Kommentar
10:22 Uhr, 16.09.2016

Die Arbeitnehmer sind schuld

In den USA könnten mehr Stellen geschaffen werden. Es gibt mehr Jobs als derzeit besetzt werden können. Die Unternehmen finden aber einfach keine qualifizierten Arbeitskräfte.

Stagnierende Produktivität und Löhne geben der Politik Rätsel auf. Das Rätsel ist zwar noch nicht gelöst, aber die Schuldigen sind gefunden: die Arbeitnehmer.

In den USA stehen die Präsidentschaftswahlen an. Die Wahlprogramme sind dabei nur mäßig inspirierend und gehen an einem der Kernprobleme vorbei. Der US-Arbeitsmarkt läuft zwar grundsätzlich rund, doch hinter den Kulissen kracht es und es zeigt sich ein marodes System.

Viele Marktteilnehmer waren enttäuscht, dass im August nur 150.000 neue Jobs geschaffen wurden. Die Höhe dieser Zahl ist meiner persönlichen Einschätzung nicht das Problem. Sie ist absolut ausreichend und gesund. Das Problem liegt vielmehr darin, dass mehr Stellen geschaffen werden könnten. Grafik 1 zeigt die Anzahl offener Stellen und die Anzahl an Neueinstellungen. Seit zwei Jahren erreicht die Zahl offener Stellen regelmäßig neue Rekorde, doch die Zahl an Neueinstellungen stagniert.

Die Situation lässt sich also so zusammenfassen: es gibt mehr Jobs als derzeit gefüllt werden können. Die Arbeitslosigkeit könnte sehr viel schneller zurückgehen als es aktuell der Fall ist. Das funktioniert jedoch nicht, weil Unternehmen keine Arbeitskräfte finden. Das ist kein Paradoxon, sondern die Folge jahrelang verfehlter Politik.

Grafik 2 zeigt die Anzahl offener Stellen (wie in Grafik 1) und die Aufteilung dieser stellen nach Sektoren. Sektoren, die nur geringe Qualifikationen erfordern (Bau, Handel, Freizeit, Gastgewerbe), verlieren an Boden. Machten sie einmal über 40 % aller offenen Stellen aus, sind es derzeit nur noch um die 35 %.

In den meisten Volkswirtschaften ist es eine willkommene Neuigkeit, dass mehr hochqualifizierte Arbeitnehmer benötigt werden. Mehr Qualifikation bedeutet im Normalfall auch höhere Löhne. Nicht so in den USA. Bildung ist teuer und für die meisten nicht leistbar. Bildung wird zudem seit Jahren immer teurer. Die „Bildungsinflation“ ist enorm hoch. Immer weniger Menschen können sich also Bildung leisten.

Als Folge gibt es nicht ausreichend qualifizierte Arbeitnehmer. Hinzu kommt eine sinkende Mobilität der Arbeitnehmer. Weil sie zu wenig Geld haben, ist es ihnen nicht möglich dorthin zu gehen, wo die Jobs sind. Beides wird mit als Grund für das stagnierende Produktivitätswachstum gesehen.

In den USA wird viel Wert darauf gelegt, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Es ist also quasi die Schuld der Arbeitnehmer, dass sie nicht ausreichend qualifiziert und mobil sind. Kulturell wird das akzeptiert, doch das macht die Lage in der Praxis nun wirklich nicht besser.

Das geringe Lohnwachstum bei gleichzeitig sehr niedriger Arbeitslosigkeit hat noch einen Grund. Amerikaner wechseln weniger häufig ihre Jobs. Wer kündigt, um eine neue Stelle anzunehmen, kann für gewöhnlich mit dem Abschluss eines neuen Vertrags ein höheres Gehalt erwarten. Die Bereitschaft, den Job zu wechseln, geht allerdings im Durchschnitt zurück.

Die geringere Bereitschaft lässt sich ebenfalls durch einen Mangel an Jobs mit geringem Qualifikationsbedarf erklären. Wer vor einem Walmart steht, um ankommenden Kunden zu winken (diesen Job gibt es wirklich), kann vermutlich noch so häufig den Job wechseln und keine großen Gehaltssprünge machen.

Es braucht dringend eine grundlegende Reform des Bildungssystems. Die Wirtschaft schafft zwar mehr Jobs, die höhere Qualifikationen erfordern, doch die Stellen können nicht immer gefüllt werden. Es ist jedoch unabdingbar, dass genau diese Jobs gefüllt werden können. Viele Jobs in der Produktion wandern nach wie vor ins Ausland oder werden durch Automatisierung ersetzt. Die Abhängigkeit von Niedriglohnjobs, die keiner Qualifikation bedürfen, ist kein nachhaltiges Modell. Dabei sind die USA – das muss man ihnen lassen – Meister darin, unsinnige Jobs zu schaffen.

Als ich unlängst wieder in den USA war sind mir in den drei Stunden zwischen Landung und Hotel unbegreiflich viele, unsinnige Jobs untergekommen. Es hat schon damit begonnen, dass nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug damit begonnen wird, die Ankommenden in unterschiedliche Schlangen einzuweisen. Das war insofern sinnlos, weil sich 100 Meter später alles wieder vermengte und noch einmal eingewiesen wurde.

Dann steht man erst einmal lange an und wird dann einem Automaten zugewiesen, an dem man seine Angaben macht, inklusive Foto und Fingerabdruck. Ist das erledigt, wird das gleiche noch einmal von einer Person durchgeführt. Zwischen diesem Prozess und der Gepäcksausgabe wird der Pass noch mehrfach kontrolliert, als ob sich am Inhalt innerhalb von Minuten etwas geändert hätte...

Ein Taxi kann man sich natürlich nicht selbst nehmen. Man wird eingewiesen. Eine Person steht einfach nur da und schreit die Taxifahrer an, dass sie fahren sollen. Vor dem einsteigen ins Taxi gibt es eine weitere Person, die praktisch einfach nur dasteht und irgendwelche Belege druckt, die vollkommen irrelevant sind. Vorm Hotel wird man begrüßt und eine andere Person begleitet einen dann zur Rezeption, also ob man die 10 Meter nicht alleine schaffen würde usw.

Die Anzahl an vollkommen unnötigen Jobs ist fast schon bedrückend. Es wundert auch nicht, dass man, nachdem man 8 Stunden vorm Walmart stand und Kunden begrüßt hat, noch 4 Stunden Menschen in Schlangen einweisen muss, um so gerade über die Runden zu kommen. Solange diese Probleme nicht gelöst sind, werden die USA sicherlich nicht wieder zu 3 % oder 4 % Wachstum zurückfinden und von alleine wird sich das Problem nicht lösen. Das System fördert Unterbeschäftigung und unzureichende Löhne. Von einzelnen Arbeitnehmern kann man nicht erwarten, dass sie dieses System überwinden können.

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6 Kommentare

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  • moneymaker22
    moneymaker22

    Verfehlte Bildungspolitik ? naja ist wohl was dran, aber wie wäre es den mal wenn die Unternehmen die Fachkräfte ausbilden die sie brauchen, weil sie profitieren ja wohl am meisten davon ?!?

    11:03 Uhr, 16.09. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Chronos
    Chronos

    https://de.wikipedia.org/wiki/Fachkräftemange...

    "Anzeichen für einen Fachkräftemangel können etwa überdurchschnittliche Gehaltsentwicklungen einer Fachrichtung sein."

    10:47 Uhr, 16.09. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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