Kommentar
08:13 Uhr, 19.02.2016

Deflation und Stagnation: Schicksal Europas?

Deflation und wirtschaftliche Stagnation sind eine Horrorvorstellung für Notenbanker. Es wird mit allen Mitteln dagegen angekämpft und doch scheint sich ein Szenario, wie es sich in Japan entwickelt hat, auch im Westen kaum vermeiden lassen.

Japan gilt als Negativbeispiel für Notenbanker weltweit. Es gilt ein japanisches Szenario unter allen Umständen zu vermeiden und doch bewegt sich ein Großteil der entwickelten Länder auf ein eben solches Szenario zu. Die Parallelen werden immer offensichtlicher. Das ist auch nicht verwunderlich, denn Japan ist in vielerlei Hinsicht der Entwicklung in anderen Ländern voraus.

Allen voran hat Japan die älteste Bevölkerung der Welt. Die Überalterung ist so weit fortgeschritten wie in keinem anderen Land. In Europa ist Deutschland in der demographischen Entwicklung weit vorne. Im Kern geht es darum, dass immer mehr Rentner auf immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter kommen. In einem zweiten Schritt beginnt die Bevölkerung zu schrumpfen.

Wenn die Bevölkerung schrumpft, dann ist Wirtschaftswachstum schwierig. Gibt es weniger Menschen, die Güter konsumieren können, dann müssen die, die noch da sind, mehr konsumieren, damit Wachstum entsteht. Nun ist es aber so, dass Menschen mit zunehmendem Alter weniger konsumieren. Das japanische Szenario lässt sich daher wie folgt zusammenfassen: Weniger Menschen konsumieren, weil die Bevölkerung schrumpft und durch die Überalterung wächst der Konsum pro Kopf kaum noch. Unter diesen Umständen ist Wirtschaftswachstum kaum möglich.

Nun kann man den Konsum sicherlich begünstigen und fördern, doch das nützt wenig, wenn die Menschen kein Geld für den Konsum haben. In Japan war die Sparquote jahrzehntelang sehr hoch. Inzwischen ist sie sehr niedrig und teilweise sogar negativ, weil im Alter nicht mehr gespart wird, sondern Ersparnisse aufgebraucht werden.

Wenn die Sparquote bereits negativ ist, dann kann die Bevölkerung schlichtweg nicht ihren Konsum steigern. Die finanziellen Mittel fehlen. In Japan wurde das Problem gelöst, indem die Regierung ihren Konsum steigerte. Das zeigt sich in den immer schneller ansteigenden Staatsschulden, die die höchsten der Welt sind.

Ein Staat kann sich natürlich nur begrenzt verschulden. Japan ist ein großer Ausnahmefall. Man kann nicht erwarten, dass sich jeder Staat der Welt mit einem vielfachen der Wirtschaftsleistung verschulden kann. Entwicklungsländer schlittern bereits in den Bankrott, wenn die Schulden über 80 % der Wirtschaftsleistung steigen. In entwickelten Ländern wird es ab Schuldenquoten von 130 % sehr, sehr eng.

Aus wirtschaftlicher Sicht muss man sich dem Schicksal der ewigen Stagnation oder eines ewigen Abschwungs nicht hingeben. Es gibt eine Lösung für das Problem. Es heißt Produktivität. Produziert jeder einzelne mehr, verdient entsprechend auch mehr und kann mehr für Konsum ausgeben, dann kann auch in einem Umfeld überalternder Bevölkerung Wachstum erzielt werden. Nur: Die Produktivität wächst immer langsamer.

Grafik 1 zeigt zwei Indizes. Der eine zeigt die Entwicklung der Produktivität, der andere die Entwicklung der Reallöhne in den USA. Die Produktivität stieg nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die frühen 70er Jahre um knapp 3 % pro Jahr an. In den 70er Jahren fiel das Wachstum unter 2 % und verlangsamte sich bis Mitte der 90er Jahre auf 1,5 %. Von 1995 bis 2004 gab es eine Beschleunigung des Produktivitätswachstums auf 2,9 %. Seit 2005 hat sich die Steigerung der Produktivität wieder deutlich verlangsamt und ist mit durchschnittlich 1,3 % pro Jahr so niedrig wie noch nie.

Produktivitätswachstum ist zwar die Lösung des Überalterungsproblems, doch die Produktivität wächst nicht schneller (was notwendig wäre), sondern immer langsamer. Grafik 2 zeigt die Entwicklung der Produktivität jedes einzelnen Wirtschaftsaufschwungs in den USA seit 1948. Je jünger der Aufschwung ist, desto langsamer stieg die Produktivität. Der derzeitige Aufschwung ist das beste Beispiel dafür. Nach 26 Quartalen Aufschwung ist die Produktivität gerade so hoch wie in früheren Expansionsphasen nach 13 Quartalen.

Viele Ökonomen verwundert das immer langsamere Produktivitätswachstum. Sie erklären es mit unterschiedlichen Ansätzen. Zum einen ist die Wirtschaft heute sehr viel stärker auf Dienstleistungen ausgelegt als auf Produktion. Die Produktivität im Dienstleistungssektor lässt sich nicht so einfach und schnell steigen wie in der Industrie. Zum anderen werden viele Güter kostenfrei angeboten (z.B. Googles Services), so dass sich die Zuwächse in der Produktivität kaum messen lassen.

