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23:21 Uhr, 12.04.2013

Den Ernstfall kann sich keiner ernsthaft wünschen

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Die USA sind die einzige Nation, die Geld „machen“, anstatt es zu verdienen. Make Money gibt es nur in den USA, alle anderen Nationen verdienen es, in Italien heißt es „guadagnare soldi“, in Frankreich „gagner de l'argent“, was sich mit „Geld erlangen“ übersetzen lässt. Aber nur die Amerikaner „machen“ das Geld einfach, wenn sie arbeiten gehen. War dies früher noch Ausdruck des Schwungs, mit dem die pragmatischen Amerikaner zur größten Weltmacht der Moderne aufstiegen, hat das Geldmachen in Zeiten expansiver Geldpolitik und exzessiven Schuldenauftürmens einen faden Beigeschmack bekommen.

Bevor ich zu Gold und zu den Gründen komme, warum es meiner Meinung nach fällt, möchte ich zunächst betonen, dass alles, was ich im Folgenden schreiben werde, nicht beeinflusst, dass Gold weiterhin als Geld anzusehen ist. Physische Besitzer von Gold, die es als Versicherung gegen einen Schwarzen Schwan halten – ein unvorhergesehenes negatives Ereignis – sollten sich ohnehin nicht von volatilen Preisveränderungen beeinflussen lassen. Schwarze Schwäne sind nicht vorhersehbar, das liegt in ihrer Natur. Wer aber seinen Goldbesitz von der Preisentwicklung abhängig macht oder den Schwankungen des Goldpreises mit taktischem Trading begegnet, sollte aufmerksam verfolgen, was an den Märkten gerade passiert.

Seit Beginn der Krise vor fünf Jahren wuchsen die Staatsschulden weltweit um mehr als 25 Billionen USD. Mit dieser Geschwindigkeit kann und darf die Verschuldung nicht weiter gehen. Eine Studie der Research-Abteilung der Société Générale (SG Research) geht davon aus, dass ein Höhepunkt in der Entwicklung der Staatsschulden erreicht wurde – und auch deshalb das Gold beginnt, zu korrigieren.

Jetzt höre ich oft das Argument: Die Euro-Schuldenkrise ist längst nicht vorbei. Das ist korrekt. Wer aber erst verkauft, wenn die Krise vorüber ist, der wird garantiert ein Problem haben: Die Märkte antizipieren frühzeitig; genau wie ein Reh im Wald drohende Gefahr mit feinem Gespür wittert und blitzschnell die Flucht ergreift. Auch das Geld bringt sich immer extrem schnell in Sicherheit, wenn Gefahr droht. Dieses Spiel erleben wir ja innerhalb der Eurozone seit einiger Zeit aus nächster Nähe.

Sämtliche geld- und fiskalpolitischen, aber auch einige wirtschaftspolitische Maßnahmen etwa auf der Seite der strengeren Regulierung von Banken dienten in den fünf Jahren seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers vorwiegend einem Ziel: Der Beherrschung der Krise. Es waren Notfallhilfen. Die Renditen der Staatsschulden schossen in den südeuropäischen Ländern nach oben, also hat die EZB mit Notfallhilfsprogrammen dagegengehalten, sonst wären die Staaten auseinandergebrochen. In den USA half die Federal Reserve dem Finanzsektor mit massiver Liquidität. Und jetzt beruhigt sich die Situation zunehmend. Sie normalisiert sich. Der Staub legt sich. Wir sehen wieder mehr, es gibt wieder etwas bessere Planungssicherheit. Und die Märkte spielen ein Szenario durch: Nämlich jenes, dass es jetzt ans Aufräumen gehen wird. Und dass damit ein Weg beschritten werden kann, für den es noch nicht zu spät ist: Nämlich ein Weg hin zu Schuldenabbau und zur Reform der Sozialsysteme und Rentenkassen. Das sind die zwei ganz großen Aufgaben, denen sich die Staaten stellen müssen, wenn wir nicht wieder in die nächste große – und dann sehr wahrscheinlich nicht mehr beherrschbare – Krise zurückzufallen wollen.

Es ist eine Tatsache: Ein großer Teil der Schulden wird niemals wieder geordnet zurückgezahlt werden. Unsere Politiker müssten sich eigentlich einmal hinstellen, und uns das offen ins Gesicht sagen.

