Deutschland: Drei Szenarien der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung
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Externe Quelle: Unicredit
Auch wenn der am Freitag veröffentlichte BIP-Einbruch für das erste Quartal mit -3,8% rekordhoch ausfiel: Zeitnahere Konjunkturzahlen für März überraschten zuletzt positiv. Auftragseingänge und Exporte legten nach einem historisch einmaligen Einbruch erstmals wieder zu. Die jüngsten Daten geben aber nicht nur Grund zur Hoffnung. Sie haben auch die Diskussion über die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaft angeheizt. Kommt die Erholung jetzt doch schneller und stärker als bislang erwartet? Im Folgenden werden drei Szenarien und ihre Plausibilität diskutiert: V, W und L. Szenario 1: Die „V“-Erholung
Für eine überraschend kräftige Erholung bereits in der zweiten Jahreshälfte 2009 könnten vor allem vier Gründe sprechen:
1. Die historische Erfahrung. Es mag überraschend klingen, aber eine „V“-förmige Erholung in Deutschland war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dies zeigen unsere Auswertungen von Rezessionsphasen in den vergangenen 40 Jahren (vgl. Grafik). Nach dem ersten Ölpreisschock 1973 sank das reale BIP um knapp 2½%. Nach Beendigung der Rezession legte die Wirtschaftsleistung hingegen in den vier folgenden Quartalen um 4% zu. Ähnliche Verläufe lassen sich auch in der Folgezeit beobachten. Faktisch handelt es sich damit um eine Art „asymmetrisches V“: Die deutsche Konjunktur verlief nicht in einem gleichmäßigen Auf und Ab. Vielmehr dominierten sprunghafte Zuwächse nach Rezessionsphasen ihre Entwicklung. Lediglich Anfang der 80er Jahre hielten sich Verluste und Zuwächse des BIP in etwa die Waage. Treibende Kraft für die starke Asymmetrie waren vor allem die Exporte, die überproportional zulegten.
2. Der rapide Lagerabbau. Aufgrund des Einbruchs der globalen Nachfrage waren die deutschen Unternehmen in den letzten Monaten gezwungen, ihre Lagerbestände drastisch zu reduzieren (vgl. Grafik).
Umfragen des Ifo-Instituts zufolge gingen sie so stark zurück wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Zwar ist es im Moment zu früh, um vollständig Entwarnung geben zu können. Der Lagerabbau scheint aber jetzt auszulaufen. Die Umfragewerte („zu hohe Lagerbestände“) haben sich im März und April nicht weiter verschlechtert. Ein geringer Anstieg der Nachfrage aus dem In- oder Ausland könnte deshalb genügen, um die Produktion wieder hochzufahren.
3. Die Fiskalprogramme. Die staatlichen Ausgabenpakete könnten einen solchen Nachfrageimpuls bereits in der zweiten Jahreshälfte
liefern. Zu diesem Zeitpunkt dürfte ein Teil der weltweiten Infrastrukturprogramme umgesetzt sein und zusehends in den Wirtschaftskreislauf gelangen.
4. „Animal Spirits“. Die beiden Ökonomen Robert Shiller und George Akerlof haben jüngst auf die große Rolle von psychologischen Faktoren für Wirtschaft und Finanzmärkte hingewiesen1. Demnach werden Konjunkturzyklen durch schwankendes Vertrauen von Unternehmen und Investoren hervorgerufen. In Rezessionsphasen schwindet die Zuversicht und eine Art selbstverstärkender Effekt setzt ein. Gibt es hingegen Anzeichen für Besserung fassen immer mehr Unternehmen „instinktiv“ Vertrauen. Die Idee zu diesem Konzept stammt von John Maynard Keynes, der ein solches Verhalten als „Animal Spirits“ bezeichnete.
