Kommentar
12:12 Uhr, 16.09.2011

Der Reiz des Rettens

John Maynard Keynes, zweifellos einer der größten und auch umstrittensten Ökonomen aller Zeiten, ist auch der Urvater des modernen Interventionismus.

Notfalls muss der Staat Löcher graben lassen und sie wieder zuschütten lassen, schlug der Brite vor. Hauptsache es fließt dabei frisches Geld, das über Multiplikatoreffekte die Wirtschaft ankurbelt.

Sicherlich ist jedes Kind in der Lage, die inhaltliche Sinnlosigkeit einer solchen Operation zu verstehen. 100%ig ernst meine Keynes seinen Vorschlag denn auch nicht, wohl aber favorisierte er staatlich finanzierte Ausgaben in Abschwungzeiten notfalls auf Pump ("deficit spending"), wobei er dem Staat empfahl, in guten Zeiten zu sparen. Diesen Punkt vergessen seine Jünger aus der Politik heute gerne, sie ziehen es vor in guten Zeiten Schulden zu machen und in schlechten noch mehr.

Der Reiz des Keynesianismus ist offensichtlich. Er wirkt! Ganz ohne Zweifel steigt die Wirtschaftsleistung durch Staatsausgaben kurzfristig an. Auf den Einwand, dass dies eben nur kurzfristig der Fall sei, entgegnete Keynes mit seinem berühmtesten Spruch: "In the long run, we're all dead." Das klingt smart, aber es ist auch verräterisch. Es ist eine euphemistische Umschreibung für: Nach mir die Sintflut.

Der moderne Interventionsimus der Zentralbanken ist letztlich auch eine Spielart von Keynes. Es geht immer um frisches Geld, das in den "Kreislauf gepumpt" wird, und es geht um eine kurzfristige Sichtweise. Dass damit auf lange Sicht das gesamte System gefährdet wird und zudem die Menschen auf amoralische Weise teilenteignet werden, tritt in den Hintergrund. Ökonomisch ausgedrückt: Der "Grenznutzen" einer weiteren Infusion ist in der Regel höher als der "Grenzschaden". Anders herum formuliert: Der Schaden einer unterlassenen Intervention erscheint höher als ihre Kosten. Damit kann man jede weitere Intervention rechtfertigen, denn wenn sie ausbleibt wird alles noch schlimmer.

Und so ist es auch mit den Rettungspaketen. Bei jeder einzelnen Maßnahme wird doch so argumentiert: Was kostet uns dieses Paket? Was passiert, wenn wir das Paket nicht verabschieden?

Besonders schwierig ist die Diskussion für Gegner der Rettungspakete in Deutschland. Denn es ist Fakt, dass die Euro-Krise Deutschland bisher nichts gekostet hat. Tatsächlich ist das außerordentlich niedrige deutsche Zinsniveau zum Teil sogar eine Folge der Krise. Deswegen werden wir im Ausland sogar als Krisenprofiteure bezeichnet.

Dafür laden wir uns aber Risiken ins Buch, die so hoch sind, dass man sie kaum noch in sinnvolle Relationen rücken kann. Das ist so, wie wenn Sie als Trader 10 Jahre lang jedes Jahr Gewinne machen und genau wissen, dass Sie im elften Jahr eine Abschreibung vornehmen müssen, die doppelt so hoch ist wie die kumulierten Gewinne der zehn Jahre davor.
Jeder der Entscheider weiß das und hofft natürlich, dass sich die Risiken erst in ferner Zukunft materialisieren.

Nach dem Motto: In the long run, we are all pleite! Also lassen wir die Kurzfrist-Party weiterlaufen.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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