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09:00 Uhr, 03.09.2008

Die Ausgangslage am türkischen Aktienmarkt hat sich spürbar entspannt

Wie ausgewechselt und fast so, als wäre zuvor nichts gewesen, präsentiert sich seit geraumer Zeit der türkische Aktienmarkt. Dabei war es in den Monaten zuvor richtig heftig zur Sache gegangen. Im Tief bei 33.208 Punkten hatte der ISE National 100 Index in der Spitze in diesem Jahr schon mehr als 40 Prozent verloren. Gemessen an dem im Oktober markierten Rekordhoch von 58.232 Zählern ist der Einbruch sogar noch etwas stärker ausgefallen.

Doch seit Anfang Juli hat der Aktienmarkt in der Türkei praktisch aus dem Nichts heraus damit begonnen, den Bärenmarkt abzustreifen. Nach einem Anstieg von gut 30 Prozent auf ein Zwischenhoch von 43.259 Punkten kann das Unterfangen als sehr erfolgreich bezeichnet werden. In den vergangenen Tagen machten sich dann zwar erste Ermüdungserscheinungen bei den Bullen breit. Aber charttechnisch gesehen ist der mittelfristige Abwärtstrend inzwischen wieder überwunden und das Geschehen stellt sich längst nicht mehr so trostlos dar wie im ersten Halbjahr.

Beim zuletzt abgefeuerten Kursfeuerwerk haben gleich mehrere Verbesserungen im Umfeld geholfen. Mit am meisten aufgehellt hat die Stimmung unter den Anlegern das abgelehnte Verbotsverfahren gegen die islamisch-konservative Regierungspartei AKP. Nachdem der Generalstaatsanwalt im März seinen Antrag vorgelegt hatte, lastete die damit verbundene politische Unsicherheit wie Blei auf den Kursen. Zum Ausdruck kam dies nicht nur in sinkenden Aktiennotierungen, einer fallenden Lira und nachgebenden Anleihekursen, sondern auch in rückläufigen ausländischen Direktinvestitionen. Diese beliefen sich in den ersten fünf Monaten nur noch auf sechs Mrd. Dollar, nachdem es im gesamten Vorjahr noch 22 Mrd. Dollar waren. Die darin zum Ausdruck kommende Zurückhaltung ist auch nachvollziehbar, hätte ein Verbot der Mehrheitspartei in der Türkei doch viel Chaos gestiftet. Außerdem wären dann Neuwahlen notwendig gewesen und das Land wäre politisch längere Zeit gelähmt gewesen.

Fallender Ölpreis und positives AKP-Urteil stützen

Da diese Gefahr nun erst einmal abgewendet werden konnte, ist die Erleichterung bei den Investoren durchaus nachvollziehbar. Zuversichtlich nach dem Urteilsspruch zeigte sich auch Manfred Zourek, Fondsmanager des Espa Stock Istanbul: „Dieser Entscheid hat ein Ergebnis gebracht, mit dem sowohl die Anhänger des Regierungslagers als auch der laizistischen Kräfte leben können. Die Investoren werden nun wieder mehr Bereitschaft zeigen in die Unternehmen zu investieren.“ Ähnlich wird die Lage bei Griffin Capital Management beurteilt. In einem Marktkommentar schreiben die dortigen Fondsmanager: „Vor dem Hintergrund der nachlassenden Spannung im Anschluss an das Gerichtsurteil glauben wir, dass der Markt sich wieder auf die Fundamentaldaten der Unternehmen konzentrieren wird.“

Als Segen für die Volkswirtschaft und damit auch für die Börse erweist sich zudem der zuletzt spürbar korrigierende Ölpreis. Diese Entwicklung ist für die Türkei aus zwei Gründen von großer Bedeutung. Zum einen entlastet dies das viel zu hohe Leistungsbilanzdefizit und auch die Inflationsrate dürfte davon profitieren. In beiden Fällen wäre eine Entlastung aber auch enorm wichtig. So bewegt sich die Inflationsrate zwar noch deutlich unter dem Rekordwert von 68,5 Prozent, der noch im Jahr 2001 gemessen wurde. Der im Juli registrierte Anstieg der Teuerungsrate auf 12,1 Prozent von 10,6 Prozent im Vormonat ist der stärkste Zuwachs seit vier Jahren. Die Wiederaufnahme des zuvor jahrelang zu beobachtenden disinflationären Trends lässt somit weiter auf sich warten. Die Verantwortlichen bei der Notenbank hoffen jüngsten Aussagen zufolge zwar schon in den kommenden Monaten auf fallende Inflationsraten. Wann genau sich diese einstellen werden, bleibt aber noch abzuwarten. Zumal sich bei Autos aus Kostengründen Preiserhöhungen von vier bis fünf Prozent abzeichnen, die Gaspreise im August um 16 bis 18 Prozent steigen und im Oktober die Strompreise um rund 15 Prozent erhöht werden. Die zwischenzeitlich beschlossenen Zinserhöhungen, die den Leitzins auf aktuell 16,75 Prozent hievten, dürften vor diesem Hintergrund nicht so schnell revidiert werden. Die Volkswirte beim Broker Raymond Securities weisen in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass der Leitzins im Jahr 2001, als die Inflation letztmals so hoch war wie aktuell, sogar 17,5 Prozent betrug.

