Kommentar
08:24 Uhr, 18.03.2015

Deutsche Wirtschaft seit 1851: Braucht Europa einen neuen Marshall-Plan?

Deutschland hat alles andere als eine ruhige Geschichte hinter sich. Das zeigt sich natürlich auch in der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Aktienmarkt. Umso überraschender ist es, dass in Europa gleich zwei Fehler wiederholt werden, die zum Desaster geführt haben.

Deutschland hat alles andere als eine ruhige Geschichte hinter sich. Das zeigt sich natürlich auch in der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Aktienmarkt. Umso überraschender ist es, dass in Europa gleich zwei Fehler wiederholt werden, die zum Desaster geführt haben.

Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung eines Landes sagt schon fast alles. Ein Blick auf den ersten Chart und man weiß, wann es zu großen Verwerfungen gekommen ist. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg war mehr oder minder stabil. Die Zahlen darf man dabei allerdings nicht auf die Goldwaage legen. Zuverlässige Daten gibt es vor allem ab 1900. Davor gehen die Schätzungen etwas auseinander. Für das Jahr 1851 reichen die Schätzungen über das Bruttoinlandsprodukt von 10,4 bis 15,4 Mrd. Mark.

Welche Schätzung die richtige ist kann man schwer sagen. Im Großen und Ganzen zeigen sie jedoch eine ähnliche Entwicklung. Sie stimmen in den Wachstums- und Rezessionsphasen größtenteils überein. Das Ausgangsniveau ist lediglich ein anderes. Insgesamt zeigt sich in der Phase der Industrialisierung ein relativ stetiges Wachstum. Mit dem ersten Weltkrieg endete das abrupt.
Für die Zeit von 1900 bis 1960 lohnt sich ein Blick aufs Detail. Grafik 2 zeigt die Entwicklung der Wirtschaft in den drei dramatischsten Phasen des 20 Jahrhunderts. Der erste Weltkrieg führte zu einem Rückgang von ca. 30% des Volkseinkommens. Das Volkseinkommen entspricht nicht dem Bruttoinlandsprodukt. Um vom Bruttoinlandsprodukt zum Volkseinkommen zu gelangen, muss man noch die Nettoeinkünfte aus der übrigen Welt hinzuzählen, sowie Abschreibungen und Warensteuern bzw. Subventionen berücksichtigen. Die Tendenz von BIP und Volkseinkommen sind jedoch sehr ähnlich.

Nach dem Ersten Weltkrieg erholte sich die Wirtschaft langsam wieder. Wie zuverlässig die Zahlen wirklich sind, sei dahingestellt. Durch die Hyperinflation ist es sehr schwierig, eine punktgenaue Schätzung hinzubekommen. In der Tendenz kann man jedoch sagen, dass sich die Wirtschaft langsam wieder aufrappelte bis es zur Großen Depression kam. Diese ist zwar vor allem aus den USA bekannt, letztlich war es aber eine weltweite Wirtschaftskrise. Weltweit ging das BIP um geschätzte 15% zurück. In Deutschland und den USA lag der Rückgang bei ca. 40% bzw. bei 50%.

Wie Deutschland aus der Krise herauskam wissen wir alle. Wie es endete wissen wir auch. Über die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Kriegsjahren gibt es einige Unklarheiten. Die plausibelste Schätzung ist in Grafik 2 abgebildet. Für 1945 gibt es keine Zahlen. Die meisten Datenreihen beginnen erst wieder 1946 bis 1949. Ein Rückgang von 70% der Wirtschaftsleistung scheint trotz hoher Datenunsicherheit ziemlich realistisch. Vielleicht betrug der Rückgang auch 80% oder 60%. Man kann sich jedoch darüber einig sein, dass der Rückgang massiv war.

Ab 1950 folgten die Wirtschaftswunderjahre, die bis in die 80er Jahre hinein anhielten. Seitdem schwächt sich das Wachstum tendenziell ab. Vergleicht man die heutigen Wachstumsraten zur Zeit der industriellen Revolution, dann stehen wir mit Wachstumsraten von 2% in den 90er Jahren gar nicht so schlecht da. Aktien hat das geringere Wachstum nicht gestört. Die 90er Jahre waren sehr gute Aktienjahre. Insgesamt laufen Aktien und Wachstum parallel. Schrumpft die Wirtschaft verlieren auch Aktien. Obwohl beides Hand in Hand geht ist das Ausmaß unterschiedlich. Aktien können bei geringem Wachstum überproportional steigen oder bei überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum vergleichsweise wenig an Wert gewinnen (wie in den 70ern).

Was zeigt uns die Geschichte des Wirtschaftswachstums? Stabilität und Frieden sind die besten Konjunkturprogramme. Krieg ist absolut kontraproduktiv. Es wird immer wieder gerne die Theorie verbreitet, dass Aufrüstung und Krieg die Wirtschaft beleben. Das ist kurzfristig gesehen richtig. Langfristig verlangsamt es das Wachstum jedoch. Geld fließt in unproduktive Wirtschaftszweige statt in Infrastruktur, Bildung, Technologie etc. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich so einfache Erkenntnisse nicht durchsetzen. Die Krim mag strategisch noch so wichtig gewesen sein, dafür einen Krieg zu riskieren ist einfach nur dumm und ökonomisch gesehen vollkommen irrational. Russland senkt den Output der eigenen Wirtschaft auf Jahre hinaus.

Der direkte Effekt ist ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um ca. 140 Mrd. Zählt man den unterdurchschnittlichen Output der Folgejahre noch hinzu, dann ist man schnell bei 250 bis 300 Mrd. Das wiegt ggf. auch die Industrie der Ostukraine nicht auf. Von der Ukraine selbst muss man gar nicht reden. Das Land ist im Bürgerkrieg und wird wahrscheinlich um mehrere Jahrzehnte in der Entwicklung zurückgeworfen.

An anderer Stelle haben wir Griechenland. Wer weiß, vielleicht ist die Forderung nach Reparationszahlungen an Deutschland ein Versuch, die Folgen wirtschaftlicher Schocks in Erinnerung zu rufen. Griechenland ist absolut manövrierunfähig. Daran ändert auch die chaotische Regierung nichts. Man möchte zwar aus Prinzip auf die Einhaltung aller Vereinbarung pochen, wenn man sich die immer neuen Forderungen aus Griechenland anhört, aber letztlich bringt das wenig. Griechenland fehlt die Luft zum Atmen, durch die neue Regierung mehr als zuvor. Das muss sich ändern. Einer Gesellschaft kann man nicht beliebig viel zumuten. Das stärkt letztlich nur die politischen Extreme. Statt auf Verträge zu pochen müsste Europa endlich einen Marshall Plan aufstellen. Dafür hätte es bereits vier Jahre Zeit gehabt. Passiert ist nichts. Wenn es dann böse endet, darf man sich nicht wundern.

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12 Kommentare

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  • Chamäleon
    Chamäleon

    Tut mir Leid, ich kann es nicht mehr hören. Alle Welt will Griechenland helfen der eine so der andere so und andere wissen es noch besser, wie man den armen (reichen) Griechen hilft.

    Es ist unerträglich. Denn jeder Vorschlag der von außerhalb Griechenlands kommt, wird nicht akzeptiert. Er kann noch so gut sein. Die Griechen selber stellen - pardoxerweise - nur Forderungen oder wollen eine schmwerzfreie Lösung durchsetzen. Man sollte wissen, wer nicht geholfen werden will, dem kann man auch nicht helfen. Es sind die Griechen die aufstehen müssten und nicht der Rest der Welt. Wenn man sieht das alle griechischen Regierungen, ihre wenigen Leute - Oligarchen und Oberschicht - nur zu ihrer Steuerpflicht heranziehen würden, gäbe es dieses Problem gar nicht. Das diese Leute inzwischen Billionenbeträge im Ausland haben und das niemanden interessiert, kotzt einen an.

    Wieviel Spott wollen die Europäer noch von diesen Schmarotzern ertragen.

    Irgendwo ist nun mal schluss, je eher desto besser, weil am Ende billiger.

    10:40 Uhr, 18.03. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • S_o_r_o_s
    S_o_r_o_s

    "Statt auf Verträge zu pochen müsste Europa endlich einen Marshall Plan aufstellen."

    Falscher Ansatz!

    Was würde sich ändern?

    Würde Griechenland plötzlich anfangen, in Massen Audis, Volkswagen und Mercedes zu produzieren und damit ein grandioser Wirtschaftsaufschwung beginnen? Nein!

    Ein einziger Blick auf die griechische Wirtschaft genügt.

    http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/La...

    "Die griechische Wirtschaft ist geprägt durch kleine und mittelständische Betriebe; es gibt nur wenige Großunternehmen. Die Landwirtschaft, deren Anteil am BIP in den letzten Jahren stetig gesunken ist (2011: 2,75 Prozent), verzeichnet bei der Produktion und Verarbeitung von regionalen Produkten wie Olivenöl, Käse und Zuchtfisch wieder leichten Zuwachs. Ehemals traditionelle Produkte wie Tabak, Baumwolle und Zuckerrüben spielen kaum noch eine Rolle. Einen hohen Stellenwert im produzierenden Gewerbe haben pharmazeutische Produkte und Halbzeuge („Halbfabrikate“) aus Aluminium und Geräte zur Elektrizitätserzeugung. Einst starke Bereiche wie die Textilindustrie sind abgewandert.

    Die Regierung Samaras versucht durch Verbesserung der Investitionsbedingungen und Privatisierung von staatlichem Eigentum ausländisches Kapital nach Griechenland zu bringen. Weitere Strukturreformen sind beschlossen und werden durchgeführt, so vor allem der Abbau von bürokratischen Hemmnissen für die Exportwirtschaft und Erleichterungen bei Firmengründungen."

    Was wollen wir machen?

    Ihren Käse, Olivenöl und Zuchtfisch subventionieren, das ganze Gerödel kaufen und in die Ostsee kippen?

