Kommentar
17:45 Uhr, 05.12.2003

China: Wachstumsmotor mit Reparaturbedarf

1. China entwickelt sich nach Jahren beeindruckend hoher Zuwachsraten seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) immer mehr zu einem wichtigen Element der Weltwirtschaft. Dies äußert sich in einem verstärkten Engagement ausländischer Investoren, die in China sowohl einen hervorragenden Produktionsstandort als auch einen zu erschließenden Markt sehen: Der wachsende Zufluss ausländischer Direktinvestitionen (FDI) von zuletzt jährlich 53 Mrd. US-Dollar macht China zum unangefochtenen Spitzenreiter im Emerging Markets- Universum - zu Lasten anderer Länder. Weiterhin hat China im laufenden Jahr dafür gesorgt, dass sich die Rohstoffmärkte von einem Höchststand zum nächsten bewegten, was sich in Chinas Importzuwachs zeigte: Die Einfuhren Chinas legten 2003 um über 40 % zu. China ist damit nicht nur Konkurrenz, sondern auch Wachstumslokomotive für viele Länder - doch kann dieser Boom anhalten?

2. Chinas Bruttoinlandsprodukt wird 2004 "nur" noch um 7,6 % zulegen - und das ist auch gut so. Natürlich ist ein hohes Wirtschaftswachstum, verbunden mit stetigem Arbeitsplatzsaufbau, wichtig für die gesamtwirtschaftliche Stabilität. Aber ein Blick auf die hinter den hohen Wachstumsraten stehenden Faktoren zeigt, dass eine Fortsetzung dieses Trends nur unter Inkaufnahme größerer Risiken beibehalten werden könnte. Die Wachstumsdynamik der letzten Jahre basierte vorrangig auf drei Säulen: Das Exportwachstum lag seit 2002 nahezu jeden Monat über 30 % yoy. Weiterhin sorgten steigende Staatsausgaben (v.a. im Infrastrukturbereich) für eine Aufrechterhaltung des Wachstumstrends. Zu guter Letzt bildete der Boom in einzelnen Sektoren wie Immobilien oder Automobile die Basis für das hohe Wirtschaftswachstum in 2003.

3. Das beeindruckende Exportwachstum wurde über Exportvergünstigungen erkauft. Dazu zählt die Rückerstattung von Umsatzsteuern, die Exportunternehmen auf Vor- und Zwischenprodukte zahlen. Dies verbilligte die Ausfuhren, brachte aber das Staatsbudget weiter ins Minus. Diese Praxis wird zum Jahresende deutlich eingeschränkt, die Exportwirtschaft muss also mit weniger staatlicher Unterstützung auskommen. Davon wird keine Flucht ausländischer Investoren ausgehen, aber die diesjährige Dynamik wird gebremst werden. Kritisch zeigt sich die Lage im Immobiliensektor. Hier hat sich insbesondere im Wohnungsbausegment eine Blase gebildet, die zwar eine starke Nachfrage nach Rohstoffen und Arbeitskräften generierte, aber auch zu deutlichen Überkapazitäten führte. Die Regierung zeigt sich bemüht, die damit verbundene expansive Kreditvergabe schrittweise einzudämmen. Daher wird auch die Nachfrage nach Rohstoffen aus diesem Segment weniger stark zulegen als in 2003. Betroffen sind allerdings nicht alle Segmente: Sowohl die Nachfrage nach "weichen Rohstoffen" (v.a. Agrarprodukte) als auch nach Edelmetallen (Gold, Platin) wird in den nächsten Jahren weiterhin von Chinas beeindruckendem Wirtschaftswachstum profitieren.

