Der Kreis schließt sich
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Externe Quelle: UniCredit
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat diese Woche eine äußerst nachdenkliche und interessante Rede in London gehalten, in der er genau darlegte, wie die EZB den komplexen Herausforderungen im Zuge der gegenwärtigen Krise begegnet. Der Rede kommt besondere Bedeutung zu, da die EZB von vielen Marktbeobachtern dafür kritisiert wurde, dass sie mit ihrer Geldpolitik bereits "hinter die Kurve zurückgefallen sei“. Trichet hob die Argumente für maßvolle geldpolitische Maßnahmen hervor – vor allem wie wichtig es ist, dass die EZB die Glaubwürdigkeit ihrer Anti-Inflations-Politik aufrechterhält. Dieser Punkt wird ebenfalls durch die Bank of England in ihrem jüngst veröffentlichten Protokoll ins Feld geführt. Die lebhafteste und wohl wichtigste Stellungnahme Trichets kam allerdings in der Fragerunde, als er auf das Deflationsrisiko angesprochen wurde. Er vertrat die Auffassung, dass sich der Kreis nun schließe, und es genau die Angst vor einer Deflation war, die den vorherigen exzessiven geldpolitischen Lockerungszyklus nährte. So lange sei das noch gar nicht her. Er führte aus, dass das letzte Mal, als Märkte und Analysten sich um eine mögliche Deflation Sorgen machten, die Geldpolitik tatsächlich damit begann, eine gefährliche Vermögenspreisblase zu alimentieren. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass der dramatische Talfahrt der Weltwirtschaft eine aggressivere geldpolitische Reaktion erforderlich macht, die jedoch, wenn sich die Wirtschaft erst einmal erholt und die Inflation wieder steigt, genauso schnell wieder rückgängig gemacht werden muss. Während die Fed eine solche Einstellung bereits recht früh signalisiert hat, ist es nach wie vor unklar, ob sich die EZB dem anschließen wird. EZB-Mitglied Bini Smaghi monierte jüngst, eine derartige Vorgehensweise würde der weniger elastischen Struktur im Euroraum nicht zuträglich sein. Dagegen schien EZBMitglied Weber am Donnerstag eher der Fed zuzuneigen. Trichets Aussage, die derzeitige Krise solle uns an die wichtige Bedeutung maßvoller und überlegter geldpolitischer Reaktionen erinnern, ist jedenfalls nicht so leicht von der Hand zu weisen. Unser Fazit: Wir rechnen nach wie vor mit einer Zinssenkung Anfang Dezember um 50 Basispunkte und unser Ziel für den Refisatz lautet unverändert 2,0%. Nachdem aber die Schweizer Nationalbank am Donnerstag die Zinsen überraschend um 100 Basispunkte gesenkt hat, sehen wir allerdings wachsende Risiken für einen Zinsschritt um 75 Basispunkte durch die EZB.
Zu Beginn seiner Rede stellte Trichet die geldpolitische Strategie der EZB in den Kontext wirtschaftswissenschaftlicher theoretischer Schriften und empirischer Untersuchungen, nach denen die beste geldpolitische Wirkung nicht durch überraschende Aktionen erzielt wird, sondern durch eine transparente Kommunikation in Bezug auf die Ziele sowie den Rahmen und die Strategie, mit deren Hilfe sie erreicht werden soll. Nach Aussage Trichets haben verschiedene Studien gezeigt, dass ein Inflationsziel stabilere Inflationserwartungen bewirkt, die weniger anfällig für makroökonomische Schocks sind. Im Euroraum liegen die Konsenserwartungen für die langfristige Inflation seit der Einführung der Einheitswährung im Jahr 1999 stabil zwischen 1,7% und 2,0%. Dies ist ein eindrucksvoller Beweis für den Ankereffekt eines numerischen Inflationsziels in Kombination mit einer glaubwürdigen geldpolitischen Umsetzung.
In diesem Zusammenhang stellte Trichet fest, das die marktbasierten Barometer für die Inflationserwartungen vergangenen Sommer im Zuge des Rohstoffpreisschocks zunächst deutlich vom Inflationsziel abwichen, anschließend jedoch wieder unter Kontrolle gebracht wurden. Damit deutete er an, dass die Zinsstraffung im Juli erforderlich war, um einen unkontrollierten Anstieg der Inflationserwartungen mit anschließenden Zweitrundeneffekten zu verhindern. Trichet betonte, dass eine eindeutige Kommunikation maßgeblich dafür ist, die Märkte und Wirtschaftsakteure dabei zu unterstützen, temporäre Preisschocks von tatsächlichen Veränderungen des geldpolitischen Kurses unterscheiden zu können. Dadurch würde der Bedarf an drastischeren geldpolitischen Veränderungen reduziert werden, die in der Vergangenheit erforderlich waren, um ungerechtfertige Veränderungen der Inflationserwartungen im Zuge von „Fehleinschätzungen“ zu korrigieren.
