Kommentar
12:27 Uhr, 12.06.2012

Das Endspiel von Berlin

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In der fortschreitenden Finanz- und Schuldenkrise fallen Tabus. Vor einem Jahr wurde nur hinter vorgehaltener Hand und in kleinen Zirkeln über ein Auseinanderbrechen des Euro gesprochen. Heute findet sich das Thema bereits auf den Titelseiten der Mainstream-Presse und in jeder zweiten Talkshow.

Allerdings überwiegt in diesen Berichten immer noch die Dämonisierung eines Euro-Austritts. Lang und breit werden zumeist die Nachteile und Gefahren für Deutschland aufgezählt, wie beispielsweise eine starke Aufwertung der „Neuen Mark“, ein Einbruch der Exporte und eine dadurch ausgelöste Rezession und Massenarbeitslosigkeit. Auch die hohen drohenden Verluste für den Staatshaushalt (Garantien für die Rettungsschirme) und die Bundesbank (Target 2) werden immer mehr hervorgehoben.

Diese Gefahren sind absolut real und es gibt etliche schwer berechenbare Faktoren bei einer Auflösung des Euro. Tatsächlich kann niemand genau sagen, wie sich ein Austritt aus dem Euro auswirken würde. Es wäre genauso ein Experiment wie das geldpolitische Trial-and-Error des billigen Geldes, in dem wir uns seit etwa vier Jahren befinden. Die Frage, die wir uns jedoch stellen sollten, ist, ob wir dieses Ende mit Schrecken in Kauf nehmen wollen, um damit einen Schrecken ohne Ende zu verhindern.

Warum lese ich so selten, dass eine Aufwertung der deutschen Währung auch einen großen Wohlstandsgewinn für uns Deutsche bringen würde? Importe aus dem Ausland würden billiger. Reisen ins Ausland genauso. Und wer in Kategorien des Investments denkt, würde beispielsweise Immobilien auch in vermeintlich „überteuerten“ Ländern wie der Schweiz oder Norwegen wieder leichter leisten können. Und nicht zuletzt bedeutet eine starke Währung einen perfekten Inflationsschutz, auch wenn das zugegebenermaßen derzeit nicht unser größtes Problem ist.

Auf den Kopf gestellt wird meiner Meinung nach in der politischen Diskussion auch die Auswirkung eines Auseinanderbrechens auf den politischen Zusammenhalt Europas. Nicht ein Ende des Euro würde die politische Union schwächen, sondern eine Fortsetzung der Gemeinschaftswährung unter dem Diktat von Sparzwängen und Transferzahlungen. Die brennenden deutschen Flaggen in Athen und Madrid zeugen vom bedenklichen Auseinanderdriften zwischen Geber- und Nehmerländern.

Der ehemalige Chef-Volkswirt der Bundesbank und der EZB, Ottmar Issing, schreibt in der FAZ, dass „falsch verstandene Solidarität die Deutschen immer weiter von der europäischen Idee entfernen kann“. Auf der Basis von Einzelwährungen (oder mehreren Gemeinschaftswährungen), die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Einzelstaaten entsprechen, sollte eine Rückkehr zu einer wirtschaftlichen und politischen Union, wie wir sie in der Vor-Euro-Zeit gesehen haben, möglich sein. Voraussetzung dafür ist, dass nicht der eine dauerhaft am Tropf des anderen hängt.

55 Prozent der Deutschen halten die Einführung des Euro für einen Fehler. Das ist eine gute Voraussetzung, um Härten, die aus einem Austritt Deutschlands ergeben würden, gemeinsam durchzustehen und abzupuffern. Doch nur rund 1000 Menschen sind jüngst in München auf die Straße gegangen, als der Verein Zivile Koalition zu einer Demonstration gegen den Rettungsfonds ESM aufgerufen hatte, der die Transferstrukturen in Europa zementieren soll.

Umso wichtiger wäre es, zu verhindern, dass bereits in den nächsten Tagen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Der deutsche Bundestag will den ESM noch in diesem Monat beschließen. Dabei wird ganz offensichtlich ausgenutzt, dass die Öffentlichkeit fußballberauscht und von national bedingten Hormonausschüttungen abgelenkt ist. Aber auch Fußballfans sollten erkennen, dass die wichtigen nationalen Fragen nicht nur in Polen und der Ukraine entschieden werden. Das Endspiel um den Euro findet in Berlin statt.

Über den Autor:

Roland Klaus arbeitet als freier Autor in Frankfurt/Main und ist aktiver Investor. An der Börse Stuttgart ist er als Marktbeobachter tätig und analysiert das Geschehen an den Börsen unter anderem auf n-tv und dem Deutschen Anlegerfernsehen. Für den amerikanischen Finanzsender CNBC und den deutschen Nachrichtenkanal N24 berichtete er von 2004 bis 2009 vom Frankfurter Börsenparkett.In seinem Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“ analysiert er die Schuldenkrise und liefert konkrete Ratschläge, wie man sich vor den entstehenden Risiken schützen kann. Sie erreichen Ihn unter www.wirtschaftliche-selbstverteidigung.de

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