Kommentar
13:27 Uhr, 02.03.2016

Das "Wunder von Bern"

Erwähnte Instrumente

  • Der Schweizer Franken hat sich zuletzt abgewertet, ist aber alles andere als eine schwache Währung.
  • Aus der Abwertung sollte man keine Schlüsse auf das Anlageland Schweiz ziehen. Es ist heute attraktiver denn je.
  • Für Investitionen in der Eidgenossenschaft kommen nicht nur die üblichen Ver­dächtigen in Frage. Auch viele mittelständische Firmen sind attraktiv.

Der Schweizer Franken wertet sich ab. Er ist inzwischen 10 % schwächer als Anfang vorigen Jahres. Das ist nicht nur eine Wechselkursbewegung wie viele andere. Die Schweiz ist nun einmal der Inbegriff des sicheren Hafens in einer unsicheren Welt. Wenn die Währung eines solchen Staates mit einem Mal zu wackeln scheint, muss man das ernst nehmen. Kürzlich schickte mir ein Kollege aus Zürich eine besorgte Mail. Könnte es sein, so fragte er, dass sich das Bild der Schweiz auf den internationalen Märkten von vielen unbemerkt verschlechtert hat? Ist es denkbar, dass die Schweiz im Ausland nicht mehr als Zukunftsmodell gesehen wird, sondern eher als Auslaufmodell?

Die Aufwertungswährung
Schweizer Franken je Euro

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Quelle: Bundesbank, Euro vor 1999 aus der DM abgeleitet

Die Frage hat mich überrascht, zumal der Kollege normaler­weise nicht zu unüberlegten Schnellschüssen neigt. Kann es sein, dass die Schweiz wirklich auf dem Weg ist, ihre At­traktivität zu verlieren? Um meine Antwort vorweg zu neh­men: Ich glaube es nicht. Im Gegenteil. Die Schweiz ist als Anlageland so attraktiv wie schon lange nicht mehr. Je mehr die EU in Probleme hineinläuft, umso mehr brauchen die Kapitalmärkte die Schweiz als Anker der Stabilität und des wirtschaftlichen Erfolges. Hier ein paar Gründe.

Zunächst zur Abwertung. Man darf hier nicht nur auf die aktuelle Entwicklung schauen. Man muss die Entwicklung vielmehr im längerfristigen Zusammenhang sehen. Da zeigt sich, dass der Franken überhaupt nicht schwach ist. Er hat sich in den letzten sechzig Jahren um über 50 % aufgewer­tet (siehe Grafik). Ich kenne keine große Währung, die in dieser Zeit so fest war. Einkaufen in Zürich oder der Urlaub in den Bergen ist nach wie vor extrem teuer. Der aktuelle Wechselkurs ist der Kaufkraftparität weit davongelaufen.

»Je mehr die EU in Probleme hineinläuft, umso mehr brauchen die Kapitalmärkte die Schweiz als Anker der Stabilität und des wirtschaftlichen Erfolges.«

Die Schwäche am aktuellen Rand ist nur eine Bereinigung vorheriger Marktübertreibungen. Beim sogenannten "Fran­kenschock" vor einem Jahr wertete sich die Schweizer Währung von einem Tag auf den anderen um 20 % auf. Das war fundamental in keiner Weise gerechtfertigt. Jetzt bildet sich das Ungleichgewicht zurück. Der Markt versucht eine neue Basis zu finden. Mit Schwäche hat das nichts zu tun.

Das Wichtigste aber: Die Schweiz befindet sich nicht in ei­ner Krise. Sie hat die drastischen Aufwertungen der letzten Jahre weggesteckt, wie es wohl niemand erwartet hätte.
Sie wächst. Sie hat praktisch keine Arbeitslosigkeit. Die Leistungsbilanz als Ausdruck internationaler Wettbewerbs­fähig­keit ist weit im Plus. Ich möchte nicht wissen, was in Deutschland passiert wäre, wenn es so einem Aufwertungs­druck ausgesetzt gewesen wäre. Es gibt kaum eine Volks­wirtschaft in der Welt, die so erfolgreich ist. Wenn das kein "Wunder von Bern" ist.

Wie kommt es, dass sich die Schweiz im globalen Wettbe­werb so gut schlägt? Dies umso mehr als sie ein kleines Land ist, das sich mit Ausländern schwertut und das in der Steuerdebatte international stark angefeindet wurde. Aus meiner Sicht sind hier vier Dinge verantwortlich.

Erstens die aufwertende Währung. Auf der Ebene der Un­ternehmen ist dies eine Belastung. Für die Volkswirtschaft insgesamt hat es jedoch den unschätzbaren Vorteil, dass sie permanent unter der "Produktivitätspeitsche" der glo­balen Konkurrenz steht. Andere Länder müssen Reformen durch schwierige politische Prozesse herbeiführen (und scheitern damit oft). Die Schweiz hat durch die Aufwertung einen quasi eingebauten Reformmotor.

Zweitens die stabilen politischen Verhältnisse. Die öffentli­chen Finanzen sind in Ordnung. Das Haushaltsdefizit liegt fast bei null. Es gibt keine ernst zu nehmenden Bestrebun­gen, das zu ändern. Natürlich stört die Aggressivität der Rechtspopulisten. Aber wo gibt es die nicht?

Drittens die Professionalität des Finanzplatzes. Zürich und Genf gehören zu den besten Standorten der Welt. Keiner hätte sich vorstellen können, dass die Schweiz nach dem Wegfall des Bankgeheimnisses so erfolgreich bleibt. Wenn sich die Briten entscheiden sollten, aus der EU auszutreten, dann dürften davon weniger Frankfurt und Paris profitieren als vielmehr die Bahnhofstraße an der Limmat (obwohl sie auch nicht zur EU gehört).

Schließlich eine Notenbank, die prinzipienfest ist, in außer­gewöhnlichen Situationen aber mehr als andere flexibel und pragmatisch handelt. Die Schweizer Notenbank war eine der ersten, die negative Zinsen einführte. Sie hat massiv an den Devisenmärkten interveniert trotz aller negativen Wir­kungen auf die Geldmenge. Sie gehört zu den wenigen, die ihre Reserven auch in Aktien anlegen.

Natürlich kann jedes Land und jeder Standort noch besser werden. Es ehrt die Schweizer, wenn sie darüber nach­den­ken. Aus Sicht von außen ist es aber nicht zwingend. Die Briten wären froh, wenn sie bei einem "Brexit" eine wirt­schaftliche Zukunft wie die der Schweiz erwarten würde. Sie würden die EU mit Freude verlassen (was wir natürlich auch nicht wollen).

Für den Anleger

Vergessen Sie bei Ihren Dispositionen nicht die Schweiz. Sie ist in Zeiten weltweit steigender Risiken noch attraktiver geworden. Denken Sie dabei nicht nur an die üblichen Ver­dächtigen wie Nestlé, Roche oder Novartis. Es gibt auch viele erfolgreiche mittlere und kleinere Unternehmen an der Börse. Passen Sie freilich auf die Wechselkursrisiken auf. Eine gewisse Zeit kann der Franken noch schwächer wer­den. Das kann mögliche Kursgewinne schmälern. Auf län­gere Sicht sehe ich jedoch keinen Grund, weshalb sich die Aufwertung nicht fortsetzen sollte. Das macht Schweizer Anlagen noch attraktiver.

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