Kommentar
11:14 Uhr, 27.06.2003

DEKA - Investmentfokus

An den Renten- und Aktienmärkten geschieht zur Zeit zumindest auf den ersten Blick Sonderbares: In beiden Märkten steigen die Kurse. Der S&P 500-Aktienmarktindex ist im Jahresvergleich um 20 % gestiegen, gleichzeitig sind die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen in den USA zwischenzeitlich auf ein Rekordtief von 3,1 % gefallen. Auch in Europa war diese Entwicklung zu beobachten: So überschritt der DAX die 3000-Punkte-Marke und die Renditen zehnjähriger Bunds fielen auf ein Rekordtief von 3,46 %. Das statistische Muster einer negativen Korrelation zwischen Aktien- und Rentenkursen scheint damit gebrochen zu sein.

Eine parallele Entwicklung der Aktienund Rentenkurse ist nichts Neues

Niedrige Zinsen senken die Finanzierungskosten der Unternehmen und machen Investitionen rentabler. Aber momentan scheint diese Parallelentwicklung dennoch paradox: Die Investoren an den Rentenmärkten scheinen einen, gemessen am starken Potenzialwachstum der USA, zu zögerlichen Aufschwung zu fürchten. Die Investoren an den Aktienmärkten scheinen dagegen zu glauben, dass konjunkturell das Schlimmste vorbei sei. Unterschiedliche Sichtweisen resultieren aus Prognoseunsicherheit Die unterschiedliche Sicht der Aktien- und Rentenmärkte resultiert wohl aus der anhaltenden Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung. Aktienanalysten weisen zurecht auf steigende Unternehmensgewinne, fiskalpolitische Stimuli in den USA, die extrem expansive US-Geldpolitik, die militärischen Erfolge im Irak, niedrigere Ölpreise, die niedrigeren Volatilitäten und ein kontinuierlich hohes Produktivitätswachstum hin. Die Grundlagen für einen nichtinflationären Aufschwung und damit ein Anziehen der Unternehmensgewinne sollten damit gelegt sein. Rentenmarktanalysten weisen dagegen ebenfalls zurecht auf die Schwierigkeiten hin, die die Geldpolitik bei der Stimulierung der Unternehmensinvestitionen hat, die Rekordniveaus der privaten Verschuldung, die den Konsum belasten könnte, die Fragilität der ausländischen Portfolioinvestitionen, die den US-Dollar weiter schwächen könnte, die anhaltende konjunkturelle Schwäche Eurolands und Japans, sowie die im historischen Vergleich relativ hohen Bewertungsrelationen des US-Aktienmarktes.

Schlüssel für Parallelentwicklung bei den Notenbanken

Bei den Notenbanken liegt vielleicht der Schlüssel für die gleichzeitige Rallye an Aktien- und Bondmärkten: Die US-Rentenmärkte können sicher sein, dass von Seiten der Fed keine Gefahren für die Kurse bestehen. Die niedrigeren Zinsen senken den Diskontfaktor für die zukünftig erwarteten Gewinne der Unternehmen. Höhere erwartete Gewinne treiben aber wiederum die Aktienmärkte an. Die Märkte scheinen somit von einer neuen Reaktion der USGeldpolitik auf Deflationsängste auszugehen, indem sie eine aggressiv-expansive Geldpolitik der US-Notenbank antizipieren. Werden die Renditen langfristiger Staatsanleihen in erster Linie durch die Inflationserwartungen und die Leitzinsen bestimmt, so kann der Renditerückgang an den USMärkten nur durch Zinssenkungserwartungen herbeigeführt worden sein, da die Inflationserwartungen erstaunlich stabil sind. Zinssenkungserwartungen herrschen auch in Euroland vor: Der EZB kann man sicher einen gewissen Attentismus bei Zinssenkungen vorwerfen, allerdings hat auch sie bei ihrem Zinsentscheid im Mai eindeutig signalisiert, dass sie Deflationsängsten durch Zinssenkungen zuvorkommen will, was sie dann im Juni mit einem Zinsschritt von 50 Basispunkten auch getan hat.

Keine Korrektur der Rentenmärkte in naher Zukunft

Welcher Markt hat letztendlich recht? Die Erfahrungen Japans in den 14 Jahren nach dem Platzen der Aktienmarktblase deuten jedenfalls darauf hin, dass die Rentenmärkte ein besseres Barometer für die Gesundheit einer Wirtschaft sind als der Aktienmarkt. Momentan befinden sich die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen nach einem dramatischen Ausbruch wieder auf einem Niveau von lediglich 0,6 %, auch wenn sich der Nikkei- Aktienindex im Zuge der weltweiten Rallye auf den Aktienmärkten ebenfalls erholt hat. Investoren sollten daher weiter vorsichtig sein. Unserer Einschätzung nach wird sich die Weltwirtschaft nämlich im laufenden und folgenden Jahr eher moderat entwickeln. Erstens werden geopolitische Unsicherheiten bestehen bleiben, denn eine friedliche Nachkriegsordnung des Nahen Ostens und ein Rückgang der terroristischen Bedrohung ist nach wie vor nicht in Sicht. Die hierdurch implizierte Unsicherheit muss tendenziell die Risikoprämien erhöhen. Zweitens bleibt zu konstatieren, dass sich die Weltwirtschaft weiterhin in einer Phase befindet, die durch die Aufräumarbeiten nach dem Platzen der Aktienmarktblase charakterisiert ist. Diese dämpfen die Investitionstätigkeit und den privaten Konsum. Drittens, ein Anziehen der US-Konjunktur und höhere US-Budgetdefizite implizieren eine Ausweitung des sowieso schon enormen Leistungsbilanzdefizits der USA. Damit einher geht ein nicht unerhebliches Abwertungspotenzial für den US-Dollar gegenüber dem Euro und dem Yen. Momentan spricht fast alles für ein weiteres Erstarken des Euros: Erstens, das immense US-Leistungsbilanzdefizit, das nur durch eine Abwertung des US-Dollars korrigiert werden kann. Zweitens, die Signale der japanischen Notenbank, eine Aufwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar nicht hinnehmen zu wollen, so dass die ganze Anpassungslast auf dem Euro liegt. Drittens, der Bedarf vieler Notenbanken an Euro. Viertens, eine zunehmende Risikodiversifizierung der Investoren, die sie wieder gen Euroland schauen lässt. Fünftens, die im Vergleich zu Euroland relativ niedrigeren US-Zinsen. Dem entgegen steht lediglich das Argument, dass die USA stärker wachsen werden als Euroland. Sollte der Euro das Wachstum in Euroland über eine geringere Exportdynamik beeinträchtigen, so ist ein nachhaltiger Anstieg der europäischen Aktienmärkte nur schwer zu sehen, auch wenn der stärkere Euro den gegenläufigen Effekt hat, dass europäische Assetklassen für international agierende Investoren attraktiver werden. Sollte der Aktienmarkt allerdings mit seinen positiven Gewinnerwartungen recht behalten, so steht der Rentenmarkt vor einer Korrektur. Nur wann? Gegeben die weiter expansive Zinspolitik der großen Notenbanken und das weltwirtschaftlich disinflationäre Umfeld sind alsbald keine großen Rückgänge der Rentenkurse zu erwarten. Die Gefahr besteht allerdings, dass die Erwartung weiter niedriger Leitzinsen viele Marktteilnehmer zu irrationalem Überschwang auf den Bondmärkten verführt. Zumindest teilweise blasenhafte Charakteristika sind gerade dem US-Rentenmarkt nicht abzusprechen.

Dr. Guido Zimmermann

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