Kommentar
10:43 Uhr, 03.12.2008

Deutschland: Arbeitsmarkt besser gerüstet für neue Herausforderungen

1. Mit den Reformen im Rahmen der „Agenda 2010“ wurden für die deutsche Wirtschaft Bedingungen geschaffen, die die hohe Regulierung auf dem Arbeitsmarkt zurückgeschraubt haben. Sicherlich sind diese Maßnahmen nicht die alleinige Ursache für den spürbaren Abbau an Arbeitslosigkeit und den Aufbau an Erwerbstätigkeit seit 2005. Die überaus erfreuliche Konjunkturentwicklung und die von den Tarifvertragsparteien maßvoll geführte Lohnpolitik haben zu dem Aufschwung am Arbeitsmarkt wesentlich beigetragen. Die Erfolge mündeten im Oktober/November 2008 in einen Rekordtiefstand von unter drei Millionen registrierten Arbeitslosen. Damit wurde der Aufwärtstrend der sich seit mehreren Jahrzehnten aufbauenden und immer wieder angestiegenen „Sockelarbeitslosigkeit“ gestoppt.

2. Mit Beginn des konjunkturellen Aufschwungs 2005 nahm auch die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland rasant an Fahrt auf. Während Restrukturierungsmaßnahmen in 2005 die Erwerbstätigkeit noch leicht sinken ließen, kam es 2006 und vor allem im Jahr 2007 zu einem massiven Aufbau von Erwerbstätigkeit. Diese Entwicklung setzte sich im Jahr 2008 fort und erreichte im Oktober mit nicht saisonbereinigt 40,9 Millionen Erwerbstätigen ihren vorläufigen Höhepunkt. Das sind rund 1 ½ % mehr als vor einem Jahr und gut 5 ¼ % mehr als im Jahresdurchschnitt 2003. Im ersten Schritt war vorwiegend die Deregulierung im Bereich der atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung) für diese Entwicklung verantwortlich. Die Vorlage hierzu kam vom Gesetzgeber: Mit Wirkung vom 1. Januar 2004 wurden die Befristungs-, Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbote sowie die Überlassungshöchstdauer von Leiharbeitern abgeschafft. Das erhöhte die Flexibilität bei Verträgen zwischen Verleihunternehmen und den ausleihenden Unternehmen. Den Personalabteilungen der Unternehmen wurde damit ein sehr anpassungsfähiges Instrument an die Hand gegeben, das gleichzeitig auch die Hemmschwelle beim Einsatz von Leiharbeitern verminderte. Die daraus resultierenden Konsequenzen werden durch die Statistik der Bundesagentur für Arbeit eindrucksvoll untermauert. Die Anzahl der Leiharbeitnehmer hat sich seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung bis Ende 2007 mehr als verdoppelt, von unter 400 Tausend auf knapp 800 Tausend Personen. Im Gegensatz zu typischen Arbeitsverhältnissen dürften jedoch Leiharbeitsverhältnisse eher instabil sein. Inwieweit vormals Arbeitslose Leiharbeit als Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung nutzen können, ist empirisch nicht nachweisbar. Die flexible Handhabung von Leiharbeit hat auch ihre Schattenseiten. Bei nachlassender Konjunktur und einem sich verfestigenden Abschwung gehören Leiharbeitnehmer zu den ersten Arbeitskräften, die in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.

3. Zu den erfreulichsten Ereignissen der vergangenen Jahre zählt der Aufbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. In den Jahren bis 2005 hatten die Unternehmen infolge der Herausforderungen durch die Globalisierung Umstrukturierungsmaßnahmen und Anpassungen durchgeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt wieder herzustellen. Dabei ging eine große Anzahl von regulären Arbeitsplätzen verloren. Von Mai 2001 bis Anfang 2006 wurden 1,9 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abgebaut. Mit Beginn des einsetzenden Aufschwungs wurde das daraus resultierende Defizit an Stammarbeitskräften zunächst mit atypisch Beschäftigten aufgefüllt. Mit zunehmender Dauer des Aufschwungs kehrte die Bereitschaft der Unternehmen zurück, wieder dauerhaft Personal auf Basis der Sozialversicherungspflicht einzustellen. Seit dem Tiefpunkt im Januar 2006 ist ein Gleichlauf beim Anstieg der Erwerbstätigkeit und der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung festzustellen. Der Wert des Hochpunkts der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung vom Mai 2001 ist aber nicht mehr erreicht worden. Dass es dazu oder gar zu einer Überschreitung dieses Werts kommt, ist aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung sehr unwahrscheinlich.

