten. Wenn man davon ausgeht, dass die EZB die Zinssätze nicht nivellieren will, ergibt sich folgendes Dilemma:

Warum sollte jemand deutsche Anleihen mit einem Renditeniveau von 2% kaufen, wenn er quasi risikolos – durch die EZB-Garantie – italienische Bonds mit z.B. 4% Rendite haben kann?

Wenn die EZB diesem Problem damit begegnet, dass sie die deutschen Anleihen wiederum auch fixiert, allerdings bei 2%, dann könnte es dazu kommen, dass die Marktteilnehmer massenhaft deutsche Anleihen an die EZB verkaufen und in höher rentierende Bonds anderer Staaten tauschen. Immerhin wäre die EZB-Bilanz dann nicht mehr voll mit Krisenbonds, sondern relativ sicheren deutschen Anleihen.

Die Alternative wäre, dass die EZB das Renditeniveau im Euroraum extern fixiert bei z.B. 3-4% für 10-jährige Anleihen und die Staaten dann innerhalb der Eurozone umverteilen. D.h. Italien zahlt effektiv etwas mehr, Deutschland etwas weniger.

Das ginge dann schon deutlich in Richtung Eurobonds, wobei das Haftungsrisiko nur mittelbar gemeinschaftlich wäre. Das Risiko trägt zunächst die EZB, die letztlich selber dafür sorgen kann, dass sie nie ins Minus kommt. Gleichzeitig müsste die EZB oder die EU-Kommission oder beide massiven Druck auf die Einzelstaaten ausüben hinsichtlich ihrer Haushaltsdisziplin.

Liebe Leser, Sie merken es sicher: Aus diesen Zeilen spricht auch ein gutes Stück Verzweiflung. Solche Eingriffe sind natürlich jedem marktwirtschaftlich denkenden Menschen zutiefst zuwider. Die Fehler, die zu dieser Situation geführt haben, sind schon viel früher, eigentlich über Jahrzehnte hinweg gemacht worden. Wir müssen sie jetzt ausbaden. Da ich nicht die gleiche Lust am Untergang verspüre wie einige Kollegen, ist für mich der europaweite Zusammenbruch keine Alternative. Also müssen wir pragmatisch und wirksam handeln. In der Zeit, die wir dabei gewinnen, muss eine mittelfristig tragfähige Lösung gefunden werden.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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