In diesem Zusammenhang hob Trichet die wichtige Rolle der monatlichen Pressekonferenz hervor, die sich seiner Ansicht nach gegenüber dem zu veröffentlichenden Protokoll durch ihre größere Aktualität auszeichnet und der Presse die Möglichkeit gibt, klärende Fragen zur Einstellung der Zentralbank zu stellen. Wie Trichet feststellte, hat die geldpolitische Sitzung der EZB für den Markt an Bedeutung verloren, da die Entscheidungen der Bank auf Sicht von einem Monat mittlerweile gut vorhersehbar sind. Im Gegensatz zu der Zinsentscheidung hat die Pressekonferenz weiterhin Einfluss auf den Markt. Im Kern bedeutet diese Aussage, dass die EZB mit den monatlichen Pressekonferenzen in der Lage ist, ihre Schritte jeden Monat vorab anzukündigen, ohne sich im Voraus definitiv festzulegen. So haben die Pressekonferenzen oftmals stark informativen Charakter, was dem Markt dabei hilft, die EZB-Einschätzung des aktuellen wirtschaftlichen und finanziellen Hintergrunds sowie ihre Absichten zu verstehen. Anders als andere Notenbanken legt die EZB in ihren Pressekonferenzen und Protokollen nicht offen, wie die einzelnen Ratsmitglieder abgestimmt haben. Laut Aussage Trichets hat dies den einfachen institutionellen Grund, dass die Entscheidungen der Vorsitzenden der nationalen Notenbanken unter nationalen Gesichtspunkten betrachtet werden könnten, sprich unter Berücksichtigung nationaler Sorgen und Prioritäten, während die Ratsmitglieder doch in einem EWU-weiten Kontext denken und abstimmen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Bekanntgabe des genauen Abstimmungsverhaltens die Wahrnehmung der EZB als echte EWU-Institution unterminieren könnte.
In Zeiten erhöhter Unsicherheit, wie wir sie derzeit erleben, ist Kommunikation von größter Bedeutung. Diesbezüglich geht die EZB nach Aussage Trichets zweigeteilt vor:
– Erstens werden schnelle und entschiedene Maßnahmen an den Geldmärkten ergriffen, um sicherzustellen, dass der geldpolitische Transmissionskanal intakt bleibt.
– Zweitens wird ein maßvoller Ansatz verfolgt, um die geldpolitische Positionierung mit Blick auf die mittelfristigen Perspektiven zu überprüfen.
Das Inflationsziel selbst hat eine große Signalwirkung. Ein Vergleich der EZB-Prognosen mit dem Zielwert für die Inflation ist ein guter Indikator für die weitere Entwicklung der Leitzinsen. Trichet hat den Unterschied zwischen Liquiditätsinterventionen und der eigentlichen Geldpolitik herausgestellt – ein Unterschied, der ein wichtiger Grundsatz der Philosophie zum Umgang mit der Krise geworden ist. Er betonte ebenfalls, dass die Reaktion der Geldpolitik maßvoll und mit Blick auf die mittelfristigen Ziele gestaltet werden muss. Dies ist ein kontroverser Punkt. Für ein maßvolles Vorgehen spricht ganz offensichtlich, dass sich Wirtschaftstrends naturgemäß relativ träge entwickeln, und dass in einem von Unsicherheit und verzögerter Datenverfügbarkeit geprägten Umfeld eine allmähliche Anpassung der Geldpolitik erfolgen sollte, um so die mittelfristigen Ziele zu erreichen. Dadurch dürfte das Risiko umgangen werden, dass die Geldpolitik in einer Überreaktion auf sich ändernde makroökonomische Daten zu wechselhaft gestaltet wird und damit auch zu einer unnötig hohen Volatilität in der Realwirtschaft beiträgt. Allerdings hat die rapide und deutliche Verschlechterung der Makrodaten in den letzten Monaten gezeigt, dass sich Veränderungen innerhalb der Realwirtschaft durchaus auch sehr schnell manifestieren können. Aufgrund der verzögerten Wirkung geldpolitischer Entscheidungen spricht dies unseres Erachtens für eine entschiedene und nicht für eine maßvolle geldpolitische Reaktion. Ein solcher Ansatz wird von der Bank of England verfolgt. Im dem Protokoll zur letzten BoESitzung, die am gleichen Tag wie das EZB-Treffen stattfand, steht zu lesen, dass „… der Ausschuss bereit sein sollte, unter den gegebenen Umständen entschlossen zu handeln“, wobei mit den gegebenen Umständen ein deutlicher Rückgang der Wachstums- und Inflationserwartungen vor dem Hintergrund der schwersten Bankenkrise des Jahrhunderts gemeint ist. Während die EZB die Zinszügel um 50 Basispunkte lockerte, entschied sich die BoE für eine Senkung um 150 Basispunkte.