So einfach ist die Sache leider nicht. Chad Syverson (University of Chicago) hat das Thema untersucht und dazu Anfang Februar ein Paper veröffentlicht. Kurz zusammengefasst kann man sagen: Die Probleme, kostenfreie Leistungen korrekt zu messen, erklären das niedrige Produktivitätswachstum nur zu einem geringen Teil. Auch der hohe Dienstleistungsanteil der Wirtschaft erklärt die Verlangsamung nicht.

Die Verlangsamung des Produktivitätswachstums ist auch kein US-spezifisches Phänomen. In Japan ist es genauso zu beobachten wie in den meisten EU-Ländern. Es handelt sich um ein weltweites Phänomen. Unter den untersuchten Ländern finden sich viele, deren Dienstleistungsanteil niedrig ist. Man kann die Sache also auch nicht dem Dienstleistungssektor in die Schuhe schieben.

Das Problem des niedrigen Produktivitätswachstums wird erst seit kurzem diskutiert. Nachdem es für Aufsehen und für große Beunruhigung gesorgt hat, war man zuletzt mit der Erklärung zufrieden, dass es einfach ein Problem der Messbarkeit von Produktivität im Internetzeitalter ist. Nun zeigt sich, dass damit so gut wie nichts geklärt ist. Nachdem Produktivitätswachstun die einzige Möglichkeit ist, einem japanischen Szenario zu entgehen, sollten dringend die klügsten Köpfe der Welt nach Lösungen suchen.

Momentan kämpfen die Notenbanken mit der Druckerpresse gegen Deflation uns Stagnation an. Produktivität lässt sich allerdings nicht über Geldscheine verordnen. Es kann das Problem verdecken und die Stagnation hinauszögern. Wie Japan derzeit zeigt, ist das auf Dauer keine Lösung und je weiter die Wirtschaft in niedriges Produktivitätswachstum vordringt, desto schwieriger wird es, dem ganzen zu entkommen.

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21 Kommentare

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  • crocodile trader
    crocodile trader

    Wie schon hier im Forum angeführt, bin ich auch der Meinung, dass der Produktivitätszuwachs bei den Reallöhnen nicht adäquat ankommt, was man ja an der ersten Grafik schön sieht. Wenn also das Konsumpotential (Reallöhne) in Relation zum Produktivitätszuwachs zurückgeht, wundert es mich auch nicht, wenn weniger investiert wird (der Konsum stagniert ja), was wieder den Produktivitätszuwachs reduziert und damit eine Art Negativspirale in Gang kommt. Dazu kommt, dass der Konsum auch durch die hohen Staatsabgaben reduziert wird. Da trägt aber auch der Finanzkapitalismus Verantwortung. Oft genug werden Gewinne nach oben, aber Verluste nach unten verteilt. Siehe die Rettung des maroden Finanzsystems; auch den Rückbau der Kernkraftwerke darf die Allgemeinheit finanzieren, dann die Energiewende (die unteren Einkommensschichten werden überproportional belastet), dann windige Investementprodukte für Multimillionäre (cum ex Geschäfte)....

    10:27 Uhr, 20.02.2016
  • Xena13
    Xena13

    Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler und versuche es einmal von meiner Sicht der Dinge - und ganz logisch zu betrachten. Ich glaube, dass Wirtschaftswachstum nicht primär nur etwas mit der Alterspyramide- und/oder - mit der Produktivität eines Landes zu tun hat! Wirtschaftswachstum hat in erster Linie etwas mit Geld zu tun. Ob nun Jung oder Alt, wir benötigen alle diverse Wirtschaftsgüter. Da der Mensch per se immer weniger mit der Produktion beschäftigt ist, Dienstleistung aber weltweit schlecht bezahlt wird, kann die Mehrheit der Menschen mangels Geldes weniger konsumieren. Es geht doch in der heutigen Zeit nicht an, dass ein verschwindend kleiner Teil der Weltbevölkerung mehr Kapital besitzt als der große Rest! Denn auch die Schwellenländer mit ihrer jungen Bevölkerung, trägt nicht zu einem soliden Wirtschaftswachstum weltweit bei! Egal wieviel Geld alle Notenbanken dieser Welt drucken werden - Konsum kann nur durch mehr Liquidität des Einzelnen entstehen. Solange Menschen nur als billige Arbeitssklaven weltweit gehalten werden, wird sich daran auch nichts ändern.

    15:10 Uhr, 19.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Bigdogg
    Bigdogg

    Das läuft schlicht deswegen nicht mehr, da Anfang der 70er die Goldbindung aufgelöst wurde. Seitdem haben wir ein ungedecktes Geldsystem und da kommen halt solche Entwicklungen zustande

    14:09 Uhr, 19.02.2016
  • While E. Coyote
    While E. Coyote

    Japan 2, alles mehr oder weniger um 0 : Zinsen, Wachstum, Inflation.