4. Trotz der Finanzmarktkrise und eines sich eintrübenden konjunkturellen Umfeldes entwickelte sich die registrierte Arbeitslosigkeit im laufenden Jahr ausgesprochen positiv. Zurzeit bildet der Arbeitsmarkt einen hellen Punkt an einem sich stark verdunkelnden Konjunkturhimmel. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland bildete sich spiegelbildlich zur Beschäftigung stark zurück. So unterschritt im Oktober 2008 die nicht saisonbereinigte Anzahl der registrierten Arbeitslosen erstmals seit November 1992 die Dreimillionen-Grenze. Die Arbeitslosen quote erreichte mit 7,2 % den niedrigsten Wert seit November 1991. Doch auch bei der Entwicklung der registrierten Arbeitslosigkeit gibt es Schatten, die erst beim Blick in die Details erkennbar sind. So ist es möglich, die Entwicklung an registrierter Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen des Sozialgesetzbuches (SGB) zu trennen. Diese Betrachtung legt offen, dass Arbeitslose mit geringerer schulischer Qualifikation und Langzeitarbeitslose von der Verbesserung nur unterproportional profitiert haben.

5. Mit der Fortdauer der Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft kommen schwierige Zeiten auf den Arbeitsmarkt zu. Die wirtschaftliche Lage wie auch die Erwartungen bezüglich der nächsten sechs Monate haben sich den Unternehmensumfragen zufolge stark eingetrübt. Die Einkaufsmanagerindizes und das ifo Geschäftsklima zeichnen ein trübes Bild der vor uns liegenden Konjunkturphase. Die Geschwindigkeit, mit der diese Befragungsindikatoren derzeit immer neue Tiefstände erreichen, ist beängstigend. Nachdem lange Zeit nur Positives vom Arbeitmarkt gemeldet wurde, dürfte sich hier mit einer gewissen Verzögerung ein Belastungsszenario für den Arbeitsmarkt entwickeln. Schon jetzt kündigen große Unternehmen Freischichten und Produktionsdrosselungen an. Dies heißt auch, geplante Investitionen werden hintan gestellt. Eigentlich geplante zusätzliche Kapazitäten, die nicht ausgelastet werden können, werden gar nicht erst entstehen. Wie bereits weiter oben angedeutet, dürften die ersten Verlierer dieser Entwicklung auf Seiten der atypischen Beschäftigung, d.h. im Bereich der Zeitarbeit, zu finden sein. Inwieweit die reguläre Beschäftigung in den Strudel der nach Süden gewendeten Konjunktur gerissen wird, ist schwer abzuschätzen. Auch wenn die Unternehmen mit Zeitarbeitskonten die Auswirkungen einer darbenden Konjunktur abfedern können, eine länger währende Rezession dürfte auch wieder in höhere Arbeitslosigkeit münden. Die Unternehmen werden jedoch versuchen, ihr fachlich erfahrenes und hoch qualifiziertes Personal so lange wie möglich auf ihrer Lohnliste zu halten. Denn sie haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass Fachkräfte immer knapper werden. Die demographische Entwicklung mit immer weniger jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt kommen, wird diese Tendenz noch verstärken. Zusätzlich kommt die Politik zur Hilfe: Mit der Verlängerung der maximalen Zahlungsdauer für Kurzarbeitergeld auf 18 Monate wurde ein Instrument geschaffen, das den Unternehmen und ihren Mitarbeitern zupass kommt. Dass auch die Tarifparteien gefordert sind, liegt auf der Hand. Die maßvollen Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre hatten einen maßgeblichen Einfluss auf die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Tarifverhandlungen in Zeiten einer Rezession verlangen sehr viel Fingerspitzengefühl – auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Denn zugleich sind die Realeinkommen der Arbeitnehmer in den letzten Jahren kaum oder überhaupt nicht angestiegen, was sich bremsend auf den privaten Konsum und damit auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt hat.

6. Die Aussichten für den deutschen Arbeitsmarkt für die kommenden beiden Jahre sind ernüchternd, aber nicht bedrohlich. Die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenzahl wird von gut 3 ¼ Millionen Arbeitslosen im Jahr 2008 auf gut 3 ½ Millionen im Jahr 2009 ansteigen, was einer jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenquote von 8,4 % entspricht (nach 7,8 % in 2008). Wir gehen davon aus, dass sich mit dem Ende der Hauspreisrückgänge in den USA im späteren Verlauf von 2009 die Verwerfungen an den Finanzmärkten langsam zurückbilden und ein Weg zur Normalisierung eingeschlagen wird, was wiederum den realwirtschaftlichen Perspektiven positive Nahrung gibt. Das sollte dazu führen, dass sich der Arbeitsmarkt im Jahr 2010 stabilisiert und die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote nur noch leicht, auf 8,6 %, ansteigen dürfte Bis dahin hat jedoch der deutsche Arbeitsmarkt im Zuge der Rezession noch eine längere Durststrecke vor sich.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen