Kommentar
16:24 Uhr, 12.12.2008

Deutsche Vorsicht oder Vertrauen in angelsächsische Konjunkturpakete?

Der massive Einbruch des S&P 500 Aktienindex, den wir in diesem Jahr erlebt haben, ist der dramatischste seit 1931 und damit ein nahezu einmaliges Ereignis. Dennoch müssen wir weiterhin mit Volatilitäten auf bisher noch nie da gewesenem Niveau rechnen. Die Weltwirtschaft hat sich während der vergangenen Jahre grundlegend verändert: Wir leben nunmehr in einer vollständig globalisierten Welt, in der sich Informationen in Sekundenschnelle über den gesamten Erdball verbreiten. Niemals zuvor war die Wirtschaftsdynamik an allen Märkten mehr oder weniger gleich ausgeprägt und niemals zuvor konnten Millionen von Anlegern in der ganzen Welt zeitgleich dieselben Handelsabschlüsse verfolgen. Es liegt daher nahe, dass die Statistiken der Vergangenheit uns nur wenig Orientierungshilfe für die Zukunft bieten.

Während der vergangenen zehn Jahre sahen sich Investoren immer wieder so genannten „Once in a lifetime“-Ereignissen gegenüber. So hat sich der europäische Aktienmarkt in diesem Zeitraum zunächst verdoppelt, dann halbiert, dann wieder verdoppelt und schließlich wieder halbiert. Die ersten Anzeichen machten sich bereits 1998 mit dem Zusammenbruch des ehemals hoch angesehenen LTCM-Hedgefonds bemerkbar. Auslöser waren eine Reihe unvorhersehbarer Ereignisse, die Statistiken zum Trotz dennoch eintraten. Überdies treibt auch der enorm gestiegene Einsatz von Derivaten die Volatilität an, auch wenn dadurch ursprünglich das Gegenteil erreicht werden sollte.

Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen wir auch in den kommenden Jahren mit außergewöhnlichen Vorkommnissen an den Finanzmärkten rechnen. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise, die sich möglicherweise als eine der schwersten Rezessionen seit 1945 entpuppen wird, wird nahezu zwangsläufig – früher oder später – zu heftigen Schwankungen am Markt führen. Auch wenn diese Schwankungen positive Impulse bieten, bestehen weiterhin deutliche Risiken.

Dazu zählt auch die generelle Unsicherheit im Hinblick auf die weiteren finanzpolitischen Maßnahmen. Mit ihrem tatkräftigen Eingreifen gelang es Zentralbanken und Regierungen weltweit, einen Kollaps des globalen Finanzsystems abzuwenden. Dafür muss man dankbar sein. Die wenigen Kritiker dieser Maßnahmen, die sich hie und da zu Worte melden, sollten sich das klar vor Augen führen. Hätte man das Bankensystem sich selbst überlassen, dann hätte die enorme Sogwirkung die gesamte Weltwirtschaft erfasst. Eine Depression wie in 1930er Jahren wäre unausweichlich gewesen.

Nachdem das Finanzsystem nun das Gröbste überstanden zu haben scheint, schnüren die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen bereits Maßnahmenpakete zur Bekämpfung der Rezession. Hier mutet es eher seltsam an, dass die Länder mit den größten Haushaltsdefiziten, wie die USA und Großbritannien, die umfangreichsten staatlichen Konjunkturprogramme angekündigt haben, während Länder mit ausgeglichenem Haushalt, wie beispielsweise die Bundesrepublik, weitaus konservativer vorgehen. In gewisser Weise ist dieses Verhalten durch die Vergangenheit bedingt. Die Amerikaner fürchten eine Wiederholung der Großen Depression, während den Deutschen geradezu genetisch die Angst vor einer Hyperinflation wie Anfang der Zwanziger Jahre im Nacken sitzt. Verständlich ist auch, dass die Amerikaner die Fehler der Japaner aus den 1990er Jahren nicht wiederholen wollen. Daher pumpt die US-Regierung massiv Cash in die Wirtschaft, so dass die Gefahr einer anhaltenden Rezession tatsächlich gesunken ist. Aber auch diese Vorgehensweise ist nicht ganz risikolos. Die Weltwirtschaft muss zu einem Gleichgewicht zurückfinden und das bedeutet, dass die US-amerikanischen Verbraucher das Sparen lernen müssen. Hier mag ein enormes Rettungspaket zwar kurzfristig Erleichterung schaffen. Es vermittelt den Amerikanern allerdings nicht die Einsicht, dass sie ihr Verhalten ändern müssen. Sofern diese Rezession künstlich unterdrückt wird, können die Marktkräfte nicht wirklich austariert werden. Damit würden bereits die Weichen für die nächste Blase gestellt, wie z.B. eine nachfragegetriebene Rohstoffblase mit dem entsprechenden Inflationsdruck.

Es heißt also abwarten. Investoren sind in diesen turbulenten Zeiten gut beraten, wenn sie – bildlich gesprochen – auf zwei Pferde setzen. Sofern die amerikanischen Rettungsaktionen schnelle Erleichterung bringen, werden Käufer von Aktien und Unternehmensanleihen belohnt. Sollte sich hingegen deutsche Vorsicht als die erfolgreichere Strategie erweisen, lohnt sich das Engagement in langfristigen Staatsanleihen. Bis auf weiteres sollte daher ein ausgewogenes Portfolio beide Asset-Klassen enthalten.

Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

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