Kommentar
11:35 Uhr, 30.06.2009

Das Schlimmste ist überstanden, aber die Erholung braucht Zeit

Obwohl der dramatische Einbruch der weltweiten Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2008 und den ersten drei Monaten des Jahres 2009 überstanden zu sein scheint, „ist die Weltwirtschaft noch weit von einer ‚Normalisierung‘ entfernt“, meint der Chefvolkswirt von Invesco, John Greenwood. „Die drastischen fiskal- und geldpolitischen Expansionsprogramme der Regierungen und Notenbanken haben zwar die Wirtschaftsleistung stabilisieren können, aber die Investitionsbereitschaft der Verbraucher und Unternehmen hängt zumindest teilweise von der Erholung der Einkommen und dem erfolgreichen Schuldenabbau ab“, schreibt Greenwood in seiner jüngsten Wirtschaftsprognose für das dritte Quartal 2009. Seiner Einschätzung nach werden die großen Volkswirtschaften mindestens bis 2010 auf eine nachhaltige Erholung warten müssen.

„Das Positive an diesem ansonsten unerfreulichen Ausblick ist, dass die Inflation auf einem niedrigen Niveau verharren dürfte, solange Arbeitslosigkeit und Überkapazitäten weiter ansteigen“, so Greenwood. Obwohl die drastischen Interventionen der globalen Notenbanken und Regierungen die jüngste Rally an den Aktien-, Rohstoff- und Schwellenmärkten sowie den Anstieg der Staatsanleiherenditen geschürt haben, meint Greenwood, dass „die Deflationsrisiken in den meisten großen Volkswirtschaften auf Sicht von ein bis zwei Jahren schwerer wiegen als die Inflationsrisiken ”. Greenwood hat die Inflationswahrscheinlichkeit anhand der drei wichtigsten Inflationstheorien überprüft. In Verbindung mit den jüngsten Konjunktur- und Umfragedaten deuten seine Ergebnisse auf eine höchstens milde Inflation in den USA und Europa hin.

Greenwood rechnet in den USA im zweiten Quartal 2009 mit einem nochmals leicht negativen Wachstum, gefolgt von einer allmählichen Stabilisierung im weiteren Jahresverlauf. Für 2010 geht er von einem schwachen Wachstum von 1,2% aus. Im Zuge des Abbaus der hohen Verschuldung in den USA beobachtet Greenwood hier eine Verschiebung hin zu „einer ‚neuen Normalität‘ – einem im Verhältnis zum Einkommen geringeren Konsum, höheren Sparquoten und einer geringeren Verschuldung im Verhältnis zum Einkommen“.

Als große Exportregion reagiert die Eurozone weiterhin äußerst empfindlich auf die anhaltende Schwäche des globalen Handels. Hinzu kommen die nachlassende Kreditvergabe, die negativen Vermögenseffekte aus Aktienmarktverlusten sowie der Verfall der Hauspreise. In Verbindung mit den zögerlicheren Zinssenkungen durch die EZB deuten diese Entwicklungen nach Greenwoods Einschätzung auf eine fortgesetzte konjunkturelle Schwächephase und sinkende Inflationsraten oder sogar Deflation hin. Greenwood rechnet für das Gesamtjahr 2009 mit einem Rückgang des realen BIP der Eurozone um 3,9%, gefolgt von einer Erholung um 1,2% im Jahr 2010. Da die Verbraucherpreisinflation bereits bei Null liegt, sieht er weiteren Spielraum für Zinssenkungen durch die EZB.

Auch in Großbritannien sieht Greenwood angesichts der hohen Verschuldung der privaten Haushalte wenig Hoffnung auf eine baldige Erholung der Verschuldungsbereitschaft sowie ein damit einhergehendes Anziehen des Konsums. Seinen Prognosen zufolge wird die britische Wirtschaft im Jahr 2009 um 3,6% schrumpfen. Da eine Erholung bis 2010 oder sogar noch später auf sich warten lassen könnte, rechnet er auch mit einer erneuten Ausweitung der quantitativen Lockerungsmaßnahmen der Bank of England.

In Japan rechnet Greenwood so lange nicht mit einer eigenständigen Konjunkturbelebung, wie es dem Land nicht gelingt, seine starke Exportabhängigkeit zu reduzieren. Greenwood zufolge wird sich der Schrumpfungskurs der japanischen Wirtschaft im Jahr 2009 weitgehend fortsetzen, und auch eine mögliche Erholung im Jahr 2010 wird seiner Meinung nach weitgehend von außenwirtschaftlichen Impulsen abhängen, denen wiederum die Stärke des Yen entgegensteht. Mit der bereits wieder eingesetzten Deflation dürfte Japan Greenwood zufolge noch weitere ein bis zwei Jahre zu kämpfen haben.

Wie Japan sind auch die anderen exportorientierten Volkswirtschaften Ostasiens im Zuge der dramatischen Exportschwäche tief in die negativen Wachstumszahlen gerutscht. In China wiederum gibt es erste Anzeichen für potenziell negative Auswirkungen der enormen fiskal- und geldpolitischen Anreize der Regierung in Form von exzessivem Lageraufbau, einem erhöhten Risiko durch faule Kredite und steigender Inflation. Greenwood erwartet für die meisten kleineren asiatischen Volkswirtschaften im Jahr 2009 deutlich negative Wachstumsraten. Auch in China und Indien rechnet er mit einer deutlichen Wachstumsverlangsamung auf 6-8%. Obwohl die steigenden Rohstoffpreise und Hoffnungen, dass die schlimmste Phase der globalen Rezession überstanden sein könnte, den lateinamerikanischen Märkten seit März Auftrieb gegeben haben, prognostiziert der Chefvolkswirt von Invesco auch für diese Region im Jahr 2009 sinkende Wachstums- und Inflationsraten. Auch hält er einen Rückfall der Rohstoffpreise für viel wahrscheinlicher als einen nachhaltigen Anstieg, „weil diese Rally zu einem großen Teil spekulationsgetrieben und nicht in der Endnachfrage begründet ist und weil mit einer anhaltenden Schwäche von Welthandel und Weltwirtschaft zu rechnen ist”.

Offensichtlich sind die ökonomischen Kräfte, die diesem heftigen Abschwung zugrundeliegen, so stark, dass sie nicht wie erwartet auf die beispiellosen globalen Interventionen zur Belebung der Kreditmärkte, der Investitionen und der Wirtschaftsleistung reagieren. So meint Greenwood: „Regierungen können vielleicht rezessionsbedingte negative Rückkopplungen an den Finanzmärkten und in der Wirtschaft verhindern, aber die in der Überschuldung der vergangenen zehn Jahre begründeten Bilanzprobleme der privaten Haushalte und des Finanzsektors können sie nicht einfach wegwünschen.“ Daher ist der Chefvolkswirt von Invesco auch davon überzeugt, dass der auf diese „Bilanzrezession“ folgende Aufschwung länger auf sich warten lassen wird als die Erholung nach einer „normalen“ Rezession.

Quelle: Invesco

Invesco zählt als Teil der Invesco Ltd, Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit - mit über 350 Milliarden US-Dollar verwaltetem Vermögen. Mehr als 5.000 Mitarbeiter sind an 40 Standorten weltweit im Einsatz (Stand 31.12.2008).

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