Kommentar
09:29 Uhr, 12.10.2011

Das alte Europa schlägt zurück

Warum ist Bella Italia zum neuen Prügelknaben von S&P und Moody’s geworden? Das Land ist doch immer ein treuer Verbündeter der USA gewesen. Und Frank Sinatra und Al Pacino oder auch Martin Scorsese mit ihren italienischen Wurzeln haben die US-Show- und Filmwelt ähnlich positiv geprägt wie Pizza und Pasta den Speiseplan der Amerikaner.

Italien kein stabilitätsfrommer Asket

Natürlich - so kann man einwenden - ist Italien kein frommer Stabilitätsanhänger. Das Land hat aber deutlich mehr zu bieten als nur eine dramatische Staatsverschuldung. Zumindest im Norden findet sich ein erfolgreicher Mittelstand, ähnlich wie z.B. im deutschen Vorzeige-Ländle Baden-Württemberg, mit vielen Produkten und Unternehmen von untadeligem Weltruf. Grundsätzlich könnte Italien mit etwas mehr Emozione sogar das Schuldenproblem aus eigener Kraft - wenn auch mit schmerzlichen Einschnitten im Staatshaushalt und Steuererhöhungen - in den Griff bekommen. Italien ist definitiv nicht Griechenland.

Wenn man denkt, es geht nicht mehr, muss von irgendwo ein Schuldiger her

Warum wird also dennoch ausgerechnet Italien so hart von Rating-Agenturen angepackt? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das große Amerika über den Hebel der Finanzmärkte von den eigenen, noch größeren Problemen ablenken will. Und hierbei scheint die Bambule gegen Italien - ein G7-Land und die Nr.3 in Euroland - die nötige kritische Masse auf die sich gegen Euroland neigende Waagschale zu bringen. Nicht zuletzt bieten die entzückenden Darbietungen des Ministerpräsidenten einen dramaturgisch passenden Nährboden. Natürlich weiß man, dass, wenn Italien wankt, auch Euroland wankt.

Diese auch von den US-Finanzmedien clever initiierte Aufmerksamkeitsumlenkung von Amerika weg und auf Italien und damit Euroland hin macht es einfach, einen Schuldigen sogar für die Wirtschaftsschwäche der Amerikaner zu finden: Euroland und dessen Banken. Diese Indoktrination, die Vertauschung von Ursache und Wirkung der von Amerika ausgehenden Finanzkrise, zeigt sich schon im Kleinen. Normalerweise ist Europa in Amerika weniger bedeutend als Football oder die millionste Eröffnung einer Hamburgerkette. Bis jetzt! Wenn ich heutzutage meine Freunde in Amerika anrufe, sind wir spätestens nach zwei Minuten bei der „Big European Debt Crisis“ angekommen. Es fehlt nur noch, dass man mir das Beileid ausspricht, Europäer zu sein.

Mit dem Platzen der US-Immobilienblase hat sich für die Mehrheit der Amerikaner zwar auch der amerikanische Traum in Luft aufgelöst und die US-Geldpolitik ist zur zahnlosen Tigerente geworden. Aber davon liest man in offiziellen amerikanischen Postillen so gut wie nichts.

Realitätsdämmerung der Euro-Politik

Warum lassen wir uns immer wieder von den Amerikanern die Butter vom Brot nehmen? Wir machen es ihnen verdammt leicht. Oder haben Sie den Eindruck, dass der euroländische Hühnerhof eine gemeinsame Verteidigungsstrategie gegen die außerhalb des Stalls wartenden Füchse der Finanzmärkte entwickelt hat? Man lässt ja sogar die Tür zum Hühnerstall offen. Man könnte schier verzweifeln: Soll Italien wirklich zur leichten Beute für die Finanzmärkte werden?

Aber halt, das alte Europa bewegt sich doch. Das neue Motto der Politik scheint zu lauten: Vergesst Griechenland, rettet Italien! Man hat verstanden, dass selbst die beste Propaganda die Rettung von Hellas den Bürgern weder hüben noch drüben glaubhaft vermittelt werden kann. Das Land, das uns die Mathematik gebracht hat, kann offensichtlich selbst nicht rechnen.

Stattdessen scheint Plan B vorbereitet zu werden. Das unzweifelhaft verbale Feuerwerk, das Madame Lagarde vom IWF, die EU-Kommission und selbst unsere Kanzlerin in Richtung Bankenrettung bzw. - rekapitalisierung abgeschossen haben, lässt sogar darauf schließen, dass man zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen will. Erstens soll Griechenland kontrolliert in die Pleite geführt werden, um zu zeigen, dass man politisch noch handlungsfähig ist. Das finde ich gut. Jedoch soll dabei zweitens ein Dominoeffekt auf wichtige Länder wie eben Italien verhindert werden, indem man die europäischen Banken - die die Staatsanleihen der Euro-Länder im Depot haben - stützt. Grundsätzlich haben die Griechen noch bis Mitte November Geld. Bis dahin wäre der erweiterte Euro-Rettungsschirm auch als Wohlfahrtsamt für die Banken einsatzbereit. Und die EZB wird selbstverständlich auch unter der Ägide Draghi die totale Liquidität für Banken fortsetzen. Grundsätzlich ist eine Bankenrettung günstiger zu haben, als eine fortwährende, kolossale Rettungsorgie für ein nicht zu rettendes Land.

Wer A sagt, muss auch B sagen

Dazu muss man sich aber richtig bewegen. Der pleitebedingte Schuldenschnitt muss zeitgleich mit dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone stattfinden. Nur dann wird ein schöner Schuh daraus. Denn erst über Währungsabwertung verbesserte Konjunkturperspektiven werden die deutschen Großkonzerne - der nette Herr Rösler war ja erst kürzlich mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation auf Erkundungstour in Athen - dazu bewegen, das Portemonnaie für Unternehmensinvestitionen zu zücken. Im Übrigen wäre das genau die Entwicklungshilfe, die den Griechen perspektivisch wirklich auf die Beine helfen würde.

Dem Fuchs die Zähne zeigen

Es ist zu hoffen, dass Euroland die in Gang gesetzte Bewegung zum Marathonlauf werden lässt. Denn die Karawane der Rating-Agenturen zieht bereits weiter. Aktuell werden die Banken abgestuft. Niemand sollte annehmen, dass der Fuchs schläft. Zeigen wir ihm die Zähne. Soll er doch in der Heimat wildern. Da gibt es wirklich leichte Beute.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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