Kommentar
11:54 Uhr, 16.02.2006

Derivate im Maßanzug – Wunsch nach maßgeschneiderten Produkten bei Privatanlegern nimmt zu

Getreu dem Motto „Und täglich grüßt das Murmeltier“ prangen dem Anleger mittlerweile Tag für Tag Werbeanzeigen für neuemittierte Derivate entgegen. Egal ob in der Wirtschaftszeitung, am Flughafen-Gate oder im Nachrichtenmagazin – die Emittenten rühren kräftig die Werbetrommel für ihre strukturierten Produkte. So unterschiedlich auch die jeweilige Namensgebung ist, betrachtet man die Ausgestaltungsmerkmale einmal genauer, ist die Einzigartigkeit schnell vorbei. Gerade bei den strukturierten Anleihen, also Produkten, deren Rückzahlung fast immer an die Entwicklung eines Aktienkorbs oder verschiedener Indizes gebunden ist, unterscheiden sich die einzelnen Emissionen oft nur noch um Nuancen. Die Masse der Emittenten bewegt sich bei den Terms seit einiger Zeit fast parallel, oftmals sind selbst die Swap-Partner identisch. Mit Swaps reichen die Emittenten dass, aus der Derivate-Emission entstandene, Risiko (z.B. 20% der Wertentwicklung eines Aktienkorbs bezahlen zu müssen) einfach an andere Banken (Swap-Partner) weiter. Insbesondere erfahrene Privatanleger bemängeln mittlerweile häufig, dass aus den unzähligen Emissionen von Zertifikaten, Aktienanleihen und Warrants eine gewisse Trivialität entstanden ist. Investoren, die vorrangig konkrete Risiken aus bestehenden Portfolios absichern möchten, bleiben häufig auf der Strecke. „Versierte Privatanleger haben Appetit auf Individualität bei der Anlage in strukturierte Produkte bekommen“ bringt es ein Frankfurter Asset-Manager auf den Punkt. Neben den klassischen Privatkunden haben auch kleinere Vermögensverwalter und sog. „Family Offices“ verstärkten Bedarf nach exklusiven Derivaten. „Derartige Dienstleistungen im gehobenen Private Banking sind für jedes Institut von Bedeutung. Fokussiert man künftig eine etwas breitere Zielgruppe als bisher, ist das sicherlich ein sehr interessantes Wachstumsfeld“ lautet das Fazit des Vermögensverwalters.

Im Lager der Banken prüft man derzeit vereinzelte Alternativen zum Derivate-Massengeschäft. Die Emittenten suchen in diesem Zusammenhang auch nach neuen Möglichkeiten, ihr bisheriges Platzierungsrisiko bei den Retail-Emissionen senken. So scheint es, dass zur Zeit einige Emittenten ihre schlechtlaufenden Emissionen nur über exzellente Gewinne aus Rohstoffderivaten am Leben erhalten können. „Die momentanen Absatzzahlen bei Retail-Derivaten sind sicherlich sehr gemischt. Unter Umständen, wird schon mal mehr auf das Bankbuch genommen als überhaupt an Kunden verkauft“ heisst es von einem Emittenten. Flops bei Derivate-Emissionen will sich kein Institut leisten. Daher sind mehr denn je, an den Handelstischen quer durch alle europäischen Finanzplätze, planbare Absatzzahlen hochwillkommen.