4. Ausländische Volkswirtschaften hoffen auf den Absatzmarkt China. Exemplarisch für die Entwicklung ist im laufenden Jahr der Automobilsektor mit einem Verkaufszuwachs von fast 70 % yoy. Die hohe Automobilnachfrage wird (trotz aller Infrastruktur- und Umweltbedenken) anhalten. Es ist aber nicht sicher, dass ausländische Automobilkonzerne davon stark profitieren können. Schon jetzt drohen Überkapazitäten auf dem chinesischen Automarkt: Nach Plänen der chinesischen Regierung sind zudem Maßnahmen geplant, die chinesischen Autobauern einen größeren Marktanteil sichern sollen. Der Automobilsektor ist damit nicht nur beispielhaft für die Chancen ausländischer Firmen im Reich der Mitte, sondern auch für die Risiken eines Engagements. Wie auch bei den Exporten ist hier zwar nicht mit einem Einbruch zu rechnen, aber mit einer geringeren Dynamik. Es bieten sich damit weiterhin große Chancen in China, bspw. im Konsumsektor, aber ausländische Investoren müssen sich an zügig aufholende chinesische Konkurrenten gewöhnen. Umfassender Reparaturbedarf im Bankensystem

Umfassender Reparaturbedarf im Bankensystem

5. Chinas makroökonomische Fassade strahlt seit Jahren fast unbefleckt - doch die Frage bleibt, wie es um die Stabilität auf der Großbaustelle "Wirtschaftstransformation" bestellt ist. Spricht man über Strukturreformen in China, so stehen unweigerlich zwei Aspekte ganz oben auf der Agenda. Zunächst einmal muss sich Chinas Führung bemühen, überhaupt eine grundlegende Perspektive der Alterversorgung für Chinas Bevölkerung zu schaffen: Dies ist zentrale Voraussetzung für die Ankurbelung der inländischen Nachfrage durch Beseitigung des derzeitigen "Vorsichtssparens". Daneben steht aber auch die Stabilität des Finanzsystems im Fokus - nicht zuletzt wegen seiner Rolle bei der Kreditvergabe sowie der Verwaltung von 10100 Mrd. RMB Yuan (1220 Mrd. US-Dollar) an Einlagen (entspricht 90 % des BIP).

6. Zusätzlich zu allen bilanzierten Vermögenswerten verfügen Chinas vier große Geschäftsbanken ("big four"), die noch immer etwa 70 % des Geschäfts dominieren, über ein weiteres Asset: die (implizite) Staatsgarantie. Chinas Banken profitieren außerdem von der hohen inländischen Sparquote (2003: 44 % des BIP) und dem (noch vorhandenen) Vertrauen der Privatanleger. Diese Unterstützung ist auch dringend erforderlich, denn die übrigen Kennzahlen deuten auf eine geringe Bankensystemstabilität. Chinas Banken droht Ungemach vor allem von Seiten der Kreditentwicklung: Der Anteil notleidender Kredite am gesamten Kreditvolumen, Ergebnis der planwirtschaftlichen Elemente, bewegt sich bei etwa 40 %. Chinas Banken zeigten sich 2002 und 2003 trotzdem überdurchschnittlich aktiv bei der Kreditvergabe (zeitweise Wachstum um 30 % yoy), basierend auf der vom Immobilienboom hervorgerufenen hohen Mittelnachfrage, die von staatlicher Seite bisher nur schrittweise abgebremst werden konnte. Doch es gibt noch mehr Schwachstellen, die Reformen erfordern, wie die Analyse auf Grundlage unseres Deka Finanzsystemindikators1 zeigt: Die angespannte Finanzlage, die eine Rekapitalisierung der Banken durch Staatsgelder unausweichlich macht, und die mangelhafte Bankenaufsicht belasten ebenfalls. Einzig das geringe Volumen von Fremdwährungsverbindlichkeiten, ein positiver Nebeneffekt der Kapitalverkehrskontrollen, stützt das chinesische Bankensystem. Dies schlägt sich auch in der stabilen Finanzmarktentwicklung nieder: Chinas hohe Währungsreserven (400 Mrd. US-Dollar) und die geringe Fremdwährungsverschuldung bilden zusammen mit der geringen Zinsdifferenz zum Ausland einen "Schutzschild" für das Bankensystem.

Chinas Führung hat jüngst (wieder einmal) Reformschritte zur Sanierung des Bankensystems angekündigt: So sollen die Geschäftsbanken von einem großen Teil der notleidenden Kredite befreit werden, die Regierung will die Kapitalbasis der Banken (um insgesamt etwa 100 Mrd. US-Dollar) stärken, und es soll ausländischen Banken erlaubt werden, Anteile von jeweils maximal 20 % an einer Bank zu erwerben. Allerdings wird auch hier nur schrittweise vorgegangen, es ist kein "big bang" zu erwarten. Wir halten die angesprochenen Maßnahmen für sinnvoll, insbesondere die Beteiligung "unbelasteter" Akteure (bspw. Ausländer) erhöht die Chance, dass es zu mehr kommt als nur zu buchungstechnischer Augenwischerei (wie 1998 der Fall).

