Kommentar
15:17 Uhr, 29.05.2015

Die Angst vor dem Platzen der Anlageblasen erzwingt geldpolitische Schizophrenie

Die internationale Geldpolitik hat mit viel und billigem Geld zwei Resultate erzielt. Zum einen wurden die Staatsschuldenkrisen in Folge der weltweit dramatisch kreditfinanzierten Konjunkturprogramme beigelegt. Und zum anderen hat sie als Kollateralschaden massive Anlageblasen geschaffen. So setzt sich am Anleihemarkt der seit 1981 andauernde Trend sinkender Renditen weiter fort.

Auch an den Aktienmärkten hat die freizügige Geldpolitik z.B. der EZB ihre Wirkung nicht verfehlt. Noch in früheren Aktienaufschwungszyklen - Dotcom- und Immobilieneuphorie - konnte der DAX die Marke von 8.000 Punkten nicht nachhaltig überwinden, da steigende Leitzinsen das Anlageklima für Aktien spürbar verschlechterten. Dagegen konnten im Rahmen der aktuellen Aktienhausse mühelos neue Höchststände erreicht wen, da die Leitzinsen nicht nur auf neue historische Tiefs fielen, sondern eine Zinswende der EZB auch nicht im Entferntesten in Sicht ist.

GRAFIK DER WOCHE
Notenbankzins der EZB und Deutscher Aktienmarkt (DAX)

Zudem verhindert der Anleiheaufkauf der EZB über insofern stattfindende Renditedrückungen wettbewerbsfähige Anlagealternativen. Während nach Zusammenbruch der Aktienmärkte 2001 bzw. 2008 deutsche Staatspapiere durchschnittlich mit etwa fünf Prozent rentierten, müssten sich Anleger heute mit Renditen unterhalb von 0,5 Prozent zufrieden geben.

Grundsätzlich ist die üppige Liquiditätspolitik eine Art Vollkaskoversicherung gegen markante Aktieneinbrüche.

Die aktuellen Renten- bzw. Aktienhaussen sind also Liquiditätshaussen. Sie sind: Made by EZB. Die großzügige globale Geldpolitik ist eine „conditio sine qua non“, eine unerlässliche Bedingung für das Wohl der Finanzmärkte. Bereits der liquiditätspolitische Rückzug der Notenbanken von Voll- auf Teilkaskoversicherung könnte zum Platzen der Blasen an den Aktien- und Rentenmärkten führen, die dem Weltfinanzsystem und der Weltwirtschaft erheblichen Schaden zufügten. Die kürzlich gestreuten Gerüchte, die EZB könnte ein „Early Tapering“ - eine frühzeitige Liquiditätsbegrenzung - durchführen und die darauf folgenden Irritationen auf den Anleihemärkten gaben bereits einen leisen Vorgeschmack auf das Ungemach, das droht, wenn die Geldpolitik tatsächlich restriktiv würde. Kurzum: Die Finanzmärkte sind Geld-drogenabhängig.

Droht der kalte Liquiditäts-Entzug über verbesserte Konjunkturdaten?
Könnten sich diese paradiesischen geldpolitischen Marktbedingungen ändern? In der Geldtheorie und in der früheren Praxis der Deutschen Bundesbank haben Notenbanken die Aufgabe, in schwachen konjunkturellen Zeiten zu stützen und in guten Zeiten abzubremsen, zumal dann auch die Inflation typischerweise ansteigt.

In anderen Worten: Eine gute Konjunktur ist schlecht für das geldpolitische Geschäft, führt zu restriktiver Zins- und Liquiditätspolitik.

Sorgen über ein konjunkturell bedingtes Ende der Liquiditätshausse sind allerdings unbegründet. In den USA haben die tatsächlichen Konjunkturdaten im Vergleich zu den Erwartungen der Volkswirte seit Jahresbeginn enttäuscht. Die im Trend schwachen Auftragseingänge ziviler Kapitalgüter ohne Transport spiegeln die US-Investitionszurückhaltung deutlich wieder.

Auch in Asien, Japan, der Eurozone und Deutschland haben die wirtschaftlichen Stimmungseinschätzungen für die folgenden sechs Monate zuletzt nachgegeben.