    Die Amis haben ihr Geld dadurch doppelt und dreifach zurückbezahlt bekommen, denn der Marshallplan war kein Wohlfahrtsprogramm, sondern ein knallhart durchkalkulierter Kredit. Zusätzlich hatte er geopolitische und geostrategische Bedeutung, man wollte halt Westeuropa zur Festung gegen die Russen ausbauen und dafür muss man zuallererst für Stabilität sorgen.

    Der MSP hatte nur einen geringen Einfluss auf das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre, hauptsächlich basierte dieser auf der Liberalisierungspolitik der europäischen Länder.

    So einen Plan braucht Griechenland nicht. Sollen sie doch erstmal ihre Staatsquote runterfahren, dann brauchen sie die Unternehmen nicht ausplündern, weil der Staat die ganzen Einnahmen auffrisst. Dann gehören den Gewerkschaften dort mal ordentlich die Flügel gestutzt, jede Woche ein anderer Streik oder Generalstreik, das muss auch aufhören.

    Die Gewerkschaften haben viel zu viel Macht, wer will den da ne Unternehmung gründen, wenn diese Typen einem sofort überall reinreden und die Pistole auf die Brust setzen (mit dem Gesetz im Rücken)

    10:26 Uhr, 18.03. 2015
  • Investor
    Investor

    Im Grunde gibt es 3 sich überlagernde Probleme

    - Demoskopie ... eine alternde Gesellschaft baut tendenziell eher Schulden ab. Sinkende Schulden bedeuten eine Bilanzrezession

    - Globalisierung ... Produktion wird in Niedriglohnländer verlagert und sorgt für niedrige Preise

    - Rohstoffe .... Rohstoffe werden momentan übererzeugt. Dies drückt auch auf die Preise

    Dazu kommt noch das Thema, daß Firmen ihre Packungspreise konstant halten und dafür die Mengen reduzierend. Dadurch werden die Preissteigerungen nicht durch die Statistik erfasst.

    Hohe Liquidität und niedrige Zinsen sind notwendig um gegen die Bilanzrezession gegen zu steuern. Dabei verhindern sie eine Bereinigung bei den Minen und verhindern einen Anstieg der Rohstoffkosten. Solange in den EM "unendlich" viele niedrige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen bleiben die Lohnkosten ww niedrig.

    In diesem Umfeld würde ein Marschallplan eher noch die globale Überproduktion verstärken und eine Rezession auslösen. Aus meiner Sicht ist die einzige Chance die Nachfrage durch Abwurf von Euro/Steuerreduzierungen o.ä. zu steigern. Abstimmung innerhalb der G20 ist notwendig, da die Strategie von EU, USA, Japan und EMs getragen werden müssen. Ein europ.Marschallplan würde nur dafür sorgen, daß die Arbeitslosigkeit sich besser in Europa verteilen würde indem sich die Arbeitslosigkeit in Südeuropa reduziert und in D zunnehmen würde

    10:02 Uhr, 18.03. 2015
  • Senator73
    Senator73

    Sehr geehrter Herr Schmale,

    vielen Dank für diesen Artikel. Im übrigen: ich lese ihre Artikel allgemein sehr gerne.

    Ein kleiner Hinweis sei mir dennoch erlaubt. Stellenweise liest sich das ganze so, als würden wirtschaftliche Verwerfungen mehr oder weniger zwangsläufig in kriegerischen Auseinandersetzungen enden. Auch wenn das nicht unplausibel klingt, ist gerade der zweite Weltkrieg ein Beispiel dafür, dass eine Vielzahl von Gründen angeführt werden können, letztlich aber der unbedingte Kriegswille der NSDAP ausschlaggebend war. Das Drohszenario, welches sie entwerfen ist sicherlich zulässig, aber eben trotz allem nicht zwingend.

    Ich bin allerdings auch für eine geordnete Förderung in Griechenland, um dort Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Ihren Satz man könne einer Gesellschaft nicht beliebig viel zumuten, kann man nicht deutlich genug unterstreichen.

    Zu guter letzt noch ein Zitat von dem kürzlich verstorbenen Terry Pratchett. Der schrieb einmal: "And all those exclamation marks, you notice? Five?A sure sign of someone who wears his underpants on his head" (@bembes)

    Mehr sind sicherlich nicht besser ;)

    09:48 Uhr, 18.03. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • schimpanse69
    schimpanse69

    Anstatt Rettungsschirm, Notkredite und Geldschwemme alles in Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur, Technologieaustausch, Industrialisierung, usw. in allen europäischen Ländern zu investieren - die Bereitschaft (insbesondere der Deutschen) wäre sicherlich um einiges höher.

    09:39 Uhr, 18.03. 2015
  • Henry Philippson
    Henry Philippson

    Guter Artikel! Marshall Plan ist mit Sicherheit ein besserer Ansatz als die EZB-Geldschwemme. Man kann nicht alle exisierenden realwirtschaftlichen Probleme mit geldpolitischen Mitteln lösen. Wann wacht man in Berlin und Brüssel auf?

    08:54 Uhr, 18.03. 2015
  • bembes
    bembes

    Gerrne einen Marshall Plan, den Deutschland dann mit Geld füttert. Alles wird gut !!!!!!!!!!!!!!!

    08:45 Uhr, 18.03. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

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