    Zur Euroeinführung hieß es mal Europa würde damit zur dynamischsten Region der Welt werden. Ein absoluter Rohrkrepierer

    11:18 Uhr, 19.02.2016
  • shark
    shark

    Hauptursache für die gegenwärtigen Probleme und deflationären Tendenzen ist der

    "Verschuldungsboom" seit 1980 und zwar durch alle Bereiche ,vom Staat ,über Firmen zu Privaten

    Die Politik der Notenbanken löst auch keine Probleme,sondern zielt nur auf Zeitgewinn ab .

    Der Euro hat im übrigen bei der Veschuldungsorgie in vielen Ländern als "Turbo" gedient !!,

    weil sie sich zu viel niedrigeren Zinsen verschulden konnten

    Grosser Zahlmeister beim Euro und in der EU ist im übrigen Deutschland und die Einführung des Euro,brachte Deutschland gesamtwirtschaftlich kein Nutzen,das Gegenteil ist der Fall .

    Und wenn die anderen EU-staaten von Solidarität immer reden,meinen sie grundsätzlich immer mehr Geld aus Deutschland !!

    10:40 Uhr, 19.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • jurist
    jurist

    Gratulation zu dem Artikel. Leider haben aber mehrheitlich die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik nicht begriffen, dass nur durch eine Steigerung der Produktivität die Probleme einer stagnierenden oder schrumpfenden Bevölkerung zu lösen sind. Sonst würden nicht Aktienrückkäufe statt Ausgaben in Forschung und Entwicklung an der Tagesordnung sein und nicht das Heil in Einwanderung gesucht werden. Wieviele Menschen müssten wohl nach China einwandern, einem Land, das bald vor demselben Problem einer stagnierenden Bevölkerung stehen wird?

    10:29 Uhr, 19.02.2016
  • Löwe30
    Löwe30

    Die Messung des Wirtschaftswachstums über die Zunahme des BIP ist zwar für Regierungen von Bedeutung, da sich dadurch das Steuersubstrat erhöhen lässt und die staatlichen Sozialsysteme nicht kollabieren, jedoch für das Individuum ist diese Messung nicht relevant. Für das Individuum zählt lediglich die Zunahme der Produktivität. Die Produktivität kann auch in einer schrumpfenden Gesellschaft genau so steigen, wie in einer wachsenden Gesellschaft. Durch die Steigerung der Produktivität werden die Individuen in einer Gesellschaft wohlhabender, weil sie sich für die gleiche Menge Geld, mehr leisten können. Auch können zusätzlich die Löhne mit der Produktivität steigen, was den Wohlstand des Einzelnen zusätzlich steigert.

    Da der Mensch eine nahezu grenzenlose Phantasie hat und in einem nahezu grenzenlosen Universum lebt, gibt es für ihn auf Jahrtausende keine Grenzen des Wachstums, es sei denn er vernichtet sich selbst.

    Rohstoffe aus dem Weltall sind für uns Menschen so gut wie unerschöpflich. Auch die Kosten dafür werden deutlich sinken. So wie das ja immer bei Neuem der Fall war. Kostete es zu Columbus Zeiten noch ein Vermögen und Monate, nach Amerika zu kommen, welches sich nur Könige leisten konnten, kann heute selbst ein VW Arbeiter für ein paar hundert Euro in wenigen Stunden dorthin.

    "So wie Google-Gründer Larry Page. Der begründet seine Beteiligung an der Firma mit der Aussage: "Planetary Resources ist ein großartiges Beispiel dafür, was es heißt, eine gesunde Gleichgültigkeit gegenüber dem Unmöglichen zu haben." Und der Blick in die Vergangenheit zeigt: Es wäre nicht das erste Mal, dass das scheinbar Unmögliche Wirklichkeit wird."

    http://www.n-tv.de/wissen/Asteroid-Mining-die-Zukunft-des-Bergbaus-article15707856.html

    "Luxemburg will Rohstoffe im Weltraum abbauen Der Zwergstaat will in Startups investieren, die Gold, Platin oder Wasser auf Asteroiden abbauen."

    http://www.wiwo.de/technologie/forschung/raumfahrt...

    Es tut sich also was, um die Grenzen des Wachstums wieder einmal zu überwinden. Das kann mit einer weiterhin ordentlich steigenden Produktivität einhergehen, wenn die Regierungen sich endlich mal dabei zurückhalten würden, in die Marktwirtschaft einzugreifen.

    Die Abschaffung des heutigen Wohlfahrts-, Überwachungs-, Betreuungs-, Betrugs- und Umverteilungsmonsters namens moderner Staat ist die Voraussetzung für weiterhin ordentlich steigende Produktivität, denn: Politik ist nicht die Lösung, sondern das Problem!

    10:20 Uhr, 19.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • netzadler
    netzadler

    die Geopolitik läuft dieses jahr komplett aus dem ruder. damit wird die geld- und fiskalpolitik überlagert. ohne vertrauen und Sicherheit kann man Konjunkturpolitik vergessen.

    10:08 Uhr, 19.02.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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