Das Protokoll zur BoE-Sitzung zeigt auch, wie wichtig es ist, die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels zu wahren. Der geldpolitische Ausschuss (MPC) war der Meinung, dass zwar für ein Erreichen des mittelfristigen Inflationsziels eine Zinssenkung um mehr als 200 Basispunkte erforderlich sei, war sich gleichzeitig aber darüber im Klaren, dass eine derart starke Lockerung Zweifel an der Ausrichtung des MPC auf mittelfristige Preisstabilität aufkommen lassen könnte. Eine teilweise Verschiebung der nötigen Zinssenkung würde es dem MPC ermöglichen, die Marktreaktion auf das in jedem Fall unerwartet entschlossene Eingreifen zu bewerten, die veränderte Sichtweise hinsichtlich des Inflationsausblicks im Rahmen des Inflationsberichts darzulegen, die Entwicklung der Fiskalpolitik und auch der Kreditmärkte zu verfolgen und mit weiteren Zinssenkungen für Vertrauen zu sorgen, falls sich die Wirtschaft noch stärker abschwächen sollte.
Geht die EZB in der gegenwärtigen Situation entschieden genug vor? Bewahrheitet sich unsere Prognose einer weiteren Zinssenkung um 50 Basispunkte im Dezember, so bedeutet dies eine Zinslockerung um 150 Basispunkte innerhalb von zwei Monaten – Fortsetzung vermutlich im nächsten Jahr! Gemessen an der EZB-Politik der Vergangenheit kann dieses Vorgehen sicherlich als entschieden bezeichnet werden, wenngleich Fed und BoE natürlich aggressiver auf den Plan getreten sind. Die EZB-Performance wird auch durch die Zinserhöhung im Juli etwas verwässert, wobei wir allerdings einräumen, dass es zum damaligen Zeitpunkt für die EZB äußerst schwierig war, eine Einschätzung zu treffen. Letztlich durchlebte damals der Öl-preis eine Blase. Aber wie bei den meisten Blasen kam es schließlich zu einer reihenweisen Kapitulation von Analysten und Marktteilnehmern, und es bedurfte einer immer größeren Überzeugung, die Annahme, dass es sich um eine Blase handelt, als Entscheidungsgrundlage zu nehmen. Die EZB musste schließlich entscheiden, ob sie das Risiko eingeht, dass die Inflationserwartungen durch den offenbar unaufhörlich steigenden Ölpreis immer weiter in die Höhe getrieben werden, oder ob sie die Gefahr in Kauf nimmt, dass eine Straffung der Geldpolitik den bereits bedenklichen Wachstumsausblick noch weiter belastet. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies zum damaligen Zeitpunkt die falsche Entscheidung war, halte der EZB jedoch zugute, dass sie es schwer hatte.
Von BoE und EZB sind sicherlich weitere Zinssenkungen zu erwarten. Trichet hat die Bedeutung der Reden einzelner EZB-Ratsmitgliedern betont, da diese nach seiner Auffassung dazu beitragen, die Position des Gesamtrats in ausgearbeiteter Weise nach außen zu tragen. Einige Ratsmitglieder haben sich dies offenbar zu Herzen genommen und relativ deutlich auf eine weitere anstehende Zinslockerung hingewiesen. EZB-Ratsmitglied Tumpel-Gugerell hat eingeräumt, dass wir uns mitten in einem deutlichen Konjunkturabschwung befinden, was laut ihrer Aussage „Grund zur Sorge“ ist. Ihr Ratskollege Ordonez hat in einer Rede vor dem spanischen Senat hervorgehoben, dass die Krise den Inflationsausblick drastisch verändert hat, denn der globale Rezessionstrend dürfte einen signifikanten Rückgang der Inflationsraten nach sich ziehen. Die plötzliche Eintrübung des Wachstumsausblicks für Deutschland, die durch den unerwartet deutlichen Rückgang des realen BIP um 0,5% im dritten Quartal eindrücklich unter Beweis gestellt wurde, spielte sicherlich eine Rolle im Hinblick auf die Revision der Wachstumsperspektiven für den Euroraum insgesamt. Beatrice Weder di Mauro, Mitglied des Sachverständigenrats, dem obersten volkswirtschaftlichen Beraterkreis in der Bundesrepublik, schließt zum jetzigen Zeitpunkt für 2009 sogar eine Kontraktion um 1% nicht aus.
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