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10:02 Uhr, 31.05.2013

DGAP-News: Deutsches Aktieninstitut e.V.: Finanzplatz

DGAP-News: Deutsches Aktieninstitut e.V. / Schlagwort(e): Sonstiges Deutsches Aktieninstitut e.V.: Finanzplatz

31.05.2013 / 10:02 


Interview mit Dr. Bernhard Günther, Finanzvorstand, RWE AG

'Wir brauchen eine ideologiefreie und technologieoffene Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes'

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist in die Jahre gekommen. Obwohl es erst dreizehn Jahre alt ist und die letzten Änderungen nur ein halbes Jahr zurückliegen, besteht umfassender Reformbedarf. Allein die im September stattfindende Bundestagswahl verhindert, dass das Gesetz noch in diesem Jahr überarbeitet wird. Im Februar 2013 diskutierten Vorstandsmitglieder des Deutschen Aktieninstituts mit dem für Energiefragen zuständigen EU-Kommissar Günther Oettinger in Brüssel über die europäische und deutsche Energiepolitik. Dr. Bernhard Günther, Finanzvorstand der RWE AG, der bei der Sitzung dabei war, spricht im Interview mit dem Finanzplatz über den CO2-Emissionshandel, die Reform des EEG und mahnt ein gemeinsames europäisches Handeln im Energiebereich an.

Herr Günther, wie beurteilen Sie die aktuelle Energiepolitik in Europa?

Die Energiepolitik muss wettbewerblicher, marktwirtschaftlicher und europäischer werden. Die Wirkung nationaler Eingriffe bleibt nicht auf das jeweilige Land beschränkt. Sie haben unmittelbar Konsequenzen für die Nachbarländer. Deshalb müssen die zentralen Instrumente wie zum Beispiel der CO2-Emmisionshandel oder die Förderung der erneuerbaren Energien europäisch abgestimmt werden. Auch Energiekommissar Oettinger sieht rein nationale Maßnahmen kritisch.

Polen und Tschechien haben Ende letzten Jahres mit den Netzbetreibern in Deutschland vereinbart, dass Stromsperren errichtet werden, die verhindern sollen, dass deutsche Windstromexporte ihre nationalen Netze destabilisieren. Was bedeutet ein solches Vorgehen für den europäischen Strommarkt? Was müsste in Bezug auf einen gemeinsamen europäischen Strommarkt getan werden, um diesen effizient zu gestalten?

Ich habe Verständnis für die Sorgen der Polen und Tschechen. Doch diese Maßnahmen beweisen: Unkoordinierte einzelstaatliche Maßnahmen ziehen immer Gegenmaßnahmen nach sich. Und irgendwann würgt man damit den Binnenmarkt ab.Wir brauchen: mehr Europa, mehr Markt, mehr systemisches Denken. Wir brauchen eine grundlegende Reform, die an mehreren Punkten ansetzt. Die wichtigsten sind der CO2-Emmisionshandel, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, europäisch abgestimmte Kapazitätsmärkte.

Kapazitätsmärkte, also Energiemärkte, die Anreize für Kraftwerksbetreiber schaffen, Reserveleistungen vorzuhalten, geben dem Gut 'Versorgungssicherheit' einen Preis. Dies ist notwendig, da die erneuerbaren Energien die Auslastung von konventionellen Kraftwerken senken, ohne sie ersetzen zu können. Wie viel gesicherte Leistung wir brauchen - Leistung, die jederzeit abgerufen werden kann -, zeigt sich an kalten windstillen Abenden. Damit dann konventionelle Kraftwerke bereitstehen, brauchen die Betreiber einen Ausgleich für die Zeit, in der die Kraftwerke wegen des Einspeisevorrangs von Wind- und Sonnenstrom stillstehen: durch Kapazitätsmärkte. Viele europäische Länder planen derzeit die Einführung von Kapazitätsmärkten, darunter Frankreich, Polen, Belgien und Italien. Ein marktwirtschaftlicher und europäischer Ansatz wäre sehr viel effizienter als nationale Einzellösungen. Der Preis für CO2-Emissionsberechtigungen ist derzeit sehr niedrig, so dass verschiedene Vorschläge diskutiert werden, wie das EU-Emissionshandelssystem verändert werden könnte. Teilen Sie die Sicht, dass nachträgliche Eingriffe in diesen Markt notwendig sind? Welche Variante würden Sie bevorzugen?

Wir hoffen, dass die jüngste Abstimmung im Europäischen Parlament gegen eine vorübergehende Verknappung der Zertifikate kein politisches Signal gegen den Emissionshandel ist. RWE sieht im ETS, im EU-Emissionshandelssystem, weiterhin das Instrument der Wahl, einen ambitionierten Klimaschutz in Europa marktwirtschaftlich und effizient umzusetzen. Darum unterstützt RWE die Initiative der Europäischen Kommission, durch strukturelle Reformen des ETS einen langfristigen und verlässlichen Rahmen für Investitionen zu schaffen. Es ist wichtig, dass die EU Verhandlungen für einen CO2-Minderungspfad über 2020 hinaus aufnimmt. Langfristige Investitionen wie Kraftwerke brauchen eine langfristige Planungssicherheit.