Dauerhaft hohe Zinsen sind bei einer an den Finanzmärkten weiterhin anhaltenden allgemeinen Risikoaversion aber auch als Stütze für die Landeswährung Lira wichtig und zur Anlockung von ausländischem Kapital. Dazu muss man wissen, dass die Türkei weltweit das
Schwellenland mit dem höchsten externen Refinanzierungsbedarf ist, wie Christiane Seyffart von der Dresdner Bank vorrechnet. Sie veranschlagt den Refinanzierungsbedarf der Auslandsverschuldung in diesem Jahr auf knapp 90 Mrd. Dollar und das Leistungsbilanzdefizit auf 48 Mrd. Dollar (einschließlich Juni ist das Defizit in diesem Jahr schon um 42 Prozent auf 27,3 Mrd. Dollar gewachsen). Bei so düsteren Zahlen kommt ein fallender Ölpreis natürlich wie gerufen. Schließlich muss die Türkei rund 95 Prozent des konsumierten Öl- und Gas importieren.

Moderate Bewertungskennziffern

Zusammengefasst hat sich das zuvor lange Zeit so belastende Umfeld zuletzt deutlich aufgehellt. Flacht die weltweite Kreditkrise ab und bleiben die Weltbörsen von neuen Turbulenzen verschönt, dann könnte der türkische Aktienmarkt seine vorhandenen Pluspunkte in der zweiten Jahreshälfte weiter ausspielen. Dazu zählt eine robust wachsende Wirtschaft, die im ersten Quartal trotz aller Widrigkeiten um immerhin 6,6 Prozent zulegte. Und die vermutlich auch in den kommenden Jahren in der Lage sein wird, mit Raten von fünf Prozent und mehr zu wachsen. Für diese Annahme sprechen auch die günstige demographische Struktur (40 Prozent der 70 Mio. Einwohner sind jünger als 18 Jahre) des Landes sowie seine auch damit sowie der Brückenfunktion zwischen Ost und West verbundenen Attraktivität als Investitionsstandort (das Lohnniveau liegt um mehr als 60 Prozent unter dem Polens).

Ein weiteres Pfund, mit dem der türkische Aktienmarkt wuchern kann, sind moderate Bewertungen. So beziffern die Analysten beim Broker ATA Invest das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis der von ihnen beobachteten Aktien auf Basis der für 2008 geschätzten Gewinne auf lediglich neun. Das Verhältnis von Unternehmenswert zum Umsatz beträgt demnach 0,6 und die Relation von Unternehmenswert zum Ebitda 5,3. Die Banken kommen demnach zudem im Schnitt nur auf ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,3. Kennziffern wie diese gefallen auch ausländischen Fondsmanagern wie denen bei Griffin Capital Management: „Mit einem geschätzten neunfachen Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2008 und einem geschätzten 7,8-fachen Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2009 bleiben türkische Aktientitel nach wie vor die attraktivsten im Universum der Schwellenmärkte“, lautet ihr positives Urteil.

Setzt sich der Kursaufschwung fort, dürften Banken, Konsumaktien und Nebenwerte die Liste der Gewinner nach Ansicht von Raymond Securities anführen. Diese Werte sind zuvor am stärksten unter die Räder gekommen und speziell die ausgebombten Banken sind mit einem noch stärkeren Anstieg ihrer Favoritenrolle seit Beginn der jüngsten Rally gerecht geworden. Allerdings dürfte ein weiterer Gipfelsturm künftig viel beschwerlicher als zuletzt. Denn auf dem Weg nach oben warten einige charttechnische Widerstände. Außerdem hat der ISE National 100 Index bereits das Kursniveau zurückerobert, das vor dem AKP-Verbotsantrag Gültigkeit hatte. Für weitere Kursavancen braucht es deshalb nun neuer Impulse. Und natürlich darf in Sachen Weltbörsen und Ölpreis nichts schief gegen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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