Szenario 2: Strohfeuer („W“)
Im Alphabet kommt ja bekanntlich nach dem „V“ das „W“. Ganz ähnlich könnte es im nächsten Jahr auch der deutschen Konjunktur
gehen. Der durch die staatlichen Fiskalpakete angestoßenen Erholung geht in diesem Szenario bald die Puste aus. Der Grund: Die Multiplikatorwirkungen erweisen sich als zu gering. Aus einem Euro zusätzlicher Staatsnachfrage entsteht nur ein geringes Plus an privatem Konsum und Investitionen. Ein wichtiger Grund dafür könnte die Furcht vor Steuererhöhungen sein. Da die öffentliche Verschuldung wieder abgetragen wird, halten sich die privaten Haushalte mit zusätzlichen Ausgaben zurück. Auch der Investitionsmotor springt nicht richtig an; die Lage am Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Die Folge ist ein „beschäftigungsloser Aufschwung“, der lediglich einige Monate anhält. Vorstellbar wäre auch, dass der Staat selbst zur konjunkturellen Verlangsamung im nächsten Jahr beiträgt. Das Anspringen der Wirtschaft führt nach einiger Zeit zu einem kräftigen Treten auf die öffentliche Ausgabenbremse. Der Aufschwung könnte so (unfreiwillig) wieder abgewürgt werden. Ein weiterer Faktor mahnt ebenfalls zur Skepsis: die weitere Zurückbildung der globalen Ungleichgewichte. Kurzfristig dürfte dieser Prozess durch die stabilisierende Wirkung der Fiskalpakete gedämpft werden. Laufen die staatlichen Ausgabenprogramme aber aus, könnte das amerikanische Leistungsbilanzdefizit weiter schrumpfen. Die Weltwirtschaft und damit der Exportweltmeister Deutschland würden dadurch erneut stark unter Druck gesetzt werden.
Ob das Strohfeuerszenario tatsächlich eintritt, ist letzten Endes eine Glaubensfrage. Der Privatsektor mag etwa Steuererhöhungen befürchten – oder auch nicht. Eine auch nur grobe Quantifizierung von zukünftigen Multiplikatorwirkungen ist deshalb buchstäblich eine „Mission Impossible“.
Szenario 3: „L“
Das „L“-Szenario (Absturz ohne jegliche Erholung) ist zuletzt deutlich unwahrscheinlicher geworden. Dafür spricht vor allem die breit angelegte Verbesserung der Frühindikatoren weltweit. Gerade die exportorientierte deutsche Wirtschaft sollte davon nach der Sommerpause zumindest etwas profitieren. Hinzu kommen die bereits genannten Faktoren, wie eine Trendwende bei den Lagerbeständen und das Konjunkturpaket II.
Basisszenario: Langsame Erholung mit signifikanten Aufwärtsrisiken
Unser Basisszenario entspricht unverändert weder einem „V“ noch einem „W“. Vielmehr befindet sich die deutsche Wirtschaft derzeit in einem Übergangsstadium. Die „brutale Rezession“ mit einbrechenden Export- und Auftragszahlen gehört der Vergangenheit an. Die Rezession ist aber noch nicht beendet. Stattdessen hat sie „nur“ spürbar an Schärfe verloren. Das größte Hindernis für eine kräftige Konjunkturerholung nach der Sommerpause ist die sich abzeichnende Entwicklung am Arbeitsmarkt. Der äußerst starke Beschäftigungsabbau dürfte nämlich in den nächsten Monaten weitergehen – und dies trotz des Kurzarbeitergeldes, das als eine Art Airbag wirkt. Darauf weisen die jüngsten Beschäftigungspläne von Unternehmen hin (vgl. Grafik).
Hier war bis zuletzt keine Bodenbildung bei den Umfragen zu verzeichnen. Eine steigende Arbeitslosigkeit zieht einen Ausfall privater Nachfrage nach sich. Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung dürfte dadurch in den nächsten Monaten gedämpft werden. Eine solche Entwicklung ist zwar grundsätzlich nichts Außergewöhnliches. Der Arbeitsmarkt ist ein typisch nachlaufender Indikator, der in den vergangenen 40 Jahren kräftigen Erholungsphasen nicht im Wege stand.
Allerdings spricht der beispiellose Absturz der Beschäftigungspläne im Verarbeitenden Gewerbe für eine stärkere Belastung der privaten Nachfrage als in früheren Zyklen.
Das Fazit: Unser Basisszenario einer allmählichen Konjunkturerholung ab Herbst 2009 ist intakt. Ab diesem Zeitpunkt sollte die jetzt eingesetzte „weiche Rezession“ beendet sein. Im Anschluss dürfte die Gesamtwirtschaft dann wieder leicht wachsen. Es kann aber keinen Zweifel geben: Das Potenzial für positive Überraschungen hat in den letzten Wochen spürbar zugenommen. Sollte das Wachstum bereits wirklich nach der Sommerpause kräftig anziehen, ist die Gefahr eines Strohfeuers hoch. Über kurz oder lang werden nämlich die Privathaushalte in den USA ihre Verschuldung noch stärker abbauen müssen. Eine anhaltende Konsumzurückhaltung ist die Folge. Der positive Funke aus den staatlichen Ausgabenprogrammen könnte deshalb nicht dauerhaft auf die Weltwirtschaft überspringen.
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