Kommentar
12:23 Uhr, 27.10.2015

Der Druck hält an – Ausfälle in den EMs nur eine Frage der Zeit?

Es ist schon eine Weile her, seit der argentinische Peso kollabierte und der IWF Brasilien mit einem Rettungspaket aus der Schuldenkrise helfen musste. Das war 2002, in der Endphase jener Krise, die fünf Jahre zuvor in Asien ihren Anfang genommen hatte. Die Ähnlichkeiten mit der aktuellen Emerging-Markets-Krise sind unübersehbar: rapide sinkendes Wachstum, Währungen im freien Fall, wachsende politische Risiken und Brasilien erneut im Zentrum des Sturms. Doch es gibt auch ebenso offensichtliche Unterschiede. In den Jahren 1997 bis 2002 kämpften zahlreiche Länder mit Zahlungsbilanzproblemen, Banken implodierten. Der IWF musste regelmäßig eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Die aktuellen Wachstumsprobleme erscheinen mindestens genauso gravierend, doch bislang sind die Systeme von Erschütterungen verschont geblieben. Trotz erheblichem Druck an den Märkten und hohem Kreditwachstum in den letzten Jahren ist es bisher nicht zu größeren Ausfällen gekommen. Ist das ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit oder war der Druck bis jetzt einfach noch nicht groß genug?

Diese Frage ist gerade im aktuellen Marktumfeld von entscheidender Bedeutung. Nachdem sie in den vergangenen vier Jahren im Durchschnitt um die 40 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen sind, haben die EM-Währungen bereits viele Probleme eingepreist. So auch die Aktienmärkte: In den letzten fünf Jahren sind EM-Aktien um bis zu 60 Prozentpunkte hinter ihren Pendants von den entwickelten Märkten zurückgeblieben.

Gegen Ende des Sommers waren nahezu alle professionellen Investoren auf noch mehr Trübsal an den Emerging Markets eingestimmt. Dies galt umso mehr, als die Mini-Abwertung des Renminbi neue Sorgen im Hinblick auf die Wirtschaftsentwicklung in China entfachte. Doch gleichzeitig erholte sich – nach einem acht Monate andauernden Abwärtstrend – allmählich das durchschnittliche Wachstumstempo. Hinzu kommt, dass die Fed die Zinsen im September unangetastet ließ. All diese Faktoren haben in den letzten Wochen eine deutliche Erholung an den Emerging Markets angestoßen: bei Aktien, Währungen und Anleihen.

Das erklärt zwar die seit Kurzem steigenden Kurse. Doch ist dies eine nur vorübergehende Verschnaufpause oder der Beginn einer strukturellen Erholung? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst anschauen, warum die aktuelle Krise bislang keine größeren Opfer gefordert hat. Gelangt man zu dem Schluss, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften diesmal stark genug sind, um größere Pleiten oder Bankenkrisen abzuwenden, dann könnte dies durchaus den Beginn eines neuen Wachstumsschubs markieren. In diesem Fall waren die Korrekturen bei Devisen und Zinsen in den letzten Jahren wohl ausreichend, um die gröbsten Ungleichgewichte abzufedern.

Doch es gibt drei gute Gründe, warum es bloß eine Frage der Zeit ist, bevor sich in den Schwellenländern mit den schwächsten Fundamentaldaten größere Probleme abzeichnen:

• erstens das langsamere Wachstum der chinesischen Wirtschaft, das keine Erholung bei Rohstoffpreisen und Welthandel erwarten lässt;
• zweitens die Normalisierung der US-Zinspolitik, die den Kapitalfluss in die Emerging Markets hemmt.
• und drittens vor allem das übermäßige Kreditwachstum, das insbesondere nach 2008 in weiten Teilen der aufstrebenden Volkswirtschaften stattgefunden hat.

Im Zuge der aktuellen Markterholung werden diese Probleme eher ignoriert. Doch das heißt nicht, dass es sie nicht mehr gibt.

Autor: Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Markets-Stratege bei NN Investment Partners, Den Haag

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