Kommentar
09:53 Uhr, 24.02.2016

Der neue Boom der negativen Zinsen

  • Die Zinsen können auch im Negativbereich stärker gesenkt werden als viele denken.
  • Bargeld muss nicht abgeschafft werden, um die Zinsen unter null zu bringen. Es gibt aber andere unerwünschte Nebenwirkungen.
  • Paradox: Negative Zinsen werden je tiefer je mehr das Wachstum nicht stimulieren, sondern bremsen.

Die Weltwirtschaft befindet sich in der schlimmsten Situa­tion, die wir uns in den letzten Jahren immer vorgestellt ha­ben. Das Wachstum schwächt sich ab, es droht eine Rezes­sion – gleichzeitig hat die Wirtschafts- und Währungspolitik aber keine Munition, um gegenzusteuern. Die Zinsen sind bereits bei null, die Staatsverschuldung ist so groß, dass keynesianisches Deficit Spending nicht mehr funktioniert.

Eigentlich müsste die Politik jetzt tieftraurig sein. Vor allem bei den Zentralbanken rächt sich, dass sie die Zinsen in den letzten Jahren nicht rechtzeitig erhöht haben, um wieder handlungsfähig zu werden. Aber von Reue ist nichts zu spü­ren. Im Gegenteil, sie haben ein neues Instrument entdeckt: Negative Zinsen. Früher dachte man immer, Zinsen könnten nicht unter null fallen ("Zero Bound"). Negative Zinsen seien nicht nur unsinnig, sondern in der Realität auch nicht durch­setzbar. Wer bezahlt schon dafür, dass er jemanden ande­rem Geld leiht?

Jetzt plötzlich scheint sich alles geändert zu haben. Negati­ve Zinsen sind en vogue. Zuerst fingen die Schweiz, Däne­mark und Schweden damit an. Das waren noch kleinere Länder, die man nicht so auf dem Radarschirm hatte. Dann kam im letzten Jahr die EZB dazu. Zuletzt hat vor vier Wo­chen Japan negative Zinsen auf Zentralbankeinlagen einge­führt. Das war der Durchbruch. Negative Zinsen gelten seit­dem nicht mehr als Tabu. Sie scheinen den Zentralbanken ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Aber wie tragfähig ist das neue Instrument? Wie weit kön­nen die Zinsen im Negativbereich sinken? Derzeit sind die Sätze noch relativ unscheinbar. Die Schweiz liegt mit minus 0,75 % an der Spitze, die EZB mit minus 0,3 % in der Mitte und Japan mit minus 0,1 % am unteren Ende. Die Zentral­banken selbst geben keine Grenze für negative Zinsen an. Die EZB erklärt, es gebe kein Limit für ihre expansive Geld­politik. Sie könne die Krise so lange bekämpfen, wie es nö­tig sei. Aber das muss sie natürlich sagen.

»Die Konjunktur wird durch die negativen Zinsen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr angeregt, sondern gebremst.«

Der Münchner Professor Sinn vertritt die Gegenposition. Für ihn haben die negativen Zinsen bereits das Niveau erreicht, das nicht mehr unterschritten werden kann. Die Grenzen sind für ihn die Tresorkosten zum Aufbewahren von Bar­geld. Er beziffert sie mit 0,3 %. Wenn die Zinsen darunter fallen, dann werden die Menschen den Banken kein Geld mehr geben, sondern alle Einlagen in Bargeld tauschen und es in den Tresor legen.

Das leuchtet auf den ersten Blick ein. Es ist aber auch nicht richtig. Die Kosten eines Übergangs zu Bargeld sind näm­lich viel höher. Banken, Unternehmen und Privatleute brau­chen nicht nur Tresore. Sie benötigen auch Arbeiter und Fahrzeuge, um das Geld bei Überweisungen zu transportie­ren. Dazu kommen Maschinen, um das Geld zu zählen. Es ist teuer, die Löhne in den Unternehmen in bar auszuzah­len. Das Kassieren im Einzelhandel wird umständlicher. Die ganze monetäre Infrastruktur muss umgebaut werden. Das kostet sicher mehr als 0,3 %.

Die Zinsen können also noch deutlich weiter nach unten ge­hen, bevor eine stärkere Rückkehr zur Bargeldwirtschaft droht. Bargeld muss nicht – wie gesagt wird – abgeschafft werden, um die Zinsen weiter zu senken.

Aber es gibt andere Grenzen für negative Zinsen. Eine be­trifft die Banken. Sie haben höhere Kosten. Eine Zeitlang können sie das durch eine Verringerung der Marge auffan­gen. Irgendwann müssen sie die Kosten aber auf die Kun­den überwälzen. Diese werden daraufhin ihre Bankgeschäf­te einschränken, indem sie sie vielleicht zu Fintechs oder ins Ausland verlagern. Damit schrumpft nicht nur die Marge. Auch die Erträge der Banken gehen zurück.

Das ist misslich gerade in einer Zeit, in der die Banken oh­nehin geschwächt sind. Es wurde deshalb vorgeschla­gen, ein Stufenmodell für negative Zinsen einzuführen: Nur ge­ringe Sätze für die unbedingt notwendigen Reserven und steigende Sätze für Überschussreserven. Das hilft den Ban­ken, schwächt andererseits aber die Wirkung negativer Zin­sen. Es ist wie in dem berühmten Spruch: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Eine andere Nebenwirkung ergibt sich aus der Realwirt­schaft. Negative Zinsen beschränken sich ja nicht nur auf das Verhältnis von Zentralbank und Banken. Sie sollen bei Unternehmen und Privatleuten ankommen. Dort führen sie zu vielen Dingen, die man nicht unbedingt haben muss. Die Schulden steigen, die Altersvorsorge verringert sich, die Ri­sikoneigung auf den Kapitalmärkten erhöht sich und vieles andere mehr. Eine Zeitlang kann man das hinnehmen (und hat es auch schon getan). Aber irgendwann kommt der Punkt, wo das nicht mehr geht.

Volkswirtschaftlich führt das am Ende zu einem interessan­ten Ergebnis: Die Konjunktur wird durch die negativen Zin­sen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr angeregt, son­dern gebremst. Das ist paradox: Zu niedrige Zinsen (im ne­gativen Bereich) wirken genauso wie zu hohe Zinsen. Sie senken das Wachstum. Natürlich gibt es hier keine feste Grenze. Bei minus 0,3 % wird noch nichts zu merken sein. Aber je tiefer es geht, umso gefährlicher wird es.

Für den Anleger

Gehen Sie davon aus, dass die Zentralbanken in Europa und Japan angesichts der drohenden Wachstumsschwäche die Zinsen noch weiter senken werden. Die Banken werden das auf die Kunden überwälzen. Negative Zinsen sind gut für alle, die Kredit aufnehmen wollen. Aktien- und Renten­märkte werden sie zuerst auch begrüßen. Aber die Eupho­rie wird nur kurzlebig sein. Je länger der Zustand anhält und je tiefer die Zinsen sinken, umso mehr werden negative Ne­benwirkungen auch an den Märkten spürbar werden.

1 Kommentar

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  • xarcox
    xarcox

    Mit Volldampf gegen die Wand.Das gibt noch ein böses Ende..Das machen doch nur Idioten - geben anderen Geld und bezahlen noch dafür.

    11:35 Uhr, 24.02.2016