In den vergangenen 30 Jahren vergrößerten sich die Schulden des Privatsektors und der öffentlichen Haushalte der Industrieländer von 180% auf 320% des BIPs. Die Regierungen der westlichen Länder haben ihre Schulden in dieser Zeit laut Angaben der Boston Consulting Group (BCG) vervierfacht, die Nichtfinanzunternehmen verdreifacht und die privaten Haushalte versechsfacht. Alleine in den vergangenen fünf Jahren der Krise kamen weitere 25 Billionen USD an Staatsschulden hinzu. Diese Schuldenlast haben jetzt meine Generation – die der 30-Jährigen – und die Generationen nach mir zu tragen. Selbst wenn es heute eine bahnbrechende Innovation geben würde, die die Volkswirtschaften kräftig nach vorne bringt, müssten große Teile des damit geschaffenen Wohlstands für den Schuldendienst aufgewendet werden. Doch eines ist klar: Die Volkswirtschaften der überschuldeten Regierungen können nicht mehr so wachsen, wie sie wollen. Sie werden ausgebremst.

Grundsätzlich habe ich kein Problem mit Schulden. Der Leverage-Effekt ist etwas Gutes. Allerdings haben wir in den vergangenen Jahrzehnten, in denen es mit kurzen Unterbrechungen wirtschaftlich immer besser ging, einen immer größeren Teil der Kredite genutzt, um damit zu zocken, etwa in Immobilien oder Aktien, und wir haben zugelassen, dass die Finanzierungen selbst immer spekulativer wurden. Die konservative Finanzierung, bei der feststeht, dass der Kreditnehmer tilgen und Zinsen zahlen kann, ist eine Seltenheit geworden. Die spekulative Finanzierung, wo der Kredit laufend gerollt werden muss, während nur der Zins bezahlt wird, ist allgegenwärtig. Und immer mehr wird eine Ponzi-Finanzierung zum Normalmaß der Dinge, wie Studien der Boston Consulting Group zeigen. Bei der Ponzi-Finanzierung steht fest, dass weder Zins noch Tilgung aus den Einnahmen des Kreditnehmers finanziert werden können. Dabei hat man ausschließlich darauf gewettet, dass der finanzierte Vermögenswert, etwa ein Haus, in seinem Wert schneller steigen würde als die Kreditkosten.

Unsere Gesellschaft hat also ein Modell adaptiert, bei dem wir kollektiv auf einen „nächsten Käufer“ hofften, der einen höheren Preis zu zahlen bereit ist. Wenn wir in den fünf Jahren seit Beginn der Krise eines gelernt haben, ist es die unumstößliche Tatsache, dass es diesen nächsten Käufer inzwischen nicht mehr gibt. Die Schlussfolgerung daraus: Wir sind jetzt mit unseren Problemen allein.

Das Spiel ist vorbei. Unsere Politiker sollten offen zugeben, dass ein großer Teil der Schulden niemals in einer konventionellen Art und Weise zurückbezahlt werden kann. Jede Gesellschaftsschicht muss dafür bluten, schreibt die BCG, und ich kann mich dieser These nur anschließen. Die wohlhabenden Gesellschaftsschichten werden höhere Abgaben leisten müssen, die Angestellten und Arbeiter müssen länger arbeiten und mehr von ihrem Geld sparen, die Sozialausgaben der Regierungen müssen sinken. Der Staatsapparat ist zu groß geworden, der Ökonom Max Otte spricht von einer "parasitären Kaste", die deutlich kleiner und effizienter werden muss. Und weil wir heute in einer globalisierten Welt leben, schwappen unsere Probleme auch auf die Schwellenländer über, die sich darauf einstellen müssen, weniger exportieren zu können. Sie müssen einen Ausgleich schaffen, indem sie ihren Binnenkonsum fördern.

Welche Gesellschaftsschicht einen wie hohen Anteil der Belastungen tragen muss und wer davon profitiert – das ist Gegenstand von massiven Umwälzungen in der Politik und der Gesellschaft. Und dieser Prozess wird erst einmal weiterlaufen, denn obwohl schon fünf Jahre seit Ausbruch der Krise vergangen sind – ist der Entschuldungsprozess noch nicht einmal in Ansätzen angelaufen. Alle Maßnahmen dienten bislang dem Ziel, die Krise zu beruhigen. Richtig schmerzhaft werden erst die kommenden Jahre werden, wenn die Schulden in den westlichen Industrieländern abgebaut werden müssen. Laut BCG-Untersuchungen handelt es sich um unvorstellbare 11.000 Milliarden USD in den USA und 7.400 Milliarden EUR in Europa. Könnte uns jemand diese Schulden abnehmen, dann könnten die Volkswirtschaften wieder aufatmen und wachsen. Bis es soweit ist, wird es keine großen Sprünge beim Wachstum der Industrieländer geben.

Wir haben jetzt, wo die Märkte normalisieren, die Chance, aufzuräumen. Wir sollten diese Chance nicht verspielen. Denn niemand kann ernsthaft wollen, dass die Ernstfall-Versicherung Gold ausbezahlt werden wird.

Photo By Willip Von Ree / Flickr

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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