Doch wie kann Individualität mit planbaren Absatzzahlen – sprich Kundenwunsch und Emittentenwunsch – sinnvoll vereint werden? Das Rezept hierfür scheint einfach zu sein: In der Mode werden die persönlichen Kundenwünsche bereits seit Jahrhunderten mit passgenauer Masskonfektion erfüllt. Bei individuellen Finanzprodukten steht die Bankenzunft leider noch am Beginn, wenn auch der Anfang bereits gemacht ist. Kunden der UBS können sich beispielsweise schon heute via Internet ihre persönlichen Discount- und Rolling-Discount-Zertifikate strukturieren. Auswahl, Umsetzung und Abwicklung sind straff automatisiert. Innerhalb einer Woche bekommt der Kunde sein individuelles Derivat mit eigener ISIN ins Depot gebucht. Die Abnahme durch den Kunden ist quasi garantiert, schliesslich hat er sich sein Zertifikat selbst „modelliert“. Momentan beträgt die Mindestanlagesumme für diese individuellen Zertifikate 50.000 Euro. Deutlich mehr müssen Privatanleger derzeit noch bei der Societe Generale (SG) auf den Tisch legen, um ein massgeschneidertes Derivat zu bekommen: Ab 500.000 Euro legt das Spezialisten-Team der SG hier los. Im Fachjargon werden derartige Geschäfte als „Private Placements“ bezeichnet. Das Interesse an dieser Form von erstklassiger Wertpapierkonfektion ist bei vielen Privatkunden überraschend hoch. Gerne möchte offenbar so mancher professionelle Derivate-Anleger den „Einheitsbrei“ gegen ein „á-la-carte Menü“ tauschen. Bislang war diese Art von individueller Vermögensarchitektur aber lediglich einem kleinen Segment von gut betuchten Privatinvestoren vorbehalten. Die astronomischen Mindestanlagesummen verschreckten fast alle privaten Interessenten. Doch durch eine rasante Automatisierung von bislang kostenintensiven Verwaltungs- und Abwicklungsprozessen, erwarten Branchenkenner auf absehbare Zeit sinkende Mindestanlagesummen. Damit verbunden wird von einem deutlich gesteigerten Kundenpotential ausgegangen. Triebfeder für die Verschlankung und Automatisierung im Derivategeschäft sind derzeit vorrangig angelsächsische Investmentbanken. „Vielleicht sind in zwei Jahren massgeschneiderte Derivate schon ab 15.000 Euro möglich“ blickt ein Londoner Händler in die Zukunft.

Daneben gibt es in der Finanzbranche erste Bestrebungen, auch für das klassische Retail-Publikum individuellere Produktkombinationen anzubieten. Auch Kleinanleger sollen in Zukunft einen Hauch von Exklusivität geniessen können. Das Prinzip hier, heisst „Baukasten-Modell“. In der Praxis bedeutet dies, der Privatanleger kann zukünftig aus vordefinierten Underlyings und Ausstattungsmerkmalen wählen und sich mit wenigen Mausklicks sein ganz persönliches Derivat erschaffen - passgenau für die jeweiligen Markterwartungen bzw. Hedgingstrategien. Die Einstiegshürde beim Baukasten-Prinzip wird deutlich niedriger angesiedelt als beim echten Private Placement. Die Mindestanlagesumme richtet sich in erster Linie danach, wieviele spezifische Merkmale ausgewählt werden können. Aus Sicht der Emittenten handelt es sich hierbei – pragmatisch formuliert – um eine Erweiterung ihrer Online-Brokerage Software. Die technische Umsetzung des Baukasten-Prinzips ist nach Branchenangaben theoretisch innerhalb weniger Monate realisierbar.

Einziger Nachteil, der auch den beiden Arten von individuellen Derivaten erhalten bleibt, ist die mathematische Bewertung. Denn um die jeweiligen Produkte tatsächlich beurteilen zu können, sind äusserst komplexe Bewertungsmodelle notwendig. Nur wer über diese verfügt und sicher mit solchen Formeln umgeht, kann tatsächlich beurteilen, ob die angebotenen Preise fair sind und wie die Produkte auf die verschiedenen, preisbestimmenden Parameter wirklich reagieren. Angesichts professioneller Klientel und starken Wettbewerbsdrucks bei den Emittenten, ist derartiges Schummeln aber unrealistisch.

Wann erste Emittenten mit preiswerter Masskonfektion auf Marketingfeldzug gehen, ist nur eine Frage der Zeit. Bis dahin müssen sich auch semi-professionelle Privatanleger noch im klassischen Retail-Geschäft tümmeln und werden bei der morgendlichen Zeitungslektüre wieder vom „Goldminen-Zertifikat“ und „Global Metal & Mining-Zertifikat“ begrüsst.

Quelle: www.boerse-go.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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