Außenwirtschaftspolitik - 2004 das rhetorische Schlachtfeld

7. Chinas dynamische außenwirtschaftliche Entwicklung füllt seit Monaten die Schlagzeilen und ist sogar schon Bestandteil des US-Präsidentschaftswahlkampfes. Zunächst geriet das System des festen Wechselkurses unter Feuer: Hier schlossen sich Europäer und (ironischerweise) asiatische Regierungen der US-Kritik an, dass sich Chinas Volkswirtschaft durch einen künstlich niedrigen Wechselkurs "unlautere" Vorteile auf den Exportmärkten verschaffe - und übersahen dabei, dass gut 60 % aller chinesischen Ausfuhren von ausländischen Unternehmen getätigt werden, die damit ebenfalls von Chinas dynamischer Entwicklung profitieren. Gefordert wurde eine Aufwertung der Währung sowie eine Flexibilisierung des Wechselkurssystems.

Für eine Lockerung der restriktiven Kapitalverkehrskontrollen ist es unserer Meinung nach angesichts der fragilen Lage im Finanzsystem zu früh - eine überstürzte Flexibilisierung wäre ein Freifahrtschein in die nächste Asienkrise: Dann könnten chinesische Banken und Unternehmen relativ unkontrolliert Darlehen in Fremdwährung aufnehmen und inländische Sparer ihre Mittel leichter ins Ausland transferieren, was die Verwundbarkeit Chinas für Stimmungsschwankungen am Finanzmarkt deutlich verstärken würde. Wir rechnen für 2004 daher nur mit einer Bandbreitenerweiterung um den Zielwechselkurs auf (maximal) ±5 %.2 Dadurch würde auf die gesamtwirtschaftliche Stabilität in China Rücksicht genommen - und gleichzeitig Druck auf andere asiatische Länder, die sich bisher hinter China verstecken, ausgeübt, ebenfalls Aufwertungen zuzulassen. Auf eine solches Vorgehen pendeln sich auch die Erwartungen an den Finanzmärkten ein, wie am Kursverlauf des 12-Monats-Forward-Kurses der chinesischen Währung (siehe Schaubild) zu sehen ist: Hier wird derzeit von einer Aufwertung um 4 % gegenüber dem US-Dollar ausgegangen. Mittelfristig auf eine größere Aufwertung zu setzen ist allerdings keine sichere Wette: Höhere Kapitalabflüsse aus China könnten schnell zu einer Abwertung führen und damit die unmittelbare Aufwertung kompensieren.

8. Eine graduelle Wechselkursanpassung führt kaum zu einer Rückführung des US-Leistungsbilanzdefizits.3 Daher haben sich auch die Gewichte in der außenwirtschaftlichen Debatte verschoben: Ging es den USA zunächst um die Währungsparität, stehen nunmehr BHs und TV-Geräte im Mittelpunkt. Derzeit verhängt die US-Regierung Importrestriktionen für chinesische Produkte. Damit schürt sie die Angst vor einem Handelskrieg, mit negativen Folgen für die gesamte Region Asien-Pazifik. Bisher wurde aber nicht auf die Hauptexportprodukte Chinas abgezielt - da dies auch große US-Unternehmen schädigen würde. Wenn sich die Streithähne auf die zentralen Punkte besinnen, dass mit der Welthandelsorganisation (WTO) ein Forum für solche Streitigkeiten gegeben ist (USA), und dass Freihandel immer in beide Richtungen gerichtet sein sollte (China und USA), dann sind Fortschritte erreicht. Bis zum Sommer 2004 rechnen wir zwar mit einer scharfen Rhetorik in der außenwirtschaftlichen Debatte: Ein Handelskrieg ist aber nicht unser Hauptszenario, statt dessen erwarten wir eine bilaterale Einigung mit anhaltender Außenhandelsdynamik.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 122 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands.

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