Während die Strompreise an der Strombörse in Leipzig ins Minus rutschen, ächzen die deutschen Verbraucher unter weiter steigenden Strompreisen. Kann bzw. wird die von Bundesumweltminister Altmaier ins Spiel gebrachte Strompreisbremse Ihrer Meinung nach den gewünschten Effekt bringen? Wird der Effekt nachhaltig sein?

Es ist gut, dass Minister Altmaier mit seinen Vorschlägen Bewegung in die Sache gebracht hat. Und es war richtig, sowohl die absolute Begrenzung der Kosten für die Energiewende zu adressieren als auch eine sozial gerechte Verteilung. Ohne eine strukturelle Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des EEG, ist es kaum möglich, Privathaushalte zu entlasten und gleichzeitig die im internationalen Wettbewerb stehenden Branchen nicht zusätzlich zu belasten.

Wir appellieren an den Gesetzgeber, ideologiefrei, technologieoffen und mit einem Blick auf das gesamte europäische Energiesystem an die EEG-Reform heranzugehen. Wir haben jedoch Sorge, dass ständige Diskussionen zu weiterer Verunsicherung der Investoren führen. Deshalb muss es möglichst bald nach den Bundestagswahlen eine umfassende Reform geben, die einen stabilen Rahmen für mehrere Jahre schafft.

Die deutsche Industrie ist wegen der steigenden Strompreise und der unkoordiniert wirkenden Energiewende in Deutschland besorgt. Haben Sie den Eindruck, dass die Politiker in Brüssel und Berlin angemessen auf die Sorgen der Wirtschaft reagieren?

Ich habe absolut den Eindruck, dass das Problem mittlerweile ernst genommen wird. Aber eine Lösung zu finden, die Privatkunden nicht überfordert und die Industrie wettbewerbsfähig hält, ist schwierig. Zumal große Teile der Kosten, die uns heute belasten, aus alter Zeit stammen, als 50 Cent und mehr für die Kilowattstunde Sonnenstrom auf 20 Jahre garantiert worden waren. Eingriffe in den Bestand will aber auch niemand - zu Recht, denn das wäre ein verheerendes Signal an zukünftige Investoren.

Der Ausbau des deutschen Stromnetzes muss vorangetrieben werden. Um die dafür nötigen Beträge aufzubringen, wird diskutiert, institutionelle Investoren oder auch Privatanleger mit ins Boot zu holen. Wie beurteilen Sie alternative Finanzierungsansätze in diesem Bereich?

RWE hat diesen Ansatz bereits vor zwei Jahren in die Tat umgesetzt, als wir die Mehrheit unserer Anteile am Übertragungsnetzbetreiber Amprion abgegeben haben. Käufer war ein Konsortium aus Finanzinvestoren und Versorgungswerken. So haben wir den hohen Mittelbedarf für den Netzausbau auf mehrere Schultern verteilt. Institutionelle Investoren und Versicherungen sind derzeit außerordentlich interessiert an Infrastruktur-Beteiligungen. Das zeigt auch der Verkauf unseres tschechischen Gastransportnetzes an ein Konsortium aus Allianz und dem kanadischen Fonds Borealis Infrastructure. Ich bin sicher, dass dieses Modell Schule macht.

Herr Günther, wenn Sie die Möglichkeit hätten, das Erneuerbare-Energien-Gesetz nach Ihren Vorstellungen zu gestalten: Welches wären Ihre ersten Änderungen?

Das EEG hat sein Ziel der Anschubfinanzierung für die Erneuerbaren erreicht. Wir müssen uns aber nun auf den Weg machen, die erneuerbaren Energien an den europäischen Strommarkt heranzuführen. D.h. auch die erneuerbaren Energien müssen ihren Strom selbst vermarkten - was unter anderem bedeutet, dass die Betreiber am Vortag einen verbindlichen Fahrplan abgeben und diesen dann auch einhalten.

Zwei neue Fördermodelle werden zurzeit politisch diskutiert - Quotenmodell und Marktprämienmodell. Hier streiten sich die Gelehrten, welches besser ist: Bestimmte Quoten für erneuerbare Energie festzulegen, deren Einhaltung der Stromvertrieb über Zertifikate nachweisen muss - oder dem Betreiber einer EEG-Anlage einen Zuschlag zum Börsenpreis je Megawattstunde Grünstrom zu zahlen. Beide Modelle haben Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, dass sie ökonomisch sinnvoll und effizient ausgestaltet werden. Darüber muss eine Sachdiskussion geführt werden, politische Grabenkämpfe sind fehl am Platze.

Das Marktprämienmodell scheint in Deutschland politisch verhältnismäßig breit akzeptiert zu sein. Es bedeutet keinen Bruch mit dem bisherigen System. Der Vorteil besteht zudem darin, dass die Eigentümer der Anlagen den produzierten Strom selbst vermarkten müssen und auf den Strompreis einen staatlich festgelegten Aufschlag erhalten, der in einer jährlichen Auktion wettbewerblich bestimmt werden kann. Damit muss sich der Betreiber am Markt orientieren, der Zuschlag auf den Marktpreis wird ihm aber für mehrere Jahre garantiert. Diese Marktintegration sollte schnell auf den Weg gebracht werden. Ich bin froh, dass die Europäische Kommission das auch so sieht und sich des Themas angenommen hat.

Uta-Bettina von Altenbockum, Finanzplatz

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