Droht der kalte Liquiditäts-Entzug jemals?
Vor diesem weltkonjunkturellen Hintergrund ist ein Entfernen der geldpolitischen Stützräder nicht gerechtfertigt. Dies gilt auch im Hinblick auf das Inflationsszenario: Nicht nur die aktuelle Inflationsrate in der Eurozone liegt mit null Prozent weit entfernt vom offiziellen Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Auch die vorausschauenden Inflationserwartungen haben sich wieder zurückgebildet und verschaffen der EZB die Rechtfertigung, ihre Anleiheaufkäufe nicht nur wie geplant bis September 2016 fortzusetzen, sondern sogar über diesen Zeitpunkt hinaus zu verlängern.

Stellt sich zum Schluss die alles entscheidende Frage: Werden die Zentralbanken denn bei spürbar verbesserten Konjunktur- und Inflationsdaten restriktiv werden? Nein, das können sie nicht. Denn wenn die Anlageblasen daraufhin platzten, würden Weltfinanzsystem und Weltkonjunktur - siehe das Platzen der US-Immobilienblase - schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Notenbanken haben sich selbst in eine geldpolitische Falle gebracht. Wenn sie sie verlassen, riskieren sie den System-Crash. Sie sind in einer schizophrenen Lage.

Chinas Blasenprobleme vertragen keine geldpolitische Restriktion
Selbst das Land der Mitte ist mit Anlageblasen konfrontiert. Neben dem Immobilienmarkt finden sich diese mittlerweile auch auf dem Aktienmarkt. Auf keinen Aktienmarkt der Welt passt der Begriff Liquiditätshausse so gut wie auf den chinesischen. Der Shanghai Shenzen CSI 300 Index hat sich binnen Jahresfrist mehr als verdoppelt. Hintergrund dieser Aktienhausse sind chinesische Wertpapierkredite, die sich im Vorjahresvergleich vervierfacht haben!

Gegenüber dieser chinesischen Aktienblase verblasst sogar die US-amerikanische.

Deutlich wird die Blasenentwicklung auch im Vergleich mit der Entwicklung am Neuen Markt.

Kommt es zu einer Wiederholung des Schicksals am Neuen Markt auch in China? Das kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Bräche der Aktienmarkt und dann auch noch der Immobilienmarkt ein, wäre China von schweren wirtschafts- und sozialpolitischen Unruhen betroffen. Die chinesische Regierung und Notenbank ist also gezwungen, die Anlageblasen weiter zu pflegen. Daher hat China seine Leitzinsen bereits dreimal in sechs Monaten gesenkt. Weitere werden folgen müssen, um ebenso Verwerfungen am Kreditmarkt zu vermeiden.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Stabiler als gedacht
Diese Zwangslage der Geldpolitik stellt so etwas wie die Aorta der Finanzmärkte dar.

Positiv ist auch, dass sich die überhitzte Situation an den Aktienmärkten deutlich zurückgebildet hat. So ist der Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt abzüglich des Anteils der Pessimisten wieder in neutralem Terrain angekommen.
Grafik: Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt minus Anteil der Pessimisten, in Prozent

Die Volatilität an den Aktienmärkten zeigt sich zwar zuletzt erhöht. Nimmt man jedoch den Volatilitätsindex VDAX für die nächsten 30 Handelstage als Risikomaßstab, hält sich die Risikoaversion historisch betrachtet in engen Grenzen. Die zu erwartende Kursschwankungsbreite liegt aktuell zwischen 10.763 und 12.337 Punkten.

Die Anleger sollten mindestens ihre regelmäßigen Aktienansparpläne weiterführen. Kommt neben der Liquiditätshausse auch noch die Konjunkturhausse dazu, umso besser.

Die Euro-Politik wird einen Staatsbankrott Griechenlands, der auch den Euro-Austritt des Landes zur Folge hätte, verhindern. Obwohl der Grexit wirtschafts- und finanzpolitisch dringend geboten ist, werden den Finanzmärkten durch die Beibehaltung des Status Quo zunächst einmal Turbulenzen erspart. Die Aktienmärkte in Europa werden steigen.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse, Baader Bank

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