Kommentar
14:38 Uhr, 07.08.2014

Delistings - die kalte Enteignung

Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil im November 2013 einen Reigen von Börsenrückzügen im Nebenwerte-Bereich eingeleitet. Das hat nun Konsequenzen für die Aktienkultur.

Erwähnte Instrumente

  • MK-Kliniken AG
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  • Schuler AG
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Es ist schon eine Weile her, aber so langsam schlägt das BGH-Urteil mit aller Macht durch.

Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten AG können im Alleingang das Ende der Börsennotiz einleiten - ohne formal die Aktionäre zu fragen. Und ohne Übernahme/Abfindungsangebot.

Rund 20 Unternehmen haben bereits ein Delisting (Rückzug von der Börse) angekündigt und lassen dabei ratlose und wohl auch verzweifelte Aktionäre zurück. Darunter sind auch durchaus bekannte Namen wie Strabag, Marseille-Klinken, Magix und Schuler.

Noch vor 12 Jahren sah die Welt ganz anders aus. Im berühmt gewordenen “Macroton-Urteil” hatte der BGH 2002 entschieden, dass vor einem Delisting erstens die Hauptversammlung zustimmen und zweitens den Minderheitsaktionären ein Barabfindungsangebot unterbreitet werden muss. Die Richter waren damals zu Recht der Meinung, dass die weitere Verkehrsfähigkeit einer bereits gehandelten Aktie ein wesentliches, schützenswertes Gut ist.

Nun aber die Kehrtwende: Der BGH näherte sich damit der Meinung des Bundesverfassungsgerichts vom Jahr 2012 an, wonach die Handelbarkeit einer Aktie prinzipiell nichts mit den damit zusammenhängenden Eigentumsrechten zu tun habe und die Börsennotiz damit nicht vom Eigentumsschutz des Grundgesetzes erfasst sei.

Dies ist auch formal zunächst nicht zu beanstanden: Schließlich existieren Stimmrecht und Gewinnbeteiligung unabhängig von der Börsennotiz. Man kann auch als Argument anführen, dass ja der überwältigende Anteil aller AGs nie börsennotiert war und dennoch die Eigentumsrechte gewahrt waren. Aber mit diesem Gedankengang laufen die Richter ins Leere und beweisen damit mangelndes Fachwissen und Weltfremdheit - auf Kosten der Anleger, die ohnehin in Deutschland der Aktie nicht über den Weg trauen.

Wenn die Richter z.B. in der Urteils-Begründung schreiben, es lasse sich gar nicht nachweisen, dass bereits die Ankündigung des Delistings zu einem Kursverlust führe, sich dabei aber auf vergangene Zeiten beziehen, in denen die Anleger ja immer mit einer Abfindung rechnen konnten und genau deswegen der Kurs nicht unter Druck kam, so ist das schon fast als peinlich zu bezeichnen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es eine Reihe von Anteilseignern gibt, die schlicht verkaufen müssen - und zwar in den 6 Monaten, die ihnen nach der Ankündigung des Delistings bis zum endgültigen Ende der Handelbarkeit verbleiben. So z.B. Publikums-Fonds, die keine Wertpapiere halten dürfen, die nicht handelbar sind.

Das ist sozusagen die Galgenfrist - aber kann überhaupt noch ein “marktgerechter Preis” zustandekommen, wenn jeder Käufer weiß, dass es bald keine Börsennotiz mehr gibt? Wer kommt denn überhaupt noch als Käufer in Frage?

Großaktionäre, denen die Börsen-Notiz egal ist!

Und die dankend die Hand aufhalten, wenn der Streubesitz in Panik verkauft - wohl wissend, dass sie die wohl einzigen Käufer sein werden...hier ist sogar denkbar, dass es sich um eine strafbare Marktmanipulation gemäß Wertpapierhandelsgesetz handeln könnte. Schließlich ist nicht viel Fantasie nötig um sich vorzustellen, dass ein großer Aktionär - über den von ihm bestimmten Aufsichtsrat - Einfluss auf den Vorstand nimmt, um eine ihm genehme Entscheidung herbeizuführen.

Hier ist dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf vorhanden. Wirtschaftsminister Gabriel braucht über die Neubelebung des “Neuen Marktes” gar nicht nachdenken, so lange diese international bereits belächelte Situation nicht im Sinne der Stabilisierung der Aktienkultur behoben wird.

Daniel Kühn

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11 Kommentare

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  • Caromande
    Caromande

    Gibt es Quellen, in denen Unternehmen gelistet sind, die ein Verfahren zum Delisting betreiben oder bei denen ein Delisting unmittelbar bevorsteht?

    Lassen sich nach jetzigem Kenntnisstand Unternehmen zuordnen, die ein Delisting betreiben wollen, z.B. nach diesen Kriterien

    a) solche, deren Aktien in der oberen Preisklasse liegen (100 Euro bis weit darüber)?

    b) solche deren Aktien in der mittleren Peisklasse liegen (sagen wir mal 20-100 Euro)?

    c) oder Penny Stocks?

    Vielen Dank für hilfreiche Antworten im Voraus ....

    17:27 Uhr, 11.05.2015
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Freier Finanzjournalist

    Ich sehe das anders. Zumindest eine Freiverkehrsnotiz kriegen auch Kleinstunternehmen dauerhaft hin. Quartalsberichte sind nur im regulierten Markt nötig.
    Die Kostenargumente sind oft Ausreden. Jeder, der eine ordentliche Buchführung hat, kann auch Zahlen veröffentlichen. Veröffentlichungen sind zudem in der Regel gar nicht notizgebunden. Zur HV einladen z.B. muss ich auch ohne Börsennotiz.

    Der entscheidende Faktor ist: Wenn ich mich für die Notiz entscheide und dann auch Geld an der Börse einsammele, dann kann ich nicht danach sagen: Mission erfüllt, wir brauchen euch nicht mehr...

    12:17 Uhr, 07.08.2014
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Ich kann delistings für kleinere Firmen gut verstehen. Die Kosten eines Börsenlistings (zB Quartalsberichte, Veröffentlichungen im Bundesanzeiger usw) sind nicht unerheblich und sind für kleinere Firmen nur schwer zu rechtfertigen, speziell wenn das Unternehmen wenige große Anleger hat.

    Wo ich mir schwer tue, ist die Entscheidung des BGH zu verstehen. Wünschenswert wäre es für Aktionäre mit einen Anteil von weniger als 5, 10 oder 25% eine Verpflichtung der Firma zu etablieren, die Kleinaktionäre mit einem mittleren Kurs - gebildet aus den letzten Monaten - anzubieten. Ähnlich wie bei einer Übernahme.

    Aber ich tue mir auch schwer mit Aktienrückkaufsprogrammen. Eigentlich wird zwar der Aktienkurs gestützt aber gleichzeitig die Aktionärsbasis reduziert. Konsequent zu Ende gedacht, wenn alle Aktien am Markt aufgekauft sind, gehört dann die Firma den Managern über deren Optionsrechte bzw wenigen Anlegern.

    Beides delistings und Aktienrückkäufe stellt eine Umverteilung zu Ungunsten der Kleinanleger dar. Wenn die Beträge, die für Rückkäufe verwendet würden, als Dividenden ausgeschüttet würden, dann würde dies den Kurs mindestens ähnlich unterstützen - würde aber alle Aktionäre gleich behandeln.

    11:49 Uhr, 07.08.2014
  • Reflexion
    Reflexion

    Der Dilettantismus ist doch mittlerweile Standard in Politik und Justiz.

    07:42 Uhr, 07.08.2014
  • moneymaker22
    moneymaker22

    Das wäre ja nun auch noch schöner wenn in Deutschland Hochbezahlte Angestellte (Vorstand) die Eigentümer (Aktionäre) fragen müssten wie sie mit mit deren Eigentum verfahren und dann auch noch eine Abfindung für den entstandenen Verlust bezahlen sollen. Nein das geht nun wirklich zu weit. (Zynismus Ende)

    06:51 Uhr, 07.08.2014
  • 280a
    280a

    Riesensauerei! Danke für den Artikel!

    20:00 Uhr, 06.08.2014
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Freier Finanzjournalist

    Hallo

    Mir bekannt sind folgende, ohne anspruch auf Vollständigkeit:

    Strabag, Marseille, Travel Viva, Hahn Immobilien, Franconofurt, Magix, Cycos, VSM, Elexis, OMS, Informica, Schuler, Biolitec, Schlossgarten Bau, CD Deutsche Eigenheim, AGO Energie, Swarco

    Das sind zum Teil sehr kleine Werte, andere aber auch größer.

    Ich könnte mir vorstellen, dass noch etliche in Kürze folgen, da der Gesetzgeber eigentlich um eine baldige Regelung nicht herumkommt. Insofern müssen diejengen, die so agieren wollen, rasch handeln.

    18:49 Uhr, 06.08.2014
  • 123ok
    123ok

    Sehr geehrter Herr Kühn,

    es wäre sehr schön und hilfreich gewesen, wenn Sie in Ihren Artikel die ca. 20 Firmen

    die schon einen Antrag auf Delisting gestellt haben, namentlich aufgeführt hätten.

    Mit besten Gruß

    18:09 Uhr, 